Klimaneutrales Fliegen: Eine Illusion
Spätestens 2050 solle es möglich sein, klimaneutral zu fliegen. Das stellt die Flugindustrie in Aussicht. Doch Wissenschaftler sehen keine Chance, das zu schaffen.
In weniger als 30 Jahren soll es möglich sein, klimaneutral zu fliegen. Das stellt jedenfalls die Flugindustrie in Aussicht. Doch Wissenschaftler sehen keine Chance, das zu schaffen, wenn der Flugverkehr so stark wächst wie vorhergesagt. Bis 2050 soll er sich verdoppeln, möglicherweise sogar verdreifachen.
Die Industrie setzt vor allem auf "High-Tech-Lösungen": auf nachhaltige Kraftstoffe und die Entwicklung neuer Flugzeuge mit Batterien oder Wasserstoff-Tanks an Bord. Doch zumindest die neuen Antriebs-Technologien sind nur bedingt geeignet. Batterien haben eine viel geringere Energiedichte als Kerosin und sind folglich viel zu schwer für große Jets. Zum Einsatz werden sie wohl nur in Kleinstflugzeugen auf kurzen Strecken kommen. Wasserstoff wiederum braucht viel mehr Platz als Kerosin, um die gleiche Menge Energie zu speichern. Deshalb wären komplett neu konzipierte Flugzeuge nötig - und auch eine zusätzliche Tank-Infrastruktur an den Flughäfen.
Branche setzt auf synthetisch hergestelltes Kerosin
Deshalb geht die Industrie davon aus, dass auch 2050 noch ein Großteil aller Flugzeuge mit klassischen Verbrenner-Triebwerken unterwegs sein werden - angetrieben jedoch mit immer mehr nachhaltigen Kraftstoffen, vorerst vor allem mit Bio-Kerosin, das etwa aus altem Speiseöl gewonnen wird. In Kleinstmengen wird es bereits produziert. Wie viel in Zukunft zur Verfügung stehen wird, ist unsicher. Denn die verfügbare Biomasse ist begrenzt.
So setzt die Branche vor allem auf synthetisch hergestelltes Kerosin - produziert aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO2. Aber um den Bedarf zu decken, sind 2050 voraussichtlich hunderte Millionen Tonnen nötig. Das sei unrealistisch, sagt etwa der Mobilitätsforscher Prof. Stefan Gössling von der Universität Kalmar in Schweden. Er könne nicht sehen, "dass es praktisch möglich sein wird, weil all die Technologien noch nicht weit genug entwickelt sind, um wirklich sagen zu können, dass wir mit der notwendigen Sicherheit auch die entsprechenden Treibstoffmengen werden produzieren können."
Enormer Energiebedarf
Das Haupt-Problem ist die gigantische Menge an Energie, die zur Herstellung von synthetischem Kerosin benötigt wird. Würde man den heutigen Bedarf komplett synthetisch herstellen wollen, wäre mindestens dreimal so viel Energie nötig wie 2021 weltweit von allen Solar- und Windkraftanlagen zusammen produziert wurden.
Ob 2050 so große Mengen synthetischer Kraftstoffe produziert werden können wie nötig, scheint deshalb mehr als fraglich. Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet jedenfalls nicht damit. Auf Anfrage von Panorama teilt es mit, es gehe davon aus, dass auch 2050 noch "zu einem wesentlichen Anteil fossiles Kerosin genutzt" werde.
Restmengen an CO2 sollen auf anderem Wege kompensiert werden
Entgegen anderslautenden Botschaften in öffentlichen Kampagnen geht auch die Luftfahrtindustrie selbst offenbar nicht davon aus, dass sie den CO2-Ausstoß komplett verhindern kann. Verschiedene Verbände und Unternehmen, darunter Airbus, Boeing und die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA), haben im September 2021 einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht, wie sie die Emissionen reduzieren wollen. In sämtlichen Szenarien bleiben demnach teils erhebliche Restmengen an CO2, die auf anderem Wege kompensiert werden sollen.
Doch selbst, falls es gelingen sollte, die Kohlendioxid-Emissionen deutlich zu senken, bliebe immer noch ein großes Problem. Denn das CO2 allein ist nur für etwa ein Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens verantwortlich - etwa doppelt so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei. Dazu gehören etwa Stickoxide oder Kondensstreifen.
Nachfrage begrenzen, um Klimaziele zu erreichen
Ohne die Nachfrage zu begrenzen, erscheint es also unmöglich, die Klimaziele zu erreichen. In einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Wissenschaftler verschiedene Szenarien durchgerechnet. In jedem Szenario wird der Flugverkehr auch 2050 noch Emissionen verursachen - umso mehr, je stärker die Zahl der Flüge zunimmt. Auch Stefan Gössling sagt: Es muss weniger geflogen werden. Die Politik müsse jetzt deutliche Vorgaben machen.
Doch das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) will das nicht. Auf Anfrage des ARD-Magazins Panorama teilte es mit, die "Bundesregierung möchte die gesellschaftlichen Bedürfnisse nach Mobilität nicht einschränken." Stattdessen setze sie auf eine "technologieoffene Förderung von Forschung und Entwicklung". Vor allem nachhaltige Kraftstoffe würden eine Schlüsselrolle spielen. So könne der "Luftverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und auch das prognostizierte Wachstum kompensieren."