Klimaneutrales Fliegen: Eine Illusion

Stand: 16.03.2023 06:00 Uhr

Spätestens 2050 solle es möglich sein, klimaneutral zu fliegen. Das stellt die Flugindustrie in Aussicht. Doch Wissenschaftler sehen keine Chance, das zu schaffen.

von Christian Baars, Oda Lambrecht

In weniger als 30 Jahren soll es möglich sein, klimaneutral zu fliegen. Das stellt jedenfalls die Flugindustrie in Aussicht. Doch Wissenschaftler sehen keine Chance, das zu schaffen, wenn der Flugverkehr so stark wächst wie vorhergesagt. Bis 2050 soll er sich verdoppeln, möglicherweise sogar verdreifachen.

VIDEO: Klimaneutrales Fliegen: eine Illusion (8 Min)

Die Industrie setzt vor allem auf "High-Tech-Lösungen": auf nachhaltige Kraftstoffe und die Entwicklung neuer Flugzeuge mit Batterien oder Wasserstoff-Tanks an Bord. Doch zumindest die neuen Antriebs-Technologien sind nur bedingt geeignet. Batterien haben eine viel geringere Energiedichte als Kerosin und sind folglich viel zu schwer für große Jets. Zum Einsatz werden sie wohl nur in Kleinstflugzeugen auf kurzen Strecken kommen. Wasserstoff wiederum braucht viel mehr Platz als Kerosin, um die gleiche Menge Energie zu speichern. Deshalb wären komplett neu konzipierte Flugzeuge nötig - und auch eine zusätzliche Tank-Infrastruktur an den Flughäfen.

Branche setzt auf synthetisch hergestelltes Kerosin

In Jülich forschen Wissenschaftler an synthetischem Kerosin. © ndr
In Jülich forschen Wissenschaftler an synthetischem Kerosin.

Deshalb geht die Industrie davon aus, dass auch 2050 noch ein Großteil aller Flugzeuge mit klassischen Verbrenner-Triebwerken unterwegs sein werden - angetrieben jedoch mit immer mehr nachhaltigen Kraftstoffen, vorerst vor allem mit Bio-Kerosin, das etwa aus altem Speiseöl gewonnen wird. In Kleinstmengen wird es bereits produziert. Wie viel in Zukunft zur Verfügung stehen wird, ist unsicher. Denn die verfügbare Biomasse ist begrenzt.

So setzt die Branche vor allem auf synthetisch hergestelltes Kerosin - produziert aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO2. Aber um den Bedarf zu decken, sind 2050 voraussichtlich hunderte Millionen Tonnen nötig. Das sei unrealistisch, sagt etwa der Mobilitätsforscher Prof. Stefan Gössling von der Universität Kalmar in Schweden. Er könne nicht sehen, "dass es praktisch möglich sein wird, weil all die Technologien noch nicht weit genug entwickelt sind, um wirklich sagen zu können, dass wir mit der notwendigen Sicherheit auch die entsprechenden Treibstoffmengen werden produzieren können."

Enormer Energiebedarf

Mobilitätsforscher Prof. Stefan Gössling © NDR
Stefan Gössling fordert die Politik auf, Maßnahmen zu ergreifen, um den Flugverkehr einzuschränken.

Das Haupt-Problem ist die gigantische Menge an Energie, die zur Herstellung von synthetischem Kerosin benötigt wird. Würde man den heutigen Bedarf komplett synthetisch herstellen wollen, wäre mindestens dreimal so viel Energie nötig wie 2021 weltweit von allen Solar- und Windkraftanlagen zusammen produziert wurden.

Ob 2050 so große Mengen synthetischer Kraftstoffe produziert werden können wie nötig, scheint deshalb mehr als fraglich. Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet jedenfalls nicht damit. Auf Anfrage von Panorama teilt es mit, es gehe davon aus, dass auch 2050 noch "zu einem wesentlichen Anteil fossiles Kerosin genutzt" werde.

Restmengen an CO2 sollen auf anderem Wege kompensiert werden

Entgegen anderslautenden Botschaften in öffentlichen Kampagnen geht auch die Luftfahrtindustrie selbst offenbar nicht davon aus, dass sie den CO2-Ausstoß komplett verhindern kann. Verschiedene Verbände und Unternehmen, darunter Airbus, Boeing und die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA), haben im September 2021 einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht, wie sie die Emissionen reduzieren wollen. In sämtlichen Szenarien bleiben demnach teils erhebliche Restmengen an CO2, die auf anderem Wege kompensiert werden sollen.

Weitere Informationen
Eine Montage zeigt Flugzeuge und Kondensstreifen am Himmel © imago images/Christian Ohde

Luftverkehr: Klimaneutrales Fliegen - eine Illusion

Klimaneutrales Fliegen ab 2050: Die Luftfahrtbranche stellt das gerne in Aussicht. Wachse der Luftverkehr wie vorhergesagt, könne das nicht funktionieren, sagen Forscher. extern

Doch selbst, falls es gelingen sollte, die Kohlendioxid-Emissionen deutlich zu senken, bliebe immer noch ein großes Problem. Denn das CO2 allein ist nur für etwa ein Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens verantwortlich - etwa doppelt so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei. Dazu gehören etwa Stickoxide oder Kondensstreifen.

Nachfrage begrenzen, um Klimaziele zu erreichen

Ohne die Nachfrage zu begrenzen, erscheint es also unmöglich, die Klimaziele zu erreichen. In einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Wissenschaftler verschiedene Szenarien durchgerechnet. In jedem Szenario wird der Flugverkehr auch 2050 noch Emissionen verursachen - umso mehr, je stärker die Zahl der Flüge zunimmt. Auch Stefan Gössling sagt: Es muss weniger geflogen werden. Die Politik müsse jetzt deutliche Vorgaben machen.

Doch das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) will das nicht. Auf Anfrage des ARD-Magazins Panorama teilte es mit, die "Bundesregierung möchte die gesellschaftlichen Bedürfnisse nach Mobilität nicht einschränken." Stattdessen setze sie auf eine "technologieoffene Förderung von Forschung und Entwicklung". Vor allem nachhaltige Kraftstoffe würden eine Schlüsselrolle spielen. So könne der "Luftverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und auch das prognostizierte Wachstum kompensieren."

 

Weitere Informationen
Ein Ferrari steht als Luxussymbol unter Palmen. © NDR/ARD

Das Klima und die Reichen

Reiche verursachen viel mehr Treibhausgase als Ärmere. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern, schlägt ein Klimaforscher einen individuellen CO2-Handel vor. mehr

Privatjet auf einer Startbahn. © NDR/ARD

Das Klima und die Reichen: Begrenztes CO2-Budget für jeden?

Vermögende verursachen viel mehr Treibhausgase als Ärmere. Ein Klimaforscher schlägt einen individuellen CO2-Handel vor. mehr

Zerknüllte Weltkugel © photocase Foto: Unschuldslamm

FAQ: Wer verursacht wie viele Treibhausgase?

Ist das Klimaziel noch zu schaffen? Wie viel müssen wir dafür einsparen? Warum könnte eine persönliche Obergrenze helfen? Fragen und Antworten zu dem Thema "Das Klima und die Reichen". mehr

Zerknüllte Weltkugel © photocase Foto: Unschuldslamm

Dossier Klimawandel

Extremwetterereignisse treffen uns immer häufiger und heftiger. Ursache ist der menschengemachte Klimawandel. Weitere Infos finden Sie hier. mehr

 

Weitere Informationen

Klimaneutrales Fliegen: Eine Illusion (Manuskript)

Der Panorama-Beitrag vom 16. März 2023 als PDF-Dokument zum Download. Download (80 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | 16.03.2023 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Umweltpolitik

Sozialpolitik

Europa-Politik

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?