Stand: 10.04.2025 21:45 Uhr

Klimakiller Plastik: Die Lüge vom Recycling (Manuskript)

Panorama v. 10.04.2025
Klimakiller Plastik: Die Lüge vom Recycling

Anmoderation Anja Reschke: "So, war sonst noch was? Außer Migration? Lassen Sie mich nachdenken. Ach ja, ist Ihnen aufgefallen, man muss jetzt schon im März die Blumen auf dem Balkon gießen. Es ist ja dermaßen trocken. Die Elbe, der Bodensee, der Rhein haben extrem wenig Wasser, Äcker verdörren - die Klimakatastrophe ist nämlich nicht vorbei, nur weil wir nicht darüber sprechen. Wir haben eine dramatische Dürreperiode. Es wäre also schon gut, wenn man sich auch weiterhin damit beschäftigen würde, wie wir CO2einsparen können. Und nein, ich rede jetzt nicht von den üblichen Verdächtigen, also Flugzeug, Auto, Heizung, Fleisch. Sondern von Plastik. Plastik brauchen wir ja im Prinzip für alles und es steckt auch überall drin. Nur, Plastik hat keine besonders gute Klimabilanz. Im Gegenteil. Das weiß die Industrie und verspricht Einsparung im großen Stil. Ist das zu halten? Christian Baars, Oda Lambrecht und Verena von Ondarza"

Der Rhein bei Ludwigshafen. Immer neue Schiffe bringen riesige Mengen Öl. Denn hier produziert der größte Chemiekonzern der Welt: BASF. In den Anlagen wird Öl in Plastik verwandelt. So entstehen hier Kunststoffe für Autos, Haushaltsgeräte oder Lebensmittelverpackungen genauso wie für Turnschuhe oder Jacken. Was bisher kaum diskutiert wird: Plastik ist ein massives Problem für das Klima. Denn Plastik wird nicht nur aus klimaschädlichem Erdöl hergestellt, für den chemischen Herstellungsprozess ist auch große Hitze und damit viel Energie nötig - in der Regel gewonnen durch das Verbrennen von klimaschädlichem Gas. So verursacht Plastik etwa 2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Damit ist es für etwa 5 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen weltweit verantwortlich - mehr als der globale Flugverkehr.

O-Ton Prof. Henning Wilts, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: "Am Ende verbrennen wir ganz viel von dem Plastik als Abfall. Dabei entsteht noch mal CO2, trägt also zum Klimawandel bei."

O-Ton Prof. Kerstin Kuchta, Energie- und Umwelttechnik TU Hamburg: "Wenn Plastik nach wie vor auf Erdöl-Basis produziert wird, dann wird es da keine klimaneutrale Entwicklung geben können."      

Plastik verschmutzt also nicht nur die Umwelt, die Produktion trägt auch massiv zur Erderhitzung bei. Plastikhersteller BASF bestreitet das nicht. Der Chemiekonzern hat sich sogar vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt BASF insbesondere auf ein spezielles Recyclingverfahren - auf das sogenannte Chemische Recycling. Im Firmenvideo bewirbt BASF nachdrücklich die Klima-Vorteile.

BASF-Firmenvideo (2021): "Darüber hinaus hilft uns das chemische Recycling, den Einsatz fossiler Ressourcen zu reduzieren. Außerdem werden, im Vergleich zu aktuellen Verwertungslösungen wie der Verbrennung, CO2-Emissionen eingespart. Dieser technologische Fortschritt ist ein großer Schritt in Richtung einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe."           

Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe. Das bedeutet: aus altem Plastik neues machen. In einer Modellstadt funktioniert auch das Chemische Recycling schon perfekt - neues Plastik ohne Erdöl und ohne klimaschädliche Emissionen. Hier auf einer Fachmesse präsentiert sich die Plastikbranche nachhaltig und optimistisch. Manch einer glaubt, Kunststoff könne sogar schon vor 2050 klimaneutral werden - durch Recycling-Technologien.

O-Ton Carsten Gerhardt, Stiftung Circular Valley: "Die Technologien sind weitgehend da und es kommt jetzt darauf an, sie zu skalieren. Und da wir bis 2050 ja noch 25 Jahre haben. Bin ich sehr optimistisch, dass wir nicht nur bis dahin das Thema gelöst haben, sondern eher schon auf einen Zeitraum von zehn Jahren gesehen."

Klimaneutral in wenigen Jahren? Heute macht das noch keine Technologie möglich. Bisher wird nur ein kleiner Teil des Plastiks recycelt und zwar klassisch mechanisch, indem es geschreddert, geschmolzen und danach neu verarbeitet wird. Plastik, das daraus entsteht, macht in Deutschland nur etwa 15% aus. Plastik kann man auch aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Mais herstellen. Dieses Bioplastik macht aber nur etwa 1% aus, denn es konkurriert mit dem Nahrungsmittelanbau.

In Zukunft erhofft sich die Industrie viel von einem weiteren Recyclingverfahren: dem chemischen Recycling. Hierbei wird Plastik durch Erhitzen wieder in seinen Ursprungs-Rohstoff Öl zurückverwandelt, aus dem schließlich wieder neues Plastik entstehen kann - ohne frisches Erdöl. Bisher wird dieses Verfahren allerdings kaum eingesetzt. Weltweit gibt es nur sehr wenige Chemische Recycling-Anlagen.

Eine wird von dem Unternehmen Pyrum in Dillingen an der Saar betrieben. Auch BASF ist daran beteiligt. Damit Autoreifen nicht mehr verbrannt werden müssen, verwandeln sie das Gummi hier zurück in Öl und gewinnen andere Bestandteile wie Ruß zurück, erklärt Pascal Klein, Gründer und Chef von Pyrum. Auf dem Hof werden die Autoreifen für das Recycling vorbereitet.

O-Ton Pascal Klein, Vorstandsvorsitzender Pyrum Innovations AG: "Hier wird sortiert erst mal. PKW-Reifen, LKW-Reifen."

Danach werden die Reifen - die überwiegend aus synthetischem Gummi bestehen, also aus Kunststoff - in mehreren Stufen zerkleinert - mechanisch mit den Messern einer Maschine. So entsteht Gummigranulat. Das Granulat wird danach im entscheidenden chemischen Prozess auf über 600 Grad erhitzt.

O-Ton Pascal Klein, Vorstandsvorsitzender Pyrum Innovations AG: "Da drin entsteht so ein dicker schwerer gelber Dampf und dieser Dampf ist eine Mischung aus Öl und Gas. Und der wird unten am Reaktor abgesaugt."

So entsteht am Ende tatsächlich Öl, aus dem man wieder neues Plastik herstellen kann. Das Chemische Recycling funktioniert hier deshalb, weil alle Autoreifen aus ähnlichen Materialien bestehen. Doch können so auch gemischte Kunststoffe recycelt werden? Also zum Beispiel der Inhalt der gelben Tonne? Für Pascal Klein ist das ein Risiko.

O-Ton Pascal Klein, Vorstandsvorsitzender Pyrum Innovations AG: "Mir ist die Mischkunststoffgeschichte zu heiß. Also ich als Unternehmer würde mich da nicht dran trauen. Wir haben es im Labor ausprobiert, aber wir haben auch viel kaputt gemacht im Labor."

Für die Reifen hier funktioniert das Chemische Recycling, aber für große Teile des Plastikabfalls offenbar noch nicht. Die Ingenieurin für Umweltschutz, Kerstin Kuchta, forscht zu Kunststoffen. Sie bestätigt, das Chemische Recycling ist technisch nicht ausgereift. Produkte aus verschiedenen Kunststoffsorten ließen sich damit nicht in größerem Umfang recyceln, genau wie bunt gemischter Abfall aus der gelben Tonne.  

O-Ton Prof. Kerstin Kuchta, Energie- und Umwelttechnik TU Hamburg: "Es ist also verschmutzt, es ist feucht, es ist gemischt und die chemischen Reaktionen sind sehr sensibel auf diese Veränderungen. Und damit ist es großtechnisch sehr, sehr schwierig zu realisieren. Tatsächlich so schwierig, dass wir es noch nicht hinbekommen haben."

Deshalb gibt es bisher auch kaum Chemische Recycling-Anlagen.

O-Ton Prof. Kerstin Kuchta, Energie- und Umwelttechnik TU Hamburg: "Nicht alle arbeiten in voller Kapazität, die meisten tatsächlich nicht. Und nicht alle bringen Material in einer Qualität raus, die man wieder einsetzen kann. Da gibt es noch einfach sehr viel mehr zu entwickeln und mehr Forschung zu betreiben, um dahin zu kommen. Insofern ist es keine realistische Lösung für unser Problem, was wir jetzt haben und unser Klimaproblem, was wir bis 2050 gelöst haben müssen."

Überschätzt die Plastikindustrie die Möglichkeiten des Chemischen Recyclings? BASF hat uns Interviews leider verweigert. Trotz monatelangem Austausch durften wir den Weg zur Klimaneutralität nicht mit der Kamera begleiten. In Frankfurt dagegen ist der Verband der Kunststoff-Industrie bereit, auch kritische Fragen zu beantworten. Plastics Europe ist die mächtige Lobbyorganisation der milliardenschweren Kunststoffhersteller, auch von BASF. Die Geschäftsführerin, Christine Bunte, räumt ein, das Chemische Recycling funktioniere nicht so gut, wie erhofft.

O-Töne
Panorama:
"Wie groß ist heute der Anteil an Plastik, das aus Chemischen Recycling produziert wird?"

Christine Bunte, Geschäftsführerin Plastics Europe: "Aktuell ist er noch sehr klein. Das ist im Bereich von unter einem Prozent. Tatsächlich."

Panorama: "Ihr Verband hatte gesagt, dass in diesem Jahr 900.000 Tonnen Plastik durch Chemisches Recycling hergestellt werden sollte. Nach Ihren eigenen Informationen liegen Sie nicht mal bei 100.000. Ist das richtig?"

Christine Bunte: "Die aktuellen Zahlen muss ich tatsächlich auch noch mal nachschauen. Ich sehe aber auch, dass die Entwicklung und oder auch die Hoffnungen, die man hatte, aktuell noch nicht erreicht wurden."

Nach Panorama-Recherchen werden weit weniger als 100.000 Tonnen durch Chemisches Recycling gewonnen, also nur etwa 0,1% der gesamten Produktion. Das habe wirtschaftliche und technische Gründe, erklärt der Ökonom Henning Wilts vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. Unternehmen hätten weder genug in das Chemische Recycling investiert, noch funktioniere es in der Breite.

O-Ton Prof. Henning Wilts, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: "Ich glaube jeder, der verspricht, dass chemisches Recycling unser Plastikproblem löst, der verkennt für welche kleinen Mengen, das eigentlich sinnvoll ist, welche Investitionen dafür notwendig wären. Also für mich ist das ein kleiner Baustein, ein wichtiger Baustein, aber es löst nicht unser Plastikproblem."

Und so räumt auch der Verband der Plastikindustrie ein, dass es verschiedene Schwierigkeiten mit dem Chemischen Recycling gibt.

O-Ton Christine Bunte, Geschäftsführerin Plastics Europe: "Das eine sind tatsächlich die Kosten, die mit der Herstellung der recycelten Kunststoffe einhergehen. Und dass für diese Kunststoffe dann oft kein Markt besteht. Das heißt, hier haben wir noch ein Nachfrage-Defizit. Es gibt auch in Teilen technologische Entwicklungen, wo man einfach feststellt, man hat technologisch noch Rückschritte erlebt, die man in der Zukunft noch ausbauen muss."

BASF setzt dennoch weiter auf Chemisches Recycling. Das Unternehmen schreibt, dadurch könne man die Gesamtrecyclingquoten erheblich steigern. Doch klimaneutrales Plastik bis 2050 scheint entgegen der Industrie-Versprechen unerreichbar, und zwar noch aus einem weiteren entscheidenden Grund. Der weltweite Plastikverbrauch steigt und steigt. Und nach Prognosen werden die Menschen auch in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Plastik nutzen. Vor allem in Schwellenländern, wo der Wohlstand steigt.

So baut BASF in China ein gigantisches neues Werk. Hier sollen riesige Mengen an Öl verarbeitet werden für noch mehr neues Plastik. BASF glaubt trotz des Wachstums an seine Klimaziele. Den Juristen Helmut Maurer ärgert das. Er hat bis vor wenigen Jahren als Beamter für die EU-Kommission gearbeitet, war mit für die Regulierung der Plastikindustrie zuständig. Das Versprechen der Branche, durch Recycling klimaneutral zu werden, hält er schlicht für Augenwischerei.

O-Ton Prof. Helmut Maurer, ehemals Generaldirektion Umwelt EU-Kommission: "Das ist eine Imagekampagne. Es geht darum, den Menschen weiszumachen, dass chemisches Recycling ein Problem lösen kann, dass mechanisches Recycling noch nie lösen konnte, auch in Zukunft nicht lösen wird. Und dass die Überproduktion von Plastik kein Problem darstellt. Das war nicht wahr, ist nicht wahr und wird auch nie wahr werden. Das müssen die Bürger wissen."

In den USA wird der Plastikhersteller und Öl-Gigant ExxonMobil nun sogar verklagt. Der Generalstaatsanwalt von Kalifornien wirft dem Konzern eine Lüge vor. Mit der Werbung für Recycling täusche Exxon vor, damit das Plastikproblem zu lösen. Auf unsere Anfrage dazu antwortete Exxon nicht. Auch der Plastikindustrie-Kenner Helmut Maurer hält es dagegen für naheliegend, dass Verbraucher über die realistischen Möglichkeiten des Chemischen Recyclings getäuscht würden.

O-Ton Prof. Helmut Maurer, ehemals Generaldirektion Umwelt EU-Kommission: "Das chemische Recycling dient - an diesem Beispiel gezeigt bei ExxonMobil, und das ist nichts anders in der Europäischen Union - als Mäntelchen, als Marketinginstrument, um die Bürger glauben zu machen, dass es ein Weg gäbe, um Kunststoffproduktion klimaneutral zu machen."

O-Töne
Panorama:
"Wir haben mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesprochen, und die halten ihr Versprechen, Plastik bis 2050 klimaneutral zu machen, für Augenwischerei."

Christine Bunte, Geschäftsführerin Plastics Europe: "Wir haben unsere Strategie auch von Experten checken lassen, inwieweit die das für realistisch halten, dass wir mit den oder mit den geplanten Maßnahmen bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Und da kommen wir tatsächlich zu der Annahme, dass das für europäische, für die europäische Produktion möglich ist."

Fest steht aber: Es werden noch nicht einmal die Ziele für dieses Jahr erreicht.             

O-Ton Prof. Helmut Maurer, ehemals Generaldirektion Umwelt EU-Kommission: "Es hat in der Vergangenheit nicht funktioniert, es wird in der Zukunft nicht funktionieren. Es gibt nur einen Weg. Wir müssen reduzieren. Wir müssen weniger Kunststoffe herstellen. Und daran führt leider auch überhaupt kein Weg vorbei."

Und ja, das ist eine Riesenherausforderung für die ganze Gesellschaft. Aber es wäre ein erster Schritt, wenn die Industrie ehrlicher wäre. Damit allen klar wird, rechtzeitiger Klimaschutz kann nur durch deutlich weniger Plastik erreicht werden.

Bericht: Christian Baars, Oda Lambrecht, Nils Naber, Verena von Ondarza
Kamera: Andrzej Król, Henning Wirtz
Schnitt: Markus Ortmanns, Louisa Reimers

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.04.2025 | 21:45 Uhr

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