Wie Bottrop den Klimaschutz beim Wohnen vorantreibt
Für den Klimaschutz in Deutschland müssen viele bestehende Wohnhäuser fit für die Zukunft gemacht werden. Es geht dabei um die Dämmung und um klimafreundliches Heizen. Die Stadt Bottrop in Nordrhein-Westfalen zeigt, wie man die Menschen dazu bringt.
Ausgerechnet Bottrop! Die Stadt im Ruhrgebiet lebte über Generationen hinweg vom Bergbau und vom Geschäft mit der Kohle. Dort gab es das letzte Steinkohle-Bergwerk Deutschlands, das erst vor drei Jahren - am 21. Dezember 2018 - endgültig geschlossen wurde. Aber die 117.000-Einwohner-Stadt hatte schon in den Jahren zuvor das Thema Klimaschutz entdeckt - und will nun auf lange Sicht klimaneutral sein.
Gerade bei der Sanierung von Wohnhäusern hat Bottrop den allermeisten Städten in der Bundesrepublik einiges voraus. So haben es die Bottroper schon geschafft, in einem Modellgebiet mit 70.000 Einwohnern innerhalb von zehn Jahren die klimaschädlichen CO2-Emissionen zu halbieren. Von diesen Einsparungen geht fast die Hälfte auf das Konto von modernisierten Wohnungen und Häusern.
Es geht nicht um die perfekte Sanierung
Und während in ganz Deutschland zuletzt pro Jahr weniger als ein Prozent der Gebäude energetisch saniert wurde, waren es in Bottrop immerhin mehr als drei Prozent. Das Erfolgsrezept: Mit vielen Info-Veranstaltungen ist es gelungen, die Menschen zu motivieren, ihre Häuser zu dämmen und die alte Ölheizung abzuwracken. Der Grundsatz dabei lautet: Es muss nicht die aus Sicht des Klimas perfekte Sanierung sein - auch nur wenige Maßnahmen sind besser als nichts.
Bei den Lachnichts hat die alte Heizung ausgedient
So ist es auch bei der Familie Lachnicht aus Bottrop. Sie wohnt in einem Einfamilienhaus aus den 1950er-Jahren. Jan Lachnicht ist Lehrer am Berufskolleg Bottrop, seinen Großeltern gehörte das Haus. Der Großvater war Bergmann. Nun lebt Enkel Jan dort mit seiner Frau Nina und den beiden Kindern. Im Keller ist die alte Gasheizung ausgebaut und ein Fernwärme-Anschluss installiert worden. "Das heißt, wir sind jetzt völlig autark von fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas", sagt der 43 Jahre alte Lachnicht. Mehr als 90 Prozent der Fernwärme kommen in Bottrop aus der klimaschonenden Kraft-Wärme-Kopplung. Das heißt: Wärme, die ohnehin in der Industrie, bei der Müllverbrennung oder in Kraftwerken entsteht, wird fürs Heizen genutzt.
Und dann konnte das Dach ausgebaut werden
Nicht nur für den Klimaschutz ist der Austausch der Heizung bei den Lachnichts ein Gewinn. "Für uns ist es ein großer Vorteil, dass wir dank der Fernwärme den großen Kamin als Teil der Gasheizung nicht mehr brauchten." Nachdem der Kamin zurückgebaut worden war, konnte die Familie das Dachgeschoss ausbauen. Aus einer dunklen, verstaubten Abstellkammer ist ein heller, großer Raum mit Dachfenstern, Balken und Laminatboden geworden, in dem jetzt die Tochter lebt. Zudem ist das Dach gedämmt.
Auf Fassaden-Dämmung verzichtet
"Das Haus braucht jetzt etwa ein Viertel weniger Energie, allein durch die Fernwärme und die Dach-Sanierung", schwärmt Lachnicht. Zudem hat die Familie doppelt verglaste Fenster einbauen lassen, die noch mal zehn Prozent Energie einsparen. Zusammen ergibt das eine Einsparung von 35 Prozent. Der Umbau hat insgesamt 150.000 Euro gekostet, dafür haben die Lachnichts knapp 14.000 Euro Förderung bekommen. Aber auf eine Dämmung der Fassade haben sie verzichtet.
"Entscheidend ist, dass die Energiekosten sinken"
Dass die Lachnichts bei der Sanierung nicht 100 Prozent rausgeholt haben, ist für den Energieberater Burkhard Drescher kein Problem: "Jetzt überall hinzugehen und die Häuser mit Dämmungen einzupacken, ist erstens nicht finanzierbar, weil es sehr teuer ist. Und andererseits: Man kommt viel weiter, wenn die Leute schrittweise in die Modernisierung einsteigen."
Drescher ist Chef der Firma "Innovation City Management" (ICM) in Bottrop. Er bietet zusammen mit seinem Team bereits seit elf Jahren kostenlose Energie-Beratungen an. "Die Energieberater haben die Leute an die Hand genommen und ihnen in ihren Häusern erklärt: Schau mal, wenn du die Fenster austauschst, könntest du 15 Prozent Kohlendioxid einsparen", berichtet Drescher. "Aber letztlich ist nicht die CO2-Einsparung entscheidend für die Hausbesitzer, sondern dass sie 15 Prozent der Energiekosten einsparen. Deshalb konnten wir sagen: Es rechnet sich - je nach Fall - für dich in fünf, sechs oder sieben Jahren."
Domino-Effekt bei der Sanierung
Der Start des Projekts sei alles anderes als einfach für ICM gewesen. "Am Anfang mussten wir erst einmal Überzeugungsarbeit leisten gegen die öffentliche Meinung, dass Klimaschutz Geld kostet." Aber das Bewusstsein ändert sich. Wer zunächst nur seine Heizung austauscht, lege oft mit weiteren energiesparenden Maßnahmen nach. "Wenn ich an meiner Heizkosten-Abrechnung sehe: Oh, die Zahlen werden kleiner! Dann sagen sich viele: Hey, das lohnt sich. Was kann ich sonst noch tun?"
Jedes vierte Haus ist nun saniert
Die Energieberater haben in Bottrop immer wieder Werbung gemacht - zum Beispiel in der Lokalzeitung. Zudem haben sie zu Info-Abenden eingeladen, bei denen es um die Themen Dach, Fenster, Heizung oder Photovoltaik ging. In diesen Veranstaltungen haben innerhalb von zehn Jahren rund 12.000 Bottroper gesessen. Zur Einordnung: In dem Modellgebiet gibt es insgesamt 12.500 Wohngebäude. Inzwischen ist dort etwa jedes vierte Haus saniert.
Immer bessere Heizungen: Viel weniger CO2-Emissionen als 1990
Auch wenn bundesweit beim Thema Gebäude-Sanierungen noch einiges im Argen liegt: In der Vergangenheit hat sich mit Blick auf den Klimaschutz schon viel getan. Von 1990 bis 2016 konnten in Deutschland in diesem Bereich rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen eingespart werden. Geholfen haben der Abschied von Kohle-Heizungen, die Sanierung von Gebäuden - aber auch modernere Heizungssysteme, die effizienter heizen, wodurch auch Öl- und Gasheizungen klimafreundlicher geworden sind. Jedoch gibt es noch viel zu tun.
"Es gibt nicht den einen Brennstoff, der alle Probleme löst"
"Wichtig ist nun, die flächendeckende Sanierung der bestehenden Gebäude voranzutreiben", sagt Elisabeth Endres. Die Professorin leitet an der Technischen Universität Braunschweig das "Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur". Wie könnte das klimaschonende Heizen der Zukunft aussehen? "Sicherlich ist es der falsche Weg, darauf zu hoffen, dass der eine Brennstoff zum Heizen erfunden wird, der uns aus dem ganzen Dilemma mit den hohen CO2-Emissionen herausbringt", sagt Endres im NDR Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise".
Wärmepumpen sind wichtig für den Klimaschutz
Vielmehr brauche es verschiedene Lösungen. Hierzu zählen ihrer Ansicht nach Wärmepumpen in Häusern. "Sie sind für uns eine der wichtigsten Lösungen, um auf eine CO2-neutrale Versorgung zu kommen. Zumal die Wärmepumpen in den vergangenen Jahren immer weiterentwickelt worden sind", macht Endres deutlich. Eine Wärmepumpe ist eine Heizung, die die in der Umwelt gespeicherte thermische Energie nutzt. Anders als bei Holz-, Öl- oder Gasheizungen funktioniert das Heizen nicht durch das Verbrennen von Brennstoffen.
Als weitere klimafreundliche Lösungen nennt Endres Fernwärme aus der Kraft-Wärme-Kopplung - also Wärme, die als "Abfall-Produkt" beispielsweise in der Industrie entsteht - und Geothermie. Bei der Geothermie wird Erdwärme oder heißes Wasser aus tiefen Bodenschichten "angezapft".
Nachbarn fragen neugierig nach
Für den Energieberater Drescher aus Bottrop sind auch Solaranlagen auf dem Dach ein guter Weg, um den Umbau hin zu einer klimaneutralen Energie-Gewinnung zu schaffen. Der Experte meint, dass das Ruhrgebiet sich zweimal selber mit Strom versorgen könnte, wenn das Photovoltaik-Potenzial genutzt würde. Jede Solaranlage auf dem Dach habe einen Effekt auf die Umwelt: "Wenn ein Hausbesitzer eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach hat, dann sehen das ja die Nachbarn und fragen: Was hast du denn dafür bezahlt? Was bringt das? Und über diesen Weg von unten kommt die Energiewende und der Klimaschutz voran. Das funktioniert", sagt Drescher.
Auch im Norden sind die Experten aus Bottrop gefragt
Das Erfolgsmodell in Bottrop hat sich inzwischen herumgesprochen. 20 Städte im Ruhrgebiet haben die Strategie übernommen. Und die Bottroper Energieberatungs-Firma ICM arbeitet mittlerweile auch in Norddeutschland. In Hamburg-Wilhelmsburg haben die Experten zum Beispiel für eine Wohnungsbaugesellschaft mit den Mieterinnen und Mietern über eine geplante Sanierung gesprochen. Dabei kam folgende Abmachung heraus: Die Mieter zahlen nach der Sanierung zwar mehr Kaltmiete, dafür aber kaum mehr Warmmiete als vorher, weil ihre Energiekosten sinken. Und zudem wurden noch die Badezimmer modernisiert. Das hatten sich viele Mieter gewünscht. Auch hier lautet die Botschaft: Klimaschutz lohnt sich.