Von Dong Energy zu Ørsted: Früher Klimakiller, jetzt Klimaretter
Dong Energy wollte Kohlekraftwerke in Norddeutschland bauen - und scheiterte 2009 am Widerstand von Politikern und Umweltschützern. Daraufhin wandelte sich das dänische Unternehmen radikal - und ist heute unter dem Namen Ørsted Vorreiter beim Klimaschutz. Die erstaunliche Geschichte ist der Schwerpunkt in Folge 1 des neuen Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise" von NDR Info.
In Norddeutschland hat der Name Dong Energy lange Zeit keinen guten Klang gehabt, vor allem bei Umweltschützern und so manchen Lokalpolitikern. Denn Dong Energy wollte im Norden große Kohlekraftwerke bauen. So sollte ab 2008 in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern für zwei Milliarden Euro ein Steinkohlekraftwerk entstehen. Auch für Emden gab es ähnliche Pläne. Aber beide Projekte wurden nicht verwirklicht. Zu groß war der Widerstand vor Ort gegen die klimaschädlichen Kraftwerke. Und so nahm Dong Energy im Jahr 2009 notgedrungen Abschied von seinen Vorhaben. Für den dänischen Energie-Riesen sollte dieses Scheitern zugleich ein Wendepunkt sein - weg von einer klimaschädlichen Energie-Gewinnung, hin zu einem Vorzeige-Unternehmen für nachhaltiges Wirtschaften.
Ein neuer Name musste her
Den Namen Dong - als Abkürzung für Danish Oil and Natural Gas - legte das dänische Unternehmen schließlich im Jahr 2017 ab. Einfach weil der alte Name für Zeiten stand, die nun endgültig vorbei sein sollten. Denn das Unternehmen hatte beschlossen, seine Öl- und Gassparte zu verkaufen. Der neue Name Ørsted steht nun für das Geschäftsmodell der Zukunft. Namensgeber ist der dänische Wissenschaftler Hans Christian Ørsted (1777-1851), der als Mitbegründer der Elektrizitätslehre und Elektrotechnik bekannt ist.
Abschied auch vom letzten Kohlekraftwerk
Heute gilt Ørsted als weltweit größter Betreiber von Offshore-Windparks - und als eines der nachhaltigsten Unternehmen. 2020 wurde Ørsted mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Unternehmen im Bereich Klima ausgezeichnet. Die Zwischenbilanz kann sich tatsächlich sehen lassen: Von 2006 bis 2020 hat Ørsted seine Treibhausgas-Emissionen nach eigenen Angaben um 87 Prozent gesenkt. Zwar ist die Zeit der Kohlekraftwerke im Unternehmens-Portfolio noch nicht vorbei. Aber im Jahr 2023 will Ørsted vollständig aus der Kohleverbrennung ausgestiegen sein und die Emissionen aus der Stromerzeugung nahe Null bringen. So sollen dann in Kalundborg, wo zur Zeit eines der größten Kohlekraftwerke Dänemarks steht, nur noch nachhaltig produzierte Holzhackschnitzel als Brennstoff genutzt werden. Allein durch diesen Schritt sollen rund 800.000 Tonnen an jährlichen CO2-Emissionen eingespart werden, was laut Ørsted mit dem CO2-Ausstoß von etwa 400.000 Autos gleichzusetzen ist.
Aber damit nicht genug: Das Energie-Unternehmen will bis 2040 komplett klimaneutral wirtschaften. Zudem sollen die Windturbinenblätter weltweit nach der Stilllegung entweder wiederverwendet oder recycelt werden.
"So eine Entscheidung ist unglaublich schwierig"
Wie konnte dieser Schwenk vom KIimakiller zum Klimaretter gelingen? "Solch eine Entscheidung zu treffen, ist natürlich unglaublich schwierig", erzählt Malte Hippe von Ørsted. Er ist verantwortlich für die Offshore-Windparks in Europa. "Aber sobald die Entscheidung getroffen ist, ist es wichtig, sie wirklich radikal umzusetzen und auch Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig wehtun - etwa wenn man sich ein Geschäft durch die Lappen gehen lässt, das eigentlich profitabel erscheint."
Das Scheitern der Kohlekraftwerks-Pläne für Lubmin hatte im Vorstand und im Aufsichtsrat große Diskussionen ausgelöst. "Wir haben uns gefragt: Ist es noch ein nachhaltiges Geschäftsmodell, Milliarden-Summen in Projekte zu investieren, bei denen immer mehr Menschen offen dagegen sind?", berichtet Hippe. Vom Strom, den das Unternehmen damals produzierte, kamen 85 Prozent aus Öl, Gas und Kohle, nur 15 Prozent aus erneuerbaren Energien.
Ein Kurswechsel mit Folgen
Der strikte Kurswechsel hatte vorübergehend auch Schattenseiten: Zwischen 2012 und 2016 strich Ørsted Hunderte Stellen und häufte einen Verlust von mehr als 1,3 Milliarden Euro an. Aber das Unternehmen hielt an seinem neuen Kurs fest - und gab Milliarden Euro aus für die Umrüstung der bestehenden Kohlekraftwerke, die vor allem in Dänemark stehen. "Der unternehmerische Druck ist natürlich auch da", sagt Hippe. "Ein Unternehmen, das überhaupt keinen Profit macht, macht auf Dauer keinen Sinn und ist auch nicht nachhaltig." Aber inzwischen ist Ørsted gut aufgestellt. Rund ein Viertel aller Windräder auf den Weltmeeren gehören dem Energie-Konzern. "Das ist eine Welle, die - wenn man sich einmal für sie entschieden hat - selbstständig an Fahrt zunimmt."
Energiewende: "Wir sollten nicht nur über Vorreiter reden"
Die Energiewende-Expertin Brigitte Knopf sieht in Ørsted einen wichtigen Vorreiter. "Das Beispiel zeigt, dass eine Transformation hin zu erneuerbaren Energien wirtschaftlich machbar ist", sagt Knopf in der ersten Podcast-Folge von "Mission Klima - Lösungen für die Krise". Die Physikerin ist stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, den die Bundesregierung berufen hat. "Wir müssen aber letztlich davon wegkommen, dass wir immer nur über Vorreiter reden. Denn die Öl- und Gas-Sparte, die Ørsted verkauft hat, wird nun von anderen weiterbetrieben", sagt Knopf. Nötig sei vielmehr, dass die Politik nachziehe und Rahmenbedingungen schaffe, die es allen Unternehmen ermöglichen, die Transformation hin zu einem klimaneutralen Wirtschaften zu bewerkstelligen. Zu diesen Rahmenbedingungen zählt Knopf einen verlässlich ansteigenden Preis für das klimaschädliche Kohlendioxid.
Die Energiewende sei die Grundlage für den notwendigen Prozess. "Die Umstellung auf erneuerbare Energien im Stromsektor ist die wichtigste Basis", so Knopf. "Wir brauchen ganz viel Strom: Im Jahr 2030 müssen die erneuerbaren Energien etwa drei Mal so viel bereitstellen wie heute."
Der größte Offshore-Windpark Deutschlands ist schon geplant
Ørsted hat weiterhin große Pläne im Bereich der Windenergie. Bislang haben die Dänen in Deutschland vier Offshore-Windparks errichtet - mit aktuell 231 Windrädern. Sie heißen: Borkum Riffgrund 1 und 2 sowie Gode Wind 1 und 2. Ihre Gesamtkapazität: 1,3 Gigawatt - so viel wie bei einem mittelgroßen Atomkraftwerk. In Kürze werden voraussichtlich zwei weitere Projekte hinzukommen: 2024 soll Gode Wind 3 in Betrieb gehen. Ein Jahr später könnte Borkum Riffgrund 3 folgen - als größter Offshore-Windpark in Deutschland überhaupt. Die sechs Ørsted-Windparks zusammen könnten dann ausreichend "grünen" Strom produzieren, um jährlich mehr als zwei Millionen deutsche Haushalte zu versorgen.
In Norddeich stehen Entstörungsteams bereit
Ein wichtiger Standort von Ørsted ist Norddeich. Dort steht die Zentrale für den Betrieb der Offshore-Windparks in der Nordsee. Chef vor Ort ist Thijs Schless. "Bei 231 Windrädern passieren im Prinzip täglich Störungen. Nicht alle sind sehr besorgniserregend und problematisch. Aber jede sollte sich angeguckt werden", sagt Schless. In Norddeich hat Ørsted deshalb sogenannte Entstörungsteams stationiert. Sie fahren im Falle einer Störung - oder für generelle Wartungsarbeiten - mit Schiffen raus zu den Windparks, die etwa 60 Kilometer von der Küste entfernt liegen. An Bord sind jeweils bis zu 24 Technikerinnen und Techniker. Morgens brechen sie auf, abends kehren sie zurück. Fünf Stunden dauert allein die Fahrt - hin und zurück. Zusätzlich steht ein Helikopter zur Verfügung.
Riesen-Aufwand für den Betrieb eines Windparks
"Wir sind ein Kraftwerksbetreiber", sagt Schless. "Das heißt, wir arbeiten 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag für eine verlässliche Stromversorgung. Stellen Sie sich vor, Sie machen morgens die Kaffeemaschine an, möchten Kaffee trinken und dann wäre kein Strom da. Da hätten sie wahrscheinlich wenig Verständnis für." Die Lage der Windräder bringt es mit sich, dass eine Reparatur sehr aufwendig ist - aufwendiger als beispielsweise in einem Kohlekraftwerk. Dort muss nicht bei jeder Störung ein Team erst mit dem Schiff aufbrechen, um nach Stunden am Einsatzort zu sein - vorausgesetzt, das Wetter spielt überhaupt mit. Aber damit muss Ørsted nun klarkommen - nach dem selbst gewählten Abschied von der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken.