Protest von Iranern im Norden - "Alle müssten auf die Straße"
Etwa ein Monat ist seit dem Tod von Mahsa Amini im Iran vergangen - seitdem gibt es dort Proteste. Auch in Norddeutschland solidarisieren sich viele Menschen mit den Demonstrierenden. Iranerinnen und Iraner organisieren etwa in Hamburg oder Hannover Protestaktionen - und wünschen sich dabei noch mehr Unterstützung.
Hadis, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte, lebt seit fünf Jahren in Hamburg. Sie ist eine der Studentinnen und Studenten, die in der Hansestadt Demos gegen das iranische Regime organisieren. Vor zwei Wochen war sie noch in Teheran. Von dieser Reise zeigt sie ihrem Mitstreiter Mehrdad in einem kleinen Raum in der Uni auf dem Smartphone Bilder: Hadis und ihre Cousine stehen vor einem Shopping-Center - beide ohne Kopftuch als Zeichen des Protests. Früher wären sie vorsichtiger gewesen.
"... und dann haben wir die Kopftücher abgenommen"
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini habe alles verändert, sagt Hadis: "Wir haben uns gefragt, wie können wir uns äußern? Vielleicht nicht mit Molotowcocktails auf der Straße, aber auf friedliche Weise. Und dann haben wir unsere Kopftücher abgenommen." Normalerweise ist das strengstens verboten. Doch die Hauptstadt Teheran und weite Teile des gesamten Landes sind seit Aminis Tod im Ausnahmezustand. Zurück in Deutschland wollte sich die Studentin weiter für die Menschen in ihrem Land einsetzen. "Hier möchte ich ihre Stimme sein", sagt Hadis.
Auch Mehrdad demonstriert gegen das Regime und organisiert Protestaktionen - und auch er möchte aus Angst seinen Nachnamen nicht nennen. Dass die iranische Community in Hamburg geschlossen zusammensteht, war aus seiner Sicht nicht selbstverständlich: "Das Regime hat uns 43 Jahre lang gelehrt, einander zu misstrauen", erzählt Mehrdad. Die unterschiedlichen Gruppen - mit zum Teil sehr unterschiedlichen politischen Ansichten - seien sich jetzt aber einig gewesen: "Sie wollen dieses Regime und dieses System nicht mehr."
Ilkhanipour: "Zum ersten Mal haben wir Hoffnung"
Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Danial Ilkhanipour (SPD) ist von dem Zusammenhalt beeindruckt. Der Jurist ist in Elmshorn geboren, seine Eltern stammen aus dem Iran. "Diese Proteste sind ganz anders als die der vergangenen Jahre. Zum ersten Mal haben wir Hoffnung", sagt Ilkhanipour. "Doch wir brauchen auch hier mehr Solidarität, mehr Unterstützung", so der Politiker.
So sieht es auch Hanif Mahoutchiyan. Der Student mit iranischen Wurzeln ist Mitglied der Jungen Union und hat die Demokratisch Iranische Jugend mit gegründet. Um die Menschen im Iran zu unterstützen, brauche es mehr Sichtbarkeit - wie bei den Protesten 2019 nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd. "Damals war die Solidarität sehr groß und auch zu Recht. Da sind wir auch alle demonstrieren gegangen", sagt Mahoutchiyan. Die weltweiten Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung hätten viel mehr Menschen auf die Straßen getrieben. "Da war das Thema klar. Es ging um Rassismus. Bei diesem Thema ist es nicht ganz so klar. Es geht um Frauenrechte, um Menschenrechte. Aber vor allem geht es um die Unterdrückung, die seit 43 Jahren im Iran stattfindet", erklärt Mahoutchiyan.
Verbrennen von Kopftüchern führt zu Missverständnissen
Das Verbrennen der Kopftücher, der Ruf nach Freiheit würde im Westen oft zu einem Missverständnis führen, sagt Mehrdad. "Viele setzen das gleich mit einer anti-islamischen Haltung", sagt der 30-Jährige. Es gehe aber nicht um Religion, sondern um einen Iran, der frei sein soll von Unterdrückung. Die Menschen im Iran kämpften für die Werte, die Europäer hochhalten würden, sagt Hadis. "Daher müssten alle auf die Straße."
Auch Ilkhanipour sieht in einer großen Protestwelle eine große Chance: "Aufmerksamkeit rettet Leben. Das Regime will in Dunkelheit agieren, deswegen haben sie das Internet zum Teil abgeschaltet. Aber sie schaffen es nicht, weil die ganze Welt zuschaut."
Forderung nach weiteren Sanktionen gegen Iran
Genauso wichtig wie die Solidarisierung auf der Straße sei jetzt eine politische Antwort, betonen die Studierenden Mahoutchiyan, Mehrdad und Hanis. Sie fordern weitere Sanktionen gegen das Regime. Andere Länder seien da weiter als Deutschland. "In Kanada haben sie Geld von Regimetreuen eingefroren und ihnen das Visum entzogen. Das muss auch in der EU so sein", meint Hadis. Alle drei Studierende fordern die Schließung vom Islamischen Zentrum (IZH) in Hamburg. Es wird seit Langem vom Verfassungsschutz beobachtet und gilt als Europa-Zentrale Teherans.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat kürzlich Sanktionen nach kanadischem Vorbild angekündigt. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ilkhanipour aus Hamburg wünscht sich von der Bundesregierung ein schnelleres und härteres Durchgreifen. "Wir haben im Russland-Konflikt gesehen, dass es durchaus möglich ist, schnell und effektiv Sanktionen gegen die Machthaber, gegen die Eliten, zu beschließen. Das brauchen wir. Wir brauchen dieselbe Tonart wie wir sie gegenüber Putin haben", fordert er.
Bis sich auch politisch etwas tut, geht die iranische Community weiter auf die Straße - auch in Norddeutschland.
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