Ein selbst organisierter Recyclinghof auf Bali. © NDR Foto: Jennifer Johnston
Ein selbst organisierter Recyclinghof auf Bali. © NDR Foto: Jennifer Johnston
Ein selbst organisierter Recyclinghof auf Bali. © NDR Foto: Jennifer Johnston
AUDIO: Bali: Lösungen gegen Müll an Land und Korallensterben unter Wasser (5 Min)

Müllberge auf Bali: Ein deutsch-indonesisches Team packt an

Stand: 27.05.2024 12:42 Uhr

Auf der Trauminsel Bali wird die Umweltverschmutzung zunehmend zum Problem. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Fischerorts Padang Bai rund um die Deutsche Claudia Koch tun alles, um ihr Zuhause wieder aufzubauen.

von Jennifer Johnston

Indonesien ist laut den Vereinten Nationen der zweitgrößte Plastikverschmutzer der Welt. Ein großer Teil des Plastikmülls landet im Meer. Ein Ort mit etwa 3.500 Einwohnern auf der indonesischen Ferieninsel Bali will das nicht weiter hinnehmen. Gemeinsam mit der Bürgermeisterin von Padang Bai hat es Claudia Koch, eine dort ansässige Deutsche, geschafft, eine effektive Müllabfuhr zu etablieren. Doch damit nicht genug: Ihr Projekt zielt darauf ab, Probleme an Land und unter Wasser anzugehen. Denn auch die Korallenriffe haben über Jahrzehnte unter Fischerei, Sonnencreme und dem Abschlagen als Baumaterial gelitten. Die Vision des Teams ist groß: Neben Müllabfuhr und Recycling gehört auch der Aufbau der Riffe dazu.

Ziel: Aufbau mariner Ökosysteme

Claudia Koch von der Living Seas Foundation arbeitet mit Korallen. © Living Seas Foundation
Claudia Koch hat sich mit der Living Seas Foundation der Erhaltung und Aufforstung mariner Ökosysteme verschrieben.

Die deutsche Tauchlehrerin Claudia Koch hält ein Stück harter Steinkoralle in der Hand, zeigt es in die Runde und mahnt zur Eile: "Die Korallen sollten immer nur ganz kurze Zeit an der Luft sein. Das heißt wir müssen hier ein bisschen Gas geben." Geübt nimmt die 53-jährige zwei Kabelbinder und schnürt das Korallenstück an ein sternenförmiges Metallgerüst. Das Metall ist mit Meeressand ummantelt. Das soll die Korallen beim Wachstum unterstützen. Ihr Ziel ist der Wiederaufbau mariner Ökosysteme: "Fische brauchen in einem intakten Lebensraum, ähnlich wie wir, Häuser, Infrastruktur und Orte, wo sie sich verstecken können." Dafür will Claudia Koch gemeinsam mit ihrem Mann Peter, den Bewohnern des Dorfes Padang Bai und Freiwilligen aus Deutschland sorgen. Über Jahrzehnte haben die Korallenriffe hier an der Ostküste Balis unter unsachgemäßer Fischerei, Sonnencreme mit schädlichen Inhaltsstoffen und Plastikmüll gelitten. Große Teile des Riffs wurden sogar abgeschlagen, um es als Baumaterial für Wohnhäuser und Hotels zu nutzen.

Touristen packen tatkräftig mit an – aus Überzeugung

Touristen und Einheimische fahren auf Bali mit einem Boot raus aufs Meer. © NDR Foto: Jennifer Johnston
Falko und Yvonne (rechts im Bild) auf dem Weg zum Korallenriff.

Claudia Koch weiß, dass Umweltschutz auch ein wirtschaftlicher Faktor ist: "Wenn der Ozean hier ohne Leben ist, dann kommen keine Touristen. Dann kommen weder Yvonne noch Falko zum Tauchen hierher und davon lebt das Dorf." Yvonne und Falko aus Kassel stehen neben Claudia auf einer schwimmenden Plattform vor der Küste des Fischerortes. Die beiden haben gerade Urlaub. Sie helfen Claudia, die Korallenstücke mit Kabelbindern an dem Metallgerüst zu befestigen. Falko sagt: "Ich habe tatsächlich das Gefühl, etwas zurückgeben zu können für die lange Zeit, die ich schon unter Wasser genossen habe." So sieht es auch Andrea Rau. Die gelernte Krankenschwester und Profi-Taucherin vom Bodensee verbringt einen Monat in Padang Bai, um beim Aufbau des Korallenriffs zu helfen. Normalerweise, sagt sie, gehe man Tauchen, um sich an der Unterwasserwelt zu erfreuen. Jetzt mache sie aktiv etwas Sinnvolles: "Ich gebe den Fischen, die ich angucken möchte, ein Zuhause. Das ist es, was mich hier fasziniert."

Korallenriffs brauchen intensive Pflege

2.600 Quadratmeter Korallenriff haben Claudia Koch und ihr Team inzwischen wieder aufgebaut. Das ist etwa so groß wie sechs Basketballfelder. Dabei ziehen sich die Taucher*innen an einem Seil in die Tiefe und setzen ihre bepflanzten Korallensterne dort aus. Die Acropora-Korallen wachsen zehn Zentimeter pro Jahr - eine sehr schnell wachsende Korallenart. Umso größer das Riff werde, umso mehr Zeit koste jedoch auch die Pflege. Bis sie die Korallen sich selbst überlassen können, vergehe rund ein halbes Jahr. Vorher müssten die Korallenstücke teils neu befestigt werden, tote Korallen ausgetauscht oder von Sand und Algen befreit werden. Es sei wie mit der Pflege eines Gemüsegartens oder der Rundum-Betreuung kleiner Kinder. "Manchmal werden die Korallen auch ganz locker", erklärt Claudia, "Wir befestigen sie dann mit einem Kabelbinder, damit das Riff gesund bleibt und gut wachsen kann."

Professionelle medizinische Versorgung kommt aus Hamburg

Für die teilweise anspruchsvollen Tauchgänge zum Riff braucht es natürlich ein bisschen Übung und entsprechende Einweisung. Dafür ist Ragino Fagner der richtige Mann. Er schult die Taucher*innen für das Verhalten im Notfall. Als leidenschaftlicher Taucher kam er selbst vor Jahren nach Bali und beteiligte sich aktiv an der Restauration von Riffen vor Ort. Schnell entstand die Idee einer Vereinsgründung und die Livingseas Foundation war geboren. Fagner sagt:

"Mir war es wichtig, damit auch in Deutschland ein Bewusstsein für die Bedeutung mariner Ökosysteme zu schaffen. Schließlich verpflichten wir uns im Rahmen der Sustainable Development Goals des Pariser Klimaschutzabkommens dazu, diesen Lebensraum zu schützen."

Ragino Fagner im Einsatz auf einer Offshore Plattform. © AMS GmbH
Ragino Fagner liefert auch medizinisches Material für die Erstversorgung von Patienten vor Ort.

Ragino Fagner bringt dafür ein paar wichtige Kenntnisse mit. Lange war er für Seawatch und als Notfallsanitäter in Kriegsgebieten im Einsatz. Vor zwei Jahren gründete er dann in Hamburg die AMS GmbH mit Fokus auf die Medizinische Versorgung in der Offshore Industrie - und ist damit seither Kooperationspartner der Naturschutzorganisation. Wie passt das zusammen? "Das Coral Restoration Team besteht größtenteils aus Einheimischen, jungen Erwachsenen. Die brauchen ein entsprechendes Selbstvertrauen im Umgang mit Notfallsituationen", erklärt Fagner. Er sorgt für jährliche Schulungen und angepasste Erste-Hilfe-Trainings und wenn er nicht vor Ort ist, gibt er telefonisch Anleitung bei Notfällen.

Größtes Problem: Der Müll

Am Strand von Padang Bai auf Bali liegt Müll © NDR Foto: Jennifer Johnston
Jeden Tag wird neuer Müll an den Strand von Padang gespült.

Beim Tauchen müssen Andrea und die anderen Freiwilligen die Korallen auch manchmal von Müll befreien. Heute haben sie unter Wasser gleich mehrere Plastiktüten eingesammelt: "Sobald die Wellen kommen, bringen sie den Müll mit. Das ist dann nicht so schön, wenn beim Tauchen überall der Müll rumschwebt", sagt Claudia. Darum hat sich das deutsche Ehepaar Koch mit seiner Stiftung Livingseas Foundation auch diesem Problem angenommen. Zusammen mit der Bürgermeisterin von Padang Bai haben sie eine der wenigen Müllabfuhren auf Bali aufgebaut. Auf dem Recyclinghof laden ein dutzend Arbeiter Müllsäcke auf einen großen LKW. Gerade ist der Platz überfüllt. Ein krasser Anblick, aber dennoch ein gutes Zeichen: "Es zeigt, dass er nicht hinterm Haus verbrannt wird oder im Fluss landet und am Ende dann Leben im Ozean absterben lässt", sagt Claudia.

Bevölkerung steigt langsam mit ein

Ein Müllfahrzeug in Padang Bai auf Bali. © NDR Foto: Jennifer Johnston
Die Tuk Tuks passen nicht durch die ganz schmalen Gassen. Dafür gibt es zwei neue Roller.

Jeden Morgen fährt ein dreirädriges Müll-Fahrzeug, ein sogenanntes TukTuk, durch die Straßen des 3.500 Einwohner-Ortes und sammelt den Abfall ein. Die Bürgermeisterin Ni Wayan Suparwati Surya Dewi ist stolz auf das, was sie in wenigen Monaten verändert haben. Viele Bürger trennten ihren Müll bereits zu Hause nach Papier, Plastik, organischen Bio-Abfällen. Aber sie weiß auch: "Es gibt auch noch viele faule Menschen. Seit Anfang des Jahres erklären wir den Menschen innerhalb eines Programms, wie sie ihren Müll zu sortieren haben. Wenn das klappt, wird es einfacher für uns, den Müllberg zu bewältigen." Der Plastikmüll wird verkauft, der organische Abfall zu Dünger verarbeitet. Von den Erlösen sollen die Arbeiter auf der Müllhalde besser bezahlt werden. Noch sei das Geld knapp. Jeder Bürger des Dorfes zahlt umgerechnet ein bis drei Euro dafür, dass der Müll regelmäßig abgeholt wird. Die Bürgermeisterin schaut nach vorn: "Auch wenn es einige Hindernisse gibt, sind wir optimistisch. Wir müssen Padang Bai sauberer machen."

Engagierte Jugendliche machen's vor

Dreckige Straßen, Flüsse und Strände schreckten Touristen ab. Aber von denen lebe das Dorf, sagt die Bürgermeisterin. Von der indonesischen oder lokalen Regierung auf der Insel erwartet sie keine Unterstützung. Dabei sei vor Kurzem eine Touristen-Steuer eingeführt worden, die zum Großteil auch zur Bekämpfung des Müllproblems genutzt werden soll. Die Bürgermeisterin meint, wenn sie das Problem nicht selbst lösen, mache es niemand.

Eine Müllhalde in Padang Bai auf Bali. © NDR Foto: Jennifer Johnston
Auf der Müllhalde von Padang Bai haben immer mehr Einheimische Arbeit gefunden.

Claudia Koch und ihr Mann Peter haben inzwischen ein Dutzend Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Dorf angestellt. Sie helfen bei der Müll-Trennung und vor allem bei der Instandhaltung des Riffs. Die Jugendlichen sitzen abends zusammen und erzählen sich von ihrem Job. So bekommen auch andere Interesse. Viele ihrer Eltern haben ein kleines Holzboot, das sie nutzen, um Touristen rauszufahren und es macht sie stolz, dass ihre Kinder jetzt in der Korallen-Restauration aktiv sind.

Zweitgrößtes Korallen-Projekt Indonesiens

Dika, Pung, Pasek und Pasa sind vier der Jungs, die sich engagieren. "Bevor wir hier Korallen gepflanzt haben, gab es keinen Fisch mehr", erzählen sie, "Jetzt gibt es wieder viel Leben unter Wasser." Sogar zwei Riff-Haie haben sie vor Kurzem gesichtet. Ein Zeichen, dass das Ökosystem sich erholt. Die Jungs waren vorher arbeitslos, haben im Supermarkt Regale eingeräumt oder Motorräder gewaschen. Im neuen Job lernen sie nebenher Englisch, erhoffen sich eine bessere Zukunft. Claudia und Peter Koch aus Deutschland schauen sich zufrieden an. Sie leben seit elf Jahren in dem Ort. Das Projekt haben sie während der Covid-Pandemie gestartet, eher aus Not, als keine Gäste mehr in ihre Tauch-Schule kamen. Jetzt haben sie sich ganz dem Korallenschutz verschrieben. Zusammen mit der lokalen Bevölkerung scheint das eine Erfolgsgeschichte zu werden: Ihr Riff ist inzwischen das zweitgrößte Wiederaufbau-Projekt Indonesiens.

Weitere Informationen
Ingenieur Michael Butter (r) und Wissenschaftler Mattis Wolf bei einem Feldversuch mit einer Drohen zur Erkennung von Plastikmüll in Meeren. © dpa-Bildfunk/DFKI Foto: Richard Kachel

KI-Systeme sollen Plastikmüll auf den Meeren erfassen

Die KI-Technologie aus Oldenburg hat erste Testflüge hinter sich. Erstmals wäre eine weltweite Bestandsaufnahme möglich. mehr

Ein Taucher aus dem Taucherteam von Andreas Buttny © NDR Foto: Katharina Seiler

Bergung von Geisternetzen: Küstenländer bewegen sich bei Kosten

Die Aktionen in Nord- und Ostsee sind teuer. MV und SH wollen Gelder für die aufwendigen Maßnahmen bereitstellen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 27.05.2024 | 11:05 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Meer und Küste

Klimaschutz

Umweltschutz

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Blick in das Plenum des Bundestags bei der Regierungsbefragung. © Kay Nietfeld/dpa

Neuwahl des Bundestags am 23. Februar: Positive Reaktionen aus dem Norden

Seit dem Ampel-Aus wurde über den Termin für die Neuwahl des Bundestags gestritten. Union und SPD haben den 23. Februar vorgeschlagen. mehr