Kein Wahlkampf auf Neuwerk: "Froh, dass wir verschont bleiben"
Deutschland ist zugepflastert mit Plakaten zur Bundestagswahl. In Hamburg kommt noch die Bürgerschaftswahl hinzu. Auf Marktplätzen stehen Infostände der Parteien. Politiker schicken Briefe an Erstwähler, klingeln an Haustüren. Am Wahlkampf kommt derzeit niemand vorbei. Außer... man lebt auf Neuwerk.
Schon bei der Anreise vom Festland wird deutlich: Neuwerk ist anders als der Rest von Hamburg. Zwar gehört die Nordseeinsel am Rande der Elbmündung zum Hamburger Stadtbezirk Mitte - aber vom Hamburger Rathaus ist Neuwerk rund 100 Kilometer entfernt.
Neuwerk: 20 Bewohner im Winter
Erst bei Ebbe, wenn die Nordsee sich verkrochen hat, kann die Reise beginnen. Zehn Kilometer weit mit dem Wattwagen über den Meeresgrund, kutschiert von Thomas Fischer. Er ist einer der rund 20 Neuwerker Einwohner. Seine Familie lebt in der 5. Generation auf der Insel. Fischers Weg übers Watt - ohne Erfahrung bei solch einem Wetter lebensgefährlich. "Ich gucke raus und muss wissen, wo ich bin. Das ist mein Job." Nach 45 Minuten: Ankunft auf Neuwerk - vom Schlick geht's wieder auf Pflastersteine.
Acht Quadratkilometer Wiesen und Schlick in der Nordsee
Neuwerk döst im Winterschlaf: Acht Quadratkilometer Wiesen und Schlick voller sensibler Tiere und Pflanzen. UNESCO-Weltnaturerbe. Wahlplakate? Infostände? Politiker-Besuche? Nichts davon - Neuwerk ist Wahlkampf-freie Zone. "Ich finde das tatsächlich ganz schön", sagt Carolin Rothfuß. Sie lebt seit fast zehn Jahren auf der Insel, leitet einen Naturschutzverein. "Wir waren letzte Woche drüben auf dem Festland. Wenn man die ganzen Plakate sieht, die Slogans, die teilweise draufstehen, finde ich das teilweise ziemlich grenzwertig und bin ganz froh, dass wir davon verschont bleiben und wir dann den Wahlkampf in dem Maße konsumieren können, wie es halt jeder von uns möchte".
Kein Wahlkampf - Trotzdem Wünsche an die Politik
Weil auf Neuwerk so wenige Menschen leben, lohnt sich dort offenbar kein Wahlkampf-Einsatz. In der Vergangenheit sind einzelne Politiker im Wahlkampf schon mal - von Medien begleitet - auf die Insel gefahren. Aber so was gab es laut Erinnerung der Bewohner schon lange nicht mehr. Der Wahlkampf ist also weit weg, trotzdem hat Rothfuß klare Wünsche an die Politik: Sie fordert mehr Einsatz gegen Artensterben und Klimakrise - auch, damit die Insel nicht irgendwann unbewohnbar werde.
"Du wirst hier keine Politiker finden, die sich um was kümmern"
Das Reich von Klaus Todemann ist seine Werkstatt. Er arbeitet bei der Hamburger Hafenbehörde und vermietet Stellplätze für Wohnwagen. Seine Frau betreibt einen Souvenirshop. Was Politiker so fordern und versprechen, interessiert Todemann schon lange nicht mehr. "Du wirst hier keine Politiker finden, die mal wirklich herkommen und sich dann um was kümmern. Da warten wir schon zu lange drauf."
Todemann fühlt sich gegängelt von Naturschutzauflagen. Die seien schlecht fürs Geschäft mit den Urlaubern, findet er. Mehr Klima- und Naturschutz - oder mehr Freiheit für die Wirtschaft? Eine der Grundsatzfragen, auch auf Neuwerk.
Nicht mal ein Wahllokal auf Neuwerk
Zurück bei Wattwagen-Unternehmer Thomas Fischer. Früher war es mal ein kleiner Betrieb mit vier Wagen. Übriggeblieben sind zwei. Bald kommen wohl auch diese beiden auf den Schrott. Fischers Kinder wollen den Betrieb nicht übernehmen: zu aufwendig, zu viel Bürokratie. Mutter Silke Fischer meint: "Wenn immer mehr kleine Betriebe aufgeben, weil sie zu Tode reglementiert wurden, dann verändert sich hier viel mehr und dann kippt die Stimmung erst recht. Dann wird das Klima hier noch kälter."
Ärger und Enttäuschung hin oder her - die Fischers sagen, sie würden immer wählen. Wie die anderen Neuwerker stimmen sie per Briefwahl ab. Ein Wahllokal gibt es auf der Insel nicht.