Brauchen wir in Deutschland wieder eine Wehrpflicht?
Auf die USA sei kein Verlass mehr in Sachen Verteidigung: Da sind sich Politiker und Politikexperten derzeit weitgehend einig. Die Konsequenz: Die EU und Deutschland wollen aufrüsten. Doch eine starke Verteidigung benötigt Personal. Braucht Deutschland also wieder eine Wehrpflicht?
Eine Straßenumfrage für NDR Info bringt kein einheitliches Bild zu dieser Frage: "Ich finde es eigentlich nicht schlecht, was für das Land zu tun. Andererseits finde ich, sollte man Leute auch nicht zwingen", sagt der 21-jährige Jonathan zu der Idee, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Julia ist Mutter eines Sohnes. "Wenn es eine Wehrpflicht mit alternativem Zivildienst gibt, würde ich das ganz gut finden. Aber Wehrpflicht für alle lehne ich ab."
Das strategische Ziel bestimmt das Wehrdienst-Modell
Pflicht oder freiwillig? Nur Männer oder auch Frauen? Welches Wehrdienst-Modell für Deutschland das beste sei, hänge vom Ziel ab, sagt Oberstleutnant Thomas Behr, Vorsitzender des Bundeswehrverbands Nord, im Interview mit NDR Info. "Man muss wissen, welchen Verteidigungsumfang man erreichen will oder muss im Bündnis." Davon könne man dann ableiten, welchen Streitkräfteumfang man brauche. "Und können wir den vielleicht tatsächlich nur mit einer Wehrpflicht erreichen? Zudem muss man sagen: Ein freiwilliges Dienstmodell - da ist schon der Begriff 'Wehrpflicht' eigentlich irreführend."
Zunächst die strategische Ausrichtung festzulegen, befürwortet auch Wissenschaftsoffizier Severin Pleyer von der Bundeswehr-Universität in Hamburg. "Wenn ich in kurzer Zeit ganz viele Soldaten brauche, weil ich mit einem Krieg rechne, dann muss ich natürlich ganz anders tätig werden, als wenn ich langfristig plane, junge Menschen wieder an der Waffe auszubilden."
"Der Dienst muss attraktiver werden"
Pleyer hält es für "unglaubwürdig", dass noch in diesem Jahr Wehrpflichtige ihren Dienst antreten. "Komplett auf das alte Wehrpflichtmodell umzustellen, wie sich das möglicherweise weite Teile der CDU oder auch andere Parteien wünschen, wird eher schwierig werden." Daher müsse man ohnehin zunächst auf Freiwilligkeit setzen.
Das aktuelle Freiwilligenmodell sei aber nicht attraktiv genug: "Wir müssten Menschen auch quittieren, dass sie einen Freiwilligendienst leisten, indem man zum Beispiel Vorteile genießt beim Studium." In der Bundeswehr gibt es aktuell etwa 15.000 Plätze für die Ausbildung von freiwillig Wehrdienstleistenden, von denen regelmäßig 5.000 unbesetzt bleiben.
Högl: Altes Wehrpflichtmodell nicht sinnvoll
Ähnlich äußerte sich auch die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD). Die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder einzuführen, sei keine gute Idee, sagte sie im Interview auf NDR Info. Das würde die Bundeswehr überfordern, denn: "Da fehlen die Ausbilder, da fehlen Stuben und auch Ausrüstung", sagte Högl. Sie halte die von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgeschlagene Wehrerfassung für sinnvoll. Und: "Ich bin ein großer Fan von einem Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen, in welchem Bereich auch immer." Das könne auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt verbessern, so Högl.
Oberstleutnant Behr wünscht sich ebenfalls einen attraktiveren Freiwilligendienst. Und er sieht zusätzliche Hürden. "Es ist natürlich auch ein Dienst, der viele Einschnitte im persönlichen Leben bedeutet. Das heißt, all die Dinge, die heute sehr wichtig sind: Individualismus, ständiger Zugang zu sozialen Medien, eine Work-Life-Balance. Das sind natürlich alles Dinge, die in den Streitkräften eher nicht täglich auf dem Programm stehen."
Das neue Modell müsse gerecht sein
Egal für welches Modell sich Deutschland entscheide - wichtig sei, dass der Eingriff in die Freiheit als gerecht wahrgenommen werde. Und dass sich die Gesellschaft darauf einige, dass es "sinnstiftend" sei, für Frieden und Freiheit eingesetzt zu werden, betont Behr. Pleyer weist außerdem darauf hin, den Blick zu weiten: "Wir fokussieren uns sehr viel auf die Soldaten. Aber andere Bereiche der Verteidigung, wie der Zivilschutz, sind eben auch brüchig."
Idee von Pistorius kam nicht zur Abstimmung
Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte bereits einen Wehrdienst nach schwedischem Modell vorgeschlagen. Die Idee ging noch durch das Kabinett - wegen des Ende der Ampel-Regierung beschäftigte sich aber der Bundestag nicht mehr damit. Pistorius' Pläne sehen vor, alle jungen Menschen eines Jahrgangs anzuschreiben, um sie nach ihrer Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst bei der Bundeswehr zu befragen. Junge Männer sollen verpflichtend antworten, junge Frauen können auf den Fragebogen freiwillig antworten. Die Eingezogenen leisten dann einen sechsmonatigen Grundwehrdienst.
Will man mittelfristig mehr Wehrpflichtige pro Jahr aufnehmen, bräuchte es laut Landeskommando Niedersachsen zusätzliche Ausbilder, Kasernen und Ausrüstung bei der Bundeswehr. Und klar ist auch: Sollten auch Frauen eingezogen oder die von der Union geforderte allgemeine Dienstpflicht eingeführt werden, bräuchte es eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit.
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