Bauernproteste: Besuch bei Wortführer Anthony Lee
Der Landwirt Anthony Lee erreicht über seine Social-Media-Kanäle mehrere Hunderttausend und ist einer der Wortführer der Bauernproteste. In seinen Videos verbreitet der Sprecher von "Landwirtschaft verbindet Deutschland" dabei auch immer wieder Aussagen, die von Kritikern als rechtspopulistisch eingeordnet werden. Lee sagt: Es brauche Zuspitzung, um überhaupt jemanden zu erreichen.
Anthony Lee steht am Scheunentor, an das er mit Reißnägeln ein DIN-A4-Blatt mit Fotos des grünen Landwirtschaftsministers und der grünen Umweltministerin geheftet hat: "Ja, Moin zusammen, heute mal wieder von unseren Lieblingsministern Herrn Özdemir und Frau Lemke", spricht Lee in sein Smartphone. In seinem neuen YouTube-Video greift er die Agrarpolitik der Grünen scharf an. Obwohl die EU die geplanten Flächenstilllegungen für Landwirte erst einmal ausgesetzt hat, würden die beiden grünen Minister hier nicht an einem Strang ziehen, kritisiert der bäuerliche Influencer: "Da sieht man mal wieder par excellence, Brüssel schlägt was vor und wir setzen einen obendrauf und das ist genau das Problem, was wir in diesem Land haben, wir haben keine Planungssicherheit."
Millionenfache Abrufe auf YouTube
150 Hektar Land bewirtschaftet Anthony Lee in Rinteln im Weserbergland. Vor allem Weizen baut er an. Er kam spät zur Landwirtschaft. In seinem früheren Leben war er Kfz-Mechaniker, Polizist und Fallschirmjäger. Jetzt ist er einer der einflussreichsten Köpfe der Bauernproteste.
Er hat mehr als 120.000 Follower auf Facebook. Bei YouTube haben 90.000 Menschen seinen Kanal abonniert. Lees Videos wurden dort bisher knapp 30 Millionen Mal aufgerufen. Häufig fallen in seinen Videos Wörter wie "schwachsinnig" oder "irre". Häufig stellt er sich auch bei Protestversammlungen von Bauern mit einem Spruch vor, der inzwischen so etwas wie sein Markenzeichen wurde: "Mein Name ist Anthony Lee und ich habe die Schnauze voll." Vor allem so, meint Lee, erreiche er die Menschen. Er höre täglich schlimme Geschichten vom Höfesterben und der Verzweiflung seiner Kollegen, auch deshalb werde er in seinen Botschaften regelmäßig emotional: "Ich versuche die Dramatik, so wie sie auch ist, rüberzubringen und wenn Sie das einfach nur sachlich runterleiern, dann hört Ihnen heutzutage auch keiner mehr zu."
Radikaler Protest von "Landwirtschaft verbindet Deutschland"
Lee ist Bundessprecher von "Landwirtschaft verbindet Deutschland". Der Verein ging hervor aus der Bewegung "Land schafft Verbindung", die Abkürzung "LsV Deutschland" ist geblieben. Nach eigenen Angaben sind rund 150.000 Bauern in den WhatsApp-Gruppen der bäuerlichen Protestgemeinschaft vernetzt. Viele von ihnen sind auch gleichzeitig im Deutschen Bauernverband, aber der ist ihnen häufig zu angepasst. "Landwirtschaft verbindet Deutschland" steht für den radikaleren Protest, inzwischen auch mit unangemeldeten Autobahnblockaden wie zuletzt im Hamburger Hafen oder der Blockade eines Edeka-Lagers ganz in der Nähe von Lees Hof.
Lee hält diese Form des Protestes für gerechtfertigt, glaubt weiter an die Unterstützung der Bevölkerung, gerade im ländlichen Raum: "Wenn wir Klimaschutz und Artenschutz wollen, dann müssen wir das erst mal hier zu Hause machen. Wir können das so nachhaltig wie sonst kein anderer auf diesem Planeten. Und wir hätten auch die Wertschöpfung vor Ort. Stirbt der Bauer, stirbt das Dorf. Allein wie viele Handwerker sich bei unseren Protesten anschließen, das machen die ja, weil die auch sehen, wenn ihr nicht mehr da seid, die Spediteure auch, wenn ihr nicht mehr da seid, dann bricht uns was weg."
Kritiker sehen in Lee einen Rechtspopulisten
Lee ist umstritten und das hat vor allem mit einem Interview bei der Blockade der A2 vor wenigen Wochen zu tun. Lee gibt einer niederländischen Aktivistin aus dem rechten Spektrum ein Interview. Darin mutmaßt er unter anderem, dass die Politik an das Land der Bauern wolle, um dort auch Flüchtlinge unterzubringen. Eine unbelegte Behauptung, die ihren Ursprung in den Bauernprotesten in den Niederlanden hat. Dort gab es NDR Recherchen zufolge zumindest einen Fall auf lokaler Ebene, wo auf aufgekaufter landwirtschaftlicher Fläche eine Flüchtlingsunterkunft entstehen sollte. Aber das war keineswegs ein groß angelegter Plan der Regierung. Auch in Deutschland gibt es solche Pläne nicht. Aber ist so eine Aussage ausländerfeindlich, wie seine Kritiker sagen? Lee wehrt sich gegen den Vorwurf. Wäre das ein Einzelfall, die Kritik würde wohl schnell verhallen.
Doch Lee gibt auch Medien, die weit rechts stehen, Interviews, und vor drei Jahren fiel er bei einer Vorstellung bei der Werteunion mit einem Vergleich auf. "Mein Vater war britischer Soldat bei der Rheinarmee, mein Opa war Waffen-SS-Offizier. Das heißt also, wenn ich Klartext spreche, dann hat das seine Gründe, kann ich also nichts zu", sagte Lee zu Beginn seiner Rede. Ein positiver Bezug zur Waffen-SS, die für viele Kriegsverbrechen verantwortlich war. Lee sagt dazu im Interview mit dem NDR: "Ich würde diesen Vergleich so nie wieder wählen, das war vor drei Jahren. Seitdem habe ich unheimlich viel dazugelernt. Aber es ging in keinster Weise um die Glorifizierung der Waffen-SS. Ich weiß, welche Verbrechen die begangen haben."
Lee wehrt sich gegen Einordnung in rechtsextreme Ecke
Kritiker werfen Lee vor, sich rechtsextremistisch zu äußern, dagegen wehrt er sich: "Wenn jemand das als populistisch abstempelt, dann komme ich damit klar. Ich bin vielleicht politisch rechts, aber politisch rechts, ich sage mal ganz ehrlich, das ist ja nicht schlimm." Der Vorwurf extremistischer Äußerungen ärgere ihn maßlos: "Ich habe jahrelang für den Staat gearbeitet, als Polizist und als Soldat. Ich habe diesem Staat also mehr als zwölf Jahre treu gedient. Ich bin Kommunalpolitiker, stellvertretender Ortsbürgermeister mit Sitz im Stadtrat, bin Mittelstandsvorsitzender, bin in Vereinen aktiv, bin Familienvater von drei Kindern, zahle Steuern. Mir kann man alles unterstellen, aber bestimmt nicht irgendeine Radikalität. Ich sage immer, wenn man jemandem Rechtsradikalität unterstellt, was kommt denn danach?" Das niedersächsische Innenministerium teilt auf NDR Anfrage mit, es lägen keine Erkenntnisse zu "extremistischen Tendenzen" im Zusammenhang mit den landwirtschaftlichen Protesten vor.
Gefühl der Ausweglosigkeit bei einigen Bauern
Was treibt die Bauernproteste an und woher kommt die Wut auf die Regierung, gerade auf die Grünen? Viele Bauern stört es seit Langem, dass in Bund und Land häufig das Landwirtschaftsministerium oder das Umweltministerium von Grünen geleitet werden, Schlüsselressorts für die Landwirtschaft. Viele Reformvorhaben seien gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht, kritisieren die Landwirte. Bei Gesprächen des NDR mit den Bauern wurde häufig ein Gefühl der Ausweglosigkeit und auch der politischen Entwurzelung deutlich.
Kartoffelbauer Christian Beißner ist dafür ein gutes Beispiel. Er bewirtschaftet 210 Hektar Land, wohnt im Nachbardorf von Anthony Lee. Beißner hat die Proteste auf der A2 mitorganisiert. Mit Stolz erzählt er davon, wie der Verkehr stundenlang stillstand. Er ärgert sich über die Versuche, die Bauern immer wieder mit Rechtsaußen in Verbindung zu bringen. Seine eigene Beziehung zur Politik? Kompliziert. "Ich bin völlig ja politisch entwurzelt. Die CDU hat vorher auch schon viele Fehler gemacht in der Agrarpolitik und diese machen jetzt auch noch mehr Fehler, die noch katastrophale Auswirkungen auf uns haben. Und ich weiß wirklich nicht im Augenblick, in welche Richtung soll ich mich orientieren? Keine Ahnung."
Krisenforscher: "Landwirte haben eher eine konservative Grundhaltung"
Was er aber auch betont: Die AfD hält er für überflüssig. So wie Beißner geht es vielen Landwirten, die jetzt auf den Autobahnen stehen. Ihre Position sehen sie von den Parteien nicht ausreichend vertreten. Ein möglicher Punkt für diese Entfremdung habe mit den politischen Grundeinstellungen vieler Landwirte zu tun, so der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb. "Landwirte sind natürlich etwas konservativer von ihrer Grundhaltung her, die leben meist seit Jahren und Jahrzehnten in der Region, die haben die Betriebe von Eltern oder den Großeltern übernommen. Wenn die Investitionsentscheidungen treffen, dann sind das nicht Entscheidungen für Jahre, sondern Jahrzehnte und dadurch erwarten die natürlich auch Stabilität in der Politik, die möchten also viele Experimente, die gerade aus dem grünen Bereich kommen, nicht unbedingt mitmachen."
Anthony Lee erfährt aus Teilen der Landwirtschaft viel Zuspruch. Wenn er die Düngeverordnung kritisiert, wenn er sich über die aus seiner Sicht übertriebene Angst vor dem Klimawandel lustig macht und beklagt, Deutschland hätte Umweltregeln, die an den wirklichen Problemen vorbeigingen. Aber muss das eine Demokratie nicht aushalten? Für Soziologe Axel Salheiser vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) ist das ein schmaler Grat: "Kritik an der Bundesregierung ist legitim, auch wenn sie sehr kraftvoll und sehr pointiert vorgetragen wird. Und selbstverständlich steht es Bürger*innen frei, sich eine neue Regierung zu wünschen. Das eigentliche Problem ist, dass Populismus dann eine Grenze überschreitet, wenn zum Beispiel zum Sturz des Systems aufgerufen wird."
Lee polarisiert auch innerhalb der Bauernschaft
Lee segelt sicherlich hart am Wind. Aber: Er stellt nicht die Demokratie als solche infrage. Ruft auch nicht zum Umsturz auf. Lee kandidiert bei der Europawahl für die Freien Wähler. Die Politikwissenschaftlerin Prof. Ulrike Ackermann beobachtet seit Beginn der Proteste Versuche, die bäuerlichen Proteste zu delegitimieren und kritisiert dafür auch die Grünen. Für sie ist es ein großer Fehler, so einen Protest vorschnell mit einem Etikett wie "rechtsradikal" zu versehen. "Den Bauern so etwas unterzuschieben und mit der Nazi-Keule zu kommen, das sei rechtsextrem, das ich finde ich unverschämt. Selbst wenn es Versuche gibt, von bestimmten rechten Gruppen da irgendetwas zu kapern, dann kann man die Proteste nicht pauschal in diese Ecke stellen." Anthony Lee polarisiert, auch innerhalb der Bauernschaft, einige sehen ihn durchaus kritisch.
Zurück auf dem Hof von Lee in Rinteln. Auch er weiß, bessert sich das Wetter, ist der Landwirt wieder mehr auf dem Acker als auf der Autobahn. Doch Lee glaubt, der Puls der Landwirte sei noch nicht gesunken. Und das birgt durchaus Gefahren. Er sorgt sich um eine mögliche Radikalisierung. "Wir wollen ja auch weiterhin gesellschaftlich anerkannt sein und deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass wir irgendwie radikal werden." Eine Ermahnung an seinen Kollegen, aber vielleicht auch an sich selbst.