Geschlossene Moschee: "Beten auf dem Bürgersteig ist entwürdigend"
Vor 100 Tagen verbot das Bundesinnenministerium das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) und beschlagnahmte die Blaue Moschee. Die Gläubigen der Imam-Ali-Moschee an der Außenalster hätten dadurch ihre religiöse Heimat verloren, beklagt Gemeindemitglied Christian Sandow.
Jeden Donnerstag und Freitag versammeln sich etwa 120 Frauen und Männer zum Gebet auf dem Bürgersteig vor der seit Ende Juli geschlossenen Blauen Moschee in Hamburg. Während sie auf Gebetsteppichen auf dem Asphalt knien, rufen Jogger ihnen Beleidigungen zu, Autofahrer lassen den Motor aufheulen, Laubbläser werden angestellt. Der aus Berlin angereiste Imam predigt auf Deutsch - und kritisiert die Schließung des Gotteshauses für die Gläubigen, prangert muslimfeindliche Berichterstattung an und mahnt zu Verständnis füreinander.
In der ersten Reihe hinter dem Imam kniet auch Christian Sandow. 2012 ist der 48-Jährige in der Imam-Ali-Moschee zum Islam konvertiert. Schon davor war er Gemeindemitglied, nun engagiert er sich für die Wiedereröffnung seines Gotteshauses. Im Gespräch mit NDR Info erzählt er, welche negativen, aber auch welche positiven Auswirkungen die Schließung auf die Gemeinde hatte - und warum er nicht einfach woanders beten kann.
Was verbinden Sie mit der Blauen Moschee?
Christian Sandow: Ich verbinde mit der Moschee 17 Jahre: Unsere Kinder, die hier teilweise aufgewachsen sind, sie waren bei verschiedensten Veranstaltungen dabei. Die zweite Hochzeit mit meiner Frau, die wir hier vollzogen haben. Und auch das offizielle Konvertieren verbinde ich mit der Moschee.
Was schätzen Sie an der Gemeinde?
Sandow: Ich bin über 17 Jahre dabei. Was ich von Anfang an schätze ist die Offenheit. Dass man sehr willkommen ist. Es ist sehr warm, sehr herzlich. So etwas hat man natürlich auch in anderen Gemeinschaften. Wenn ich jetzt Oma Erna wäre und zu meinem Dackelclub ginge, würde ich wahrscheinlich das Gleiche sagen. Aber das ist es, was ich am meisten mag: Dass tatsächlich jeder und jede sein kann, was er, was sie ist.
Wie ist es für Sie, vor der Moschee zu stehen und nicht rein zu dürfen?
Sandow: Es ist nach wie vor beklemmend. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Diese Beklemmung hat sich langsam gewandelt. Wir fangen an, uns zu organisieren, zu strukturieren und auch liebevoll, friedlich gewissen Widerstand zu leisten.
Ein Ergebnis dieser Strukturierung ist das "Aktionskomitee zur Wiedereröffnung". Wie ist es zur Gründung gekommen?
Sandow: Das Aktionskomitee ist aus der Not heraus geboren und eigentlich auch für uns intern gedacht, um gewisse Dinge am Leben zu halten. Es gibt von uns Deutschen, die jahrelang in die Moschee gegangen sind, Bemühungen, einen neuen Verein zu gründen - und über den Verein auch Angebote an die Stadt Hamburg, an die Gesellschaft zu machen.
Die Hauptforderung ist natürlich, dass wir zumindest zum Gebet in die Moschee können. Auch unter Aufsicht, wie auch immer. Dass man zumindest reinkommt. Denn es ist keine schöne Situation, auf dem Gehweg zwischen Hundekot und einem Absperrgitter zu beten. Das ist einfach entwürdigend. Man muss Gläubige nicht toll finden - egal ob Christen, Juden oder uns Muslime -, aber man kann uns zumindest respektieren. Im Januar, Februar wird es wahrscheinlich sehr kalt, regnerisch und vielleicht auch schneien. Und dann hier im Matsch zu beten - und wir werden beten - ist nicht schön.
Wie hat die Gemeinde die Schließung im Juli aufgenommen?
Sandow: Ich kenne viele von den Jungs hier, seitdem sie drei oder vier Jahre alt sind. Die sind mit der Moschee aufgewachsen. Es ist für viele ein großer Schock gewesen, weil uns ein Stück Zuhause genommen wurde. Das ist nicht nur irgendeine Floskel, das ist tatsächlich so. Das ist ein großer Bestandteil unseres Lebens hier in Deutschland. Es hat sich zwar abgezeichnet, aber es ist ähnlich wie beim Tod: Wenn du weißt, dass ein Verwandter stirbt, kannst du dich darauf einstellen. Aber wenn der Moment kommt, bleibt es ein Schock.
Als das Verbot kam, war ich mit meiner Familie im Urlaub. Als wir dann eine Woche später hierher kamen, war es schon ein total beklemmendes Gefühl, als wir durch eine Seitenstraße gefahren sind. Du weißt, da steht ganz viel Polizei. Es gab Gegendemonstrationen. Das hat einem wirklich den Hals zugeschnürt. Das war eine ganz schlimme Situation.
Welchen Einfluss hatte die Schließung auf die Gemeindearbeit?
Sandow: Einen katastrophalen Einfluss. Manche Leute sagen: Ihr könnt doch woanders beten. Aber das ist ja nur ein ganz kleiner Bestandteil dessen, was Gemeindearbeit bedeutet. Wir reden hier von Theologen, die tagtäglich mit Familiensituationen zu tun haben, mit Scheidungen, mit Hochzeiten, mit amtlicher administrativer Arbeit in der Gemeinde. Es gibt Jugendliche mit verschiedensten Problemen im Alltag, die hier Ansprechpartner gefunden haben. Das alles liegt brach.
Aber es gibt auch positive Aspekte, weil jetzt mehr Leute Gemeinde- und Aufklärungsarbeit machen. Wir kommen oft mit Menschen ins Gespräch. Dabei zeigt sich immer wieder, wie unheimlich wichtig solche Gespräche sind. Weil wir, egal um welche Person es geht, sehr viele gemeinsame Nenner haben.
Warum ist es für die Gemeindemitglieder nicht möglich, woanders zu beten, zum Beispiel in einer anderen schiitischen Moschee?
Sandow: Die Imam-Ali-Moschee ist eine geweihte, tatsächliche Moschee. Es ist kein Gebäude, das vorher irgendeine Halle war oder so. Sie wurde mit dem Zweck gebaut, hier in Hamburg das Zentrum für die Schiiten zu sein und das Freitagsgebet zu führen. Die Aufgabe dieser geweihten Moschee kann keine andere Moschee einfach so übernehmen. Das funktioniert nicht.
Und der zweite Grund ist natürlich: Wir wollen der Gesellschaft ja nicht auf den Keks gehen, aber ein Stück weit ist das Gebet auf der Straße für uns auch Protest - dass man uns sieht.
Der Betrieb der Moschee benötigt Geld und Personal. An den neuen Träger werden Anforderungen gestellt. Haben Sie konkrete Ideen oder Wünsche, wie es weitergehen sollte?
Sandow: Wünsche gibt es natürlich. Wir sind gerade in der Findungsphase, im Austausch mit anderen schiitischen Gemeinden, mit anderen Glaubensrichtungen, mit der Schura, mit der Stadt Hamburg auch langsam. Wir wollen eine tragbare Lösung finden für alle. Wir wollen nicht die Brechstange ansetzen und sagen: "Genau so muss das laufen." Wir wollen die Gesellschaft berücksichtigen, die Anwohner hier und die Stadt Hamburg. Wir sind und waren ein integraler Bestandteil dieser Stadt - und das soll idealerweise auch so bleiben.
Es gibt auch Forderungen, das Gotteshaus als Moschee zu schließen und daraus zum Beispiel ein Kulturzentrum zu machen. Was antworten Sie den Vorschlagenden?
Sandow: Es gibt verschiedene Gesichtspunkte, verschiedene Standpunkte, verschiedene Meinungen. Und das ist auch erst einmal völlig okay. Dass es auch Menschen gibt, die mit Glauben an sich, egal welcher Glaubensrichtung, nichts anfangen können, ist auch völlig okay. Die Nutzung eines Gebäudes zu verändern, das geweiht ist, ist ein großer Schritt. Daraus eine kulturelle Begegnungsstätte zu machen, sehen nicht nur wir sehr kritisch. Wir haben auch von christlichen und jüdischen Gemeinden sowie von anderen Muslimen kritisches Feedback dazu bekommen, dass das möglichst nicht passiert.
Die Frage ist auch, mit welchem Hintergrund man das macht? Ich bin nicht Iraner, ich bin Deutscher, ich bin Schiite vom Glauben her. Und ich möchte meinen Glauben hier nach dem Grundgesetz natürlich leben können. Und dafür brauchen wir so einen Haus.
Das Bundesinnenministerium hat das IZH verboten, weil es unter anderem verfassungsfeindlich, extremistisch und vom iranischen Regime gesteuert sei. Haben Sie als Gemeindemitglied diese Vorwürfe auch erlebt?
Sandow: Ich bin seit 17 Jahren hier. Wäre mir irgendetwas komisch vorgekommen, hätte ich irgendetwas mitbekommen, was mir zuwider gewesen wäre, dann wäre ich nicht mehr hergekommen. Dieses Gotteshaus stand zu jeder Zeit für jeden offen. Egal, ob du Christ bist, egal, ob du Jude bist, egal, ob du aus China als Tourist herkommst. Es gab interreligiöse Veranstaltung. Und das war immer geprägt von Zusammenarbeit und Interreligiosität.
Wir sind in das Verfahren gegen die Bundesregierung nicht involviert, weil es den Verein betrifft. Uns betrifft die Moschee hier. Der Verein war natürlich auch der Träger der Moschee. Aber man kann, wenn man will, eigentlich auch differenzieren und sagen: Die Moschee ist ein Gotteshaus - und den Verein behandeln wir gesondert. Das ist ja eigentlich kein Problem. Anscheinend schon. Wir wissen es nicht.
Sie wünschen sich also, man hätte den Verein, also den Betreiber IZH, und die Gläubigen unabhängig voneinander behandeln und der Gemeinde das Gebetshaus erhalten sollen? So aber hatte das Verbot nun auch Einfluss auf Ihr Leben?
Sandow: Ja, es hat einen großen Einfluss auf mein Leben. Diese Situation hat mich persönlich dazu gebracht, herauszukommen und zu sagen: Ich bin Muslim. Ich bin kein Extremist. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Das war ein großer Schritt für mich.
Das Interview führte Carolin Fromm.