Amoklauf in Hamburg: Alle Schwerverletzten außer Lebensgefahr

Stand: 18.03.2023 09:58 Uhr

Nach dem Amoklauf am 9. März im Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf sind alle schwer verletzten Opfer außer Lebensgefahr. Das bestätigte der Sprecher der Glaubensgemeinschaft, Michael Tsifidaris am Freitag.

"Das ist die schönste Nachricht dieser Tage, in der Tat, die uns auch das erste Lächeln auf die Lippen zaubert", sagte Tsifidaris am Freitag im Gespräch mit NDR Info. Neun Menschen waren bei dem Attentat schwer verletzt worden, sieben Menschen sind gestorben. Zudem kündigte er an, dass die Zeugen Jehovas am übernächsten Wochenende einen eigenen Trauergottesdienst veranstalten würden. "Wir sind jetzt in enger Abstimmung mit den Angehörigen, aber ich kann heute schon sagen, dass wir am übernächsten Wochenende eine zentrale Gedenkveranstaltung durchführen werden, aufgrund des großen Interesses und der überwältigenden Anteilnahme, die uns durch die Bevölkerung zuteil wird", so Tsifidaris.

Kondolenzbuch liegt im Rathaus aus

Die Gemeinde sei der Stadt Hamburg sehr dankbar, die sie bei der Organisation unterstütze. Seit Sonnabend liegt eine Woche lang ein Kondolenzbuch im Rathaus aus. Zwischen 10 und 18 Uhr können sich hier Hamburgerinnen und Hamburger eintragen. "Wir schätzen diese Geste sehr", so der Sprecher.

Philipp F. nur wenige Monate bei den Zeugen Jehovas

Vor einer Woche soll der mutmaßliche Täter Philipp F. in einem Versammlungssaal der Zeugen Jehovas sieben Menschen getötet haben, darunter vier Männer, zwei Frauen und ein ungeborenes Mädchen. Nach der Tat nahm sich der 35-Jährige offenbar selbst das Leben. Er war insgesamt nur wenige Monate lang Mitglied der Zeugen Jehovas, bevor er die Gemeinschaft vor eineinhalb Jahren auf eigenen Wunsch wieder verlassen habe, sagte Tsifidaris. Aus ermittlungstaktischen Gründen werden nach wie vor viele Informationen von den Behörden zurückgehalten. Somit ist auch die Frage nach dem Motiv weiter unbeantwortet.

Bisherige Waffengesetze sind lückenhaft

Philipp F. erhielt seine Waffe, obwohl sein Umfeld eine psychische Erkrankung vermutete. Die bisherigen Vorschriften sind lückenhaft, sagt auch Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD): "Wir gucken aktuell ja nicht mal bei Erteilung, ob jemand psychisch geeignet ist. Das tun wir bei Menschen bis 25. Und jetzt geht es darum, diese Altersgrenze aufzuheben. Das kann man ja gar nicht verstehen: Warum soll man nicht bei über 25-Jährigen das auch prüfen?" Nach der Amoktat will die Bundespolitik nun handeln. Künftig sollen bereits Anhaltspunkte für psychische Probleme reichen. "Damit es nicht so schwer ist für die Waffenbehörde, auch psychologische Nachprüfungen noch mal zu veranlassen", so Grote.

Videos
Zwei Handschusswaffen. © Screenshot
3 Min

Waffenrecht: Setzen die Behörden falsche Prioritäten?

Wer eine Waffe besitzt, muss vor allem die korrekte Lagerung nachweisen. Ein psychologisches Gutachten - bislang eher Nebensache. 3 Min

Waffenexperte: "Behörden setzen falsche Priorität"

Sportschützen werden umfassend kontrolliert, etwa ob sie Waffen und Munition sicher lagern. Auch, ob sie regelmäßig trainieren, andernfalls drohe der Verlust der Waffenbesitzkarte. Die Behörden setzten die falsche Priorität, sagt etwa Waffenexperte Lars Winkelsdorf: "Trainiert der Schütze ordnungsgemäß? Trainiert er intensiv? Kann er begründen, warum er die Waffe haben muss? Ob tatsächlich Gefahren drohen, das wird so gut wie gar nicht bearbeitet derzeit."

Jedenfalls sei das meiste Bürokratie, sagt auch Eberhard Krieger aus Langenhorn. Er hat seitenweise Schriftverkehr für seine alte Schreckschusswaffe aus Jugendtagen: Registierung, Ummeldung, immer wieder Nachweise und Kontrollen. Vergangenen November reichte es ihm. Er könne die Waffe bei jeder Polizeidienstelle abgeben, erklärte die Waffenbehörde. "Als ich die Waffe aus der Tasche herausgenommen habe, war die Besetzung der Wache sehr entsetzt und begann erst mal mit einem umfangreichen Ermittlungsverfahren, ob eine Straftat vorliegt." Er hätte die Schreckschusspistole verschlossen transportieren müssen. Doch trotz Nachfrage habe ihm die Waffenbehörde das nicht gesagt. Bestraft wurde er nicht, aber ein Eindruck ist geblieben: dass die Behörde sehr mit administrativen Aufgaben beschäftigt ist.

Weitere Informationen
Blumen und Kerzen vor dem Eingang eines Gebäudes der Zeugen Jehovas in Hamburg, in es am 9. März ein Amoklauf gab. © Daniel Bockwoldt/dpa

Amoktat in Hamburg am 9. März bei den Zeugen Jehovas: Was bisher bekannt ist

Wie lief die Tat ab, wer sind die Opfer, was weiß man über den Täter? Die Behörden haben sich zum zweiten Mal zum bisherigen Ermittlungsstand geäußert. (17.03.2023) mehr

Die ökomenische Gedenkfeier in der Hauptkirche St. Petri in Hamburg. © Marcus Brandt/dpa/Pool/dpa Foto: Marcus Brandt/dpa/Pool/dpa

Nach Amoklauf: Gedenkfeier für Opfer und Helfende in Hamburg

Die großen christlichen Kirchen laden zu diesem Gottesdienst in Hamburg ein. Die Zeugen Jehovas kündigten einen eigenen Trauergottesdienst an. (17.03.2023) mehr

Blumen werden an Tatort in Hamburg abgelegt © Georg Wendt/dpa

Amoklauf in Hamburg: Welche Rolle spielte Frauenhass bei der Tat?

Eine Expertin analysiert die Aussagen über Frauen, die der mutmaßliche Täter Philipp F. in seinem Buch hinterlassen hat. (17.03.2023) mehr

Blumen und Kerzen liegen und stehen im Stadtteil Alsterdorf vor dem Eingang zu einer Kirche der Zeugen Jehovas. © dpa Foto: Jonas Walzberg

Amoklauf in Hamburg: Experte wirft Polizei "digitales Versagen" vor

Die Tat am 9. März hätte nach Meinung von Sicherheitsforscher Humer wahrscheinlich mit einfachen Mitteln verhindert werden können. mehr

Ein Polizeifahrzeug steht auf der Straße vor dem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas, an dem Blumen und Kerzen abgelegt wurden. © Christian Charisius/dpa Foto: Christian Charisius

Amoklauf: Hatte Philipp F. Mitwisser? Hamburger Polizei prüft

Die Ermittlungen der Polizei laufen auf Hochtouren. Auch im Bekanntenkreis gibt es Befragungen. mehr

Andy Grote (SPD), Senator für Inneres und Sport in Hamburg, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, Arnold Keller von der Generalstaatsanwaltschaft und Uwe Stockmann, Landeskriminalamt Hamburg (v.r.n.l.), sitzen im Rathaus während der Landespressekonferenz zum aktuellen Ermittlungsstand der Amok-Tat. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt Foto: Marcus Brandt

Amoktat: Behörden sehen keine Versäumnisse bei Waffenkontrolle

Während Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer keine Fehler der Waffenbehörde erkennen kann, fordert die Opposition Aufklärung. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 17.03.2023 | 19:30 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Michael Kruse, FDP-Landesvorsitzender in Hamburg, beim Sommerfest der FDP in Bergedorf. © picture alliance / rtn - radio tele nord Foto: rtn, patrick becher

FDP-Spitzenpolitiker Michael Kruse zieht sich aus Politik zurück

Die Hamburger FDP muss künftig auf Kruse verzichten. Der Bundestagsabgeordnete will aus der aktiven Politik aussteigen. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?