Ein aufgeschlagenes Buch liegt auf einem Steg am See beim Sonnenuntergang. © fotolia Foto: Roman Motizov
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Ein aufgeschlagenes Buch liegt auf einem Steg am See beim Sonnenuntergang. © fotolia Foto: Roman Motizov
AUDIO: NachGedacht: Hitze fürchten oder genießen? (4 Min)

NachGedacht: Hitze genießen oder fürchten?

Stand: 28.06.2024 06:00 Uhr

Es ist warm. Sehr warm. Dürfen wir uns darüber aber noch freuen? Mit allen noch funktionierenden Hirnwindungen hat Lena Bodewein nach einer Antwort gesucht.

von Lena Bodewein

Überraschung: Es geht um den Sommer. Er ist da, und zwar mit einer Macht und einer scheinbaren Unberechenbarkeit, dass der deutsche Wetterdienst am selben Tag Hitzewarnungen und Starkregenwarnungen herausgibt. Etwas, das wir in dieser drastischen Art bisher nur aus den Tropen oder etwa aus Australien kannten.

Verheerende Buschfeuer und verbrannte Koalas

Als Korrespondentin habe ich lange über die andauernde Dürre auf dem Kontinent berichtet, über verdurstende Wildpferde, die verheerenden Buschfeuer, verbrannte Koalas auf der einen Seite und die heftigen Überschwemmungen, ertrinkende Wombats, ruinierte Familien auf der anderen. Eine mahnende Vorschau auf die Folgen des Klimawandels, wie sie jetzt auch uns ereilt haben. Extremwetterereignisse, so lautet das Schlagwort, das uns begleitet.

Aber abgesehen davon, dass wir unbedingt unser Nötigstes tun sollten, um einen weiteren dauerhaften Temperaturanstieg zu verhindern, stellt sich die Frage: Dürfen wir Sommerhitze noch genießen? Müssen wir nicht immer im Hinterkopf haben, welche Gefahren sie birgt? Verdorrendes Gemüse, versiegende Hirnströme, leidende Alte, Kinder, Schwangere, gesundheitliche Risiken, Wassermangel?

"Zieh los, find ein Mädchen, tanz die ganze Nacht!"

Doch, wir dürfen trotzdem die Hitze genießen, wo wir können. Und zwar mit Sachkenntnis. Damit meine ich keinerlei Predigt über Folgen des Klimawandels oder "Die elf besten Tricks, um in der Hitze zu schlafen". Lassen Sie das mit dem Schlafen! Machen Sie es, wie's The Lovin Spoonful besingen, die Nacht ist das, was zählt. Man kann die kühleren Stunden nutzen, um gute Hitzesongs zu hören, etwa "Summer in the City". Gut, der Text klingt ein bisschen apokalyptisch, aber schon treffend: "Mein Nacken wird dreckig und schmuddelig, es scheint keinen Schatten in der Stadt zu geben, die Menschen um mich herum sehen halbtot aus, der Bürgersteig ist heißer als ein brennender Streichholzkopf", aber nachts dann … "Zieh los, find ein Mädchen, tanz die ganze Nacht!"

Lesen von sengender Hitze und faulenden Sümpfen

Lena Bodewein © Lena Bodewein
Wir dürfen die Hitze genießen!, findet Lena Bodewein.

Wem nicht nach Tanzen zumute ist, der kann auch lesen: Literatur und Hitze, das atmet, das riecht, das dampft und brennt. Wie in Albert Camus Roman "Der Fremde": Hier tötet die Hauptfigur am Strand in Algeriens mörderischer Hitze einen Araber. Ohne die Sonne wäre das Werk nichts: die sengenden Temperaturen, die glühenden Sonnenstrahlen, die den Menschen an seinen existenziellen Nullpunkt gebracht haben - sie spielen die eigentliche Hauptrolle.

Und wo wir schon auf dem afrikanischen Kontinent sind, ein weiterer Lektüretipp: Mit Joseph Conrad geht es auf Expedition ins "Herz der Finsternis". Als Flussdampferkapitän Charlie Marlow sich auf die Suche nach dem Handelsagenten Kurtz macht, sieht er in der Hitze Zentralafrikas "… Ströme des Todes mitten im Leben, deren Ufer zu Schlick verfaulten, deren zu Schleim verdicktes Wasser die verdrehten Mangroven überschwemmte, die sich uns in der ohnmächtigen Verzweiflung ihres Todeskampfs entgegenzukrümmen schienen".

"Wo man hinspuckt, keimt es!"

Da kann man richtig riechen, was heiße Temperaturen so anrichten, oder? Es ist schwül und üppig und nicht mehr richtig fassbar … Und wenn Sie auf Ihrem Literaturtrip durch die Hitze nochmal den Kontinent wechseln und mit "Homo Faber" nach Mittelamerika reisen, dann sehen Sie Erstaunliches: Wo Joseph Conrad Ströme des Todes mit der Hitze assoziierte, ahnt Max Frisch hier eher die Ursuppe: "Was mir auf die Nerven ging: die Molche in jedem Tümpel, in jeder Eintagspfütze ein Gewimmel von Molchen - überhaupt diese Fortpflanzerei überall, es stinkt nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung. Wo man hinspuckt, keimt es!" Herrlich, oder?

Hitze literarisch genießen, oder musikalisch

Sie sehen, Hitze lässt sich genießen. Zumindest literarisch. Klima schützen sollten wir trotzdem. Und bevor Sie sich aufregen: Kühlen Sie sich in musikalischer Hitze ab, mit einem ordentlichen Sommergewitter - aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" oder aus Beethovens "Pastorale". Hilft immer.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 28.06.2024 | 10:20 Uhr

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