NachGedacht: Du Tünkram-Fritze, du Übelkrähe!
Werden mit den tatsächlichen oder angeblichen Beleidigungen, die sich Spitzenpolitiker gegenseitig an den Kopf schleudern, letzte Grenzen überschritten? Oder hat das eher Markus Söder bei seinem Kniefall-Reenactment in Warschau getan? Wo bleibt das Wesentliche?
Glückwunsch, jetzt also "Tünkram". Das ist wieder was Griffiges, das zum Aufregen einlädt, während die Probleme dümpeln. Als die Südlichter noch nachgucken mussten, was das komische Wort bedeutet, hat's der künftige Kanzler aus Brilon schon instinktiv begriffen: Der Olaf attackiert mich - und gibt zugleich Signal, dass er mich, den er "Fritze" nennt, nicht für voll nehmen will. Nehme ich ihn aber auch nicht, deshalb hab' ich im Bundestag, sozusagen mit roten Ohren, weil es irgendwie aufregend war, öffentlich ausgeplappert, was mir der Flurfunk zuträgt über Olafs Verhalten in der Welt der Großpolitik; in dieser Welt, in die ich so dringend rein will und die dieser Olaf schon kennt, obwohl er immer nur "Tünkram" … Hoppla, hab' ich "Tünkram" gesagt?
Mit "Tünkram" zum Mini-Trump mutiert
Ja doch, es ist ein tristes Schauspiel, wie sich die Herren verbal verkloppen. Aber könnten wir bitte mal Maßstäbe wahren? Falls wir noch welche haben? Ich fürchte, es gibt sie nicht mehr. Sonst würde es nicht in der BILD-Zeitung tönen: "Was in Amerika Trump-Niveau, ist bei uns jetzt Scholz-Niveau." Weil der Anti-Kommunikator Scholz einmal "Fritze" und "Tünkram" sagt, ist er zum Mini-Trump mutiert? Auf so einen "Tünkram" muss man nicht kommen, schon gar nicht ihn publizieren. Tut man es trotzdem, dann, weil man auf Maßstäbe pfeift. "Zum Fremdschämen", könnte der Mann sagen, der im Bundestag Flurfunk verbreitet. Diesmal sagt er es nicht.
Von der "Übelkrähe" zum "Düffeldoffel"
Ja doch, ich höre die Lieder. Auch früher ging es derb zu. Aber das war nicht schlimm, die hatten damals Format. Der Brandt, der Strauß, der Wehner. Sagen dieselben Leute, die den Olaf schmähen, weil er Friedrich den Großen als Alten Fritze liebkost hat. Sie rühmen Wehner, der den Abgeordneten Wohlrabe "Übelkrähe" nannte, einen anderen "Düffeldoffel". Das war wohl höchstes Niveau. Derselbe Wehner war es aber auch, der dem eigenen Kanzler öffentlich bescheinigte, der Herr bade gerne lau. Hatte das Niveau? Klar, die Frage ist: welches? Hoch, mittel, eher tief? Schon stellen sich Bilder ein von früheren und künftigen Kanzlern, wie sie, im lauen Wasser plantschend, fröhlich "Tünkram" brabbeln. Sind wir denn bei Loriot?
Sehnsucht nach vorausschauender Politik
Einander im flachen und hohen Ton "Tünkram"-Gerede vorwerfen oder Mangel an "sittlicher Reife"; einander öffentlich bloßstellen: Ist es das, worum es geht? Ist es nicht eher traurig, dass Robert Habeck mit seiner weiß Gott nicht besten Rede schon Sehnsuchtsbilder weckt von einer Politik, die nicht in der Wanne plantscht, sondern bis zum Horizont schaut?
Sinken bis aufs Knie
Die ganze Diskussion ist blöd. Und die Frage, die sich aufdrängt: Wie tief kann man sinken? Bis aufs Knie kann man sinken. Markus Söder hat es gezeigt. Vor dem Mahnmal für die Helden des Warschauer Ghetto-Aufstands hat er sich nach dem Motto "Mehr Willy wagen" auf Maximalhöhe bringen wollen, indem er sich ins Bodenlose gestreckt hat. Die Bodenberührung des Söderschen Knies hat nicht bei allen den gewünschten Eindruck erweckt. Manche empfanden eher so: Die Imitation des Moments, der den überwältigten Brandt auf die Knie zwang, diese Nutzbarmachung für Instagram-Zwecke markiere den vorläufigen Tiefpunkt im noch jungen Wahlkampf. Dem Söder-Bild vor dem Mahnmal folgte eins mit polnischer Bratwurst. Betonung mithin auf "vorläufiger Tiefpunkt": Diese Jungs sind begabt. Wer weiß, was ihnen noch einfällt.
Bessere Politik statt Gockelkampf
So vergeben wir ingrimmig Haltungsnoten für bedeutende Herren oder solche, die es gern wären. Wo bleibt das Wesentliche? Männer, reißt's euch zusammen! Politik ist kein Gockelkampf! Kein Eitelkeitswettbewerb! Die Niederlande haben übrigens gerade die Miss-Wahlen abgeschafft. Eine Miss Nederland soll es nicht mehr geben. Wollt ihr euch nicht ein Beispiel nehmen? Bei allem Respekt, Mister Universum werdet ihr sowieso nicht. Ihr müsst also nicht um Kopfnoten kämpfen. Kämpft um bessere Politik. Dann kriegt ihr, was ihr so dringend wollt: Applaus für den Allertollsten.
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