Robert Bongen im Interview mit Jasmin Riedl © NDR

"Ein Bärendienst an der Demokratie"

Stand: 20.12.2024 10:34 Uhr

Interview mit Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört der Bereich "Parteien & Wahlen in Deutschland".

Robert Bongen im Interview mit Jasmin Riedl © NDR
Panorama-Redakteur Robert Bongen im Gespräch mit Jasmin Riedl.

Panorama: Frau Riedl, wenn Markus Söder Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen als "diese grüne Margot Honecker" bezeichnet oder Thüringens CDU-Chef Mario Voigt im Zusammenhang mit Robert Habecks Heizungsgesetz von einer "Energie-Stasi" spricht. Kann man das abbuchen unter "zugespitzter politischer Diskussion"?

Nein. Wir haben es hier mit einem Vergleich zu einem Unrechtsregime zu tun und den herzustellen für demokratisch legitimierte Personen, die ganz klar einstehen für demokratische Ziele in unserem Staat, das halte ich für höchst problematisch.

Warum?

Wenn man den Gedanken weiter spinnt, könnte man ja auf die Idee kommen, dass man mit den Grünen in Regierungsverantwortung auf eine Art grüne Diktatur hinsteuern würde. Gerade wenn sowas auch von Vertreterinnen und Vertretern von Mitte-Parteien kommt, und auch immer wieder kommt, dann kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass im Sinne von "Steter Tropfen höhlt den Stein" das bei der ein oder anderen Person sehr wohl verfängt. Der Gedanke ist höchst problematisch - und zumal auch sachlich falsch, weil alle Entscheidungen der Ampel und der Grünen ja im Rahmen einer demokratisch legitimierten Entscheidungsfindung getroffen werden. Das sind klare Entscheidungsprozesse für die Politikgestaltung und auch für das Verabschieden von Gesetzen in Deutschland. Das hat nichts mit einer Diktatur zu tun.

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Auch früher gab es harte politische Auseinandersetzungen…

Harte politische Auseinandersetzungen gab es immer schon. Wehner oder Strauß zum Beispiel, die waren auch nicht sonderlich zimperlich mit der politischen Konkurrenz. Aber es war so gut wie immer an der Sache orientiert. Man hat nie versucht, dem politischen Gegner die demokratische Legitimation abzusprechen. Die Angriffe im Sinne einer Delegitimierung des politischen Gegners, die haben eine neue Qualität. In dieser Häufigkeit und Intensität sehen wir das seit 2021, seit die Grünen in der Bundesregierung sind. Und die Angriffe kommen zunehmend auch aus der politischen Mitte. Wenn man einem politischen Gegner in der Mitte, der demokratisch gewählt und legitimiert ist, aus der Mitte genau diese Legitimation abspricht, dann beschädigt man massiv den politischen Wettbewerb. Der basiert darauf, das Gegenüber anzuerkennen, ihn teilhaben zu lassen und sich ihm auch inhaltlich zu stellen. Das ist ganz wesentlich für die Demokratie. Insoweit ist das ein Bärendienst an der Demokratie, was da betrieben wird. 

Welches Ziel verfolgen da etwa CDU und die CSU mit solchen Attacken?

Jasmin Riedl © NDR
Jasmin Riedl

Man könnte auch einfach sagen: Das überlässt man solchen rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien wie der AfD. Der Grund ist: Diese Parteien der Mitte haben in der Opposition noch weiter rechts eine Konkurrenz. Und da kommt es zu einer Art sprachlichen Überbietungswettkampf. Das ist das, was wir hier seit einigen Monaten und zunehmend immer heftiger beobachten können.

Warum richten sich die Attacken überwiegend gegen die Grünen?

Man kann in der Tat den Eindruck gewinnen, dass egal was die anderen Parteien insgesamt machen, dass der zentrale politische Gegner die Grünen sind, dass sie für alle vermeintlich oder tatsächlich schlechten Ampelentscheidungen verantwortlich gemacht werden. Aus der Perspektive der politischen Konkurrenten eignen sich die Grünen als besonders gute Kontrahenten, weil sie in einem normativen Sinne für liberale Politik stehen. Hinzu kommt, dass sie sich in den großen Transformationsfragen, die sich aktuell schlichtweg stellen, seit vielen Jahren für die Veränderungen einsetzen, die vielleicht manche Personen als ungemütlich erachten. Das ist ein willkommener, ein einfacher Anknüpfungspunkt, und zwar für ganz unterschiedliche Parteifarben.

Immer wieder hört man zuletzt von Politikern wie Markus Söder die berühmten "Ja, aber"-Sätze, mit dem Tenor: Naja, Gewalt gegen die Grünen, das geht natürlich nicht. Ja, aber sie sind auch ein bisschen selbst schuld…

Als Oppositionspartei einer Regierungspartei zu attestieren, dass sie im Grunde für den Unmut der Bevölkerung auch in gewissen Teilen selbst verantwortlich ist, das ist okay, das gehört im Zweifel auch zu den Aufgaben einer Oppositionspartei. Aber es geht ja hier um ganz spezifische Dinge, nämlich zum einen, dass die Grünen als Partei, als demokratische Partei, als Regierungspartei schlechtgemacht werden sollen, delegitimiert werden sollen. Durch Desinformation, durch Verächtlichmachung. Und zum anderen geht es darum, dass da Leute auch tätlich angegriffen werden. Und da zu argumentieren: Mensch, das müsst ihr jetzt schon mal aushalten als Politikerinnen und Politiker, das ist ein ganzes Stück drüber. Aushalten muss man inhaltliche Kritik, aushalten muss man, dass Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gehen, gegen einen demonstrieren, dass Personen eine andere Meinung haben. Aber aushalten muss man nicht, wenn man etwa zu gewissen Teilen nicht am politischen Wettbewerb teilnehmen kann, was ja der Fall ist, wenn eine Veranstaltung wie der Politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach nicht stattfinden kann.

Was man auch immer wieder hört: Warum immer auf die Grünen schauen, AfD-Repräsentantinnen und -Repräsentanten werden auch attackiert…

Ja, AfD-Politikerinnen und Politiker werden auch attackiert. Der Unterschied ist aber, dass die Grünen für ihre Grundüberzeugungen attackiert werden, die vielleicht sehr liberal sind, mit denen sie aber immer auf dem Boden der Verfassung stehen. Diese Grundüberzeugungen bei der AfD sind in Teilen verfassungsfeindlich und eben nicht vereinbar mit der Demokratie.

Inwieweit kommt gerade Politikerinnen und Politikern der Mitte in diesen Zeiten auch eine besondere Verantwortung zu?

Wir sehen in den Landesparlamenten, aber auch im Bundestag zunehmend eine Polarisierung raus zu den Rändern. In dieser zunehmenden Polarisierung ist es auch Aufgabe der Mitte-Parteien, vor allem der Unionsparteien, dem entgegenzuwirken und sich diesem Überbietungswettbewerb sprachlich und inhaltlich nicht so hinzugeben. Die Mitte-Parteien schaden sich mittel- und langfristig, wenn die Polarisierung weiter befeuert wird, denn die Mitte dünnt dann aus. Am Ende wird zumeist das eigentliche Original an den politischen Rändern gewählt.

Nochmal: Es ist einfach ein Problem für die Demokratie. Und im Übrigen auch für die Konsensfindung, die dann auch nach dem Wahltag wieder stattfinden muss, wenn Mitte-Parteien so einstimmen, dass der politische Wettbewerb nachhaltig beschädigt wird.

Das Interview führte Robert Bongen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama - die Reporter | 20.12.2024 | 21:45 Uhr

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