Angriffe gegen Grüne: Wenn der Gegner zum Feind wird
Seit dem Amtsantritt der Ampel-Regierung haben Angriffe auf die Grünen massiv zugenommen. Warum - und welche Rolle spielt dabei auch die Union?
Schon gut zwei Stunden diskutiert CDU-Chef Friedrich Merz Ende Februar in Chemnitz mit der Parteibasis über das neue Grundsatzprogramm der CDU - als plötzlich eine überraschende Frage kommt: "Wenn es eine Brandmauer gegen die AfD gibt: Warum gibt es keine gegen die Grünen?", will ein Mann aus dem Vogtland wissen. Eine Brandmauer zu den Grünen, als ob sie Demokratiefeinde wie die AfD wären?
Zwar hat Merz die Grünen immer wieder als "Hauptgegner" bezeichnet. Doch jetzt mahnt er die Basis und betont den Unterschied zwischen der AfD und den Grünen: "Die Grünen gehören zur breiten demokratischen Mitte unseres Landes, so wie die Sozialdemokraten, die FDP und wir." Bei allen Differenzen, was das Politikverständnis angehe, sei ihm wichtig: "Wenn wir uns gegenseitig die Kooperationsfähigkeit und die Koalitionsfähigkeit abstreiten, wenn wir von vornherein erklären, was nicht mehr geht in der demokratischen Mitte unseres Landes, dann überlassen wir den Extremisten ganz links und ganz rechts das Feld."
Die Grünen in der demokratischen Mitte, eigentlich selbstverständlich. Warum stellt Merz das so deutlich heraus? Er scheint erkannt zu haben, dass sich in Teilen der Union beim Thema "Grüne" seit einiger Zeit eine Stimmung breit macht, die die Grenzen einer harten politischen Auseinandersetzung überschreitet.
Mit DDR-Vergleichen den Diskurs anheizen
Zuletzt gab es immer wieder prominente Stimmen in der Union, die die Grünen mit DDR-Vergleichen in die Nähe eines Unrechtsregimes gerückt haben. Der CDU-Landeschef von Thüringen, Mario Voigt, sprach im Zusammenhang mit Robert Habecks Heizungsgesetz von einer "Energie-Stasi", der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nannte Bundesumweltministerin Steffi Lemke "diese grüne Margot Honecker" und die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke postete bei "X" den Satz: "Die Ampel reagiert elitär, weltfremd und abgehoben. Ein bisschen wie 89".
Im Interview mit Panorama bestätigt Schimke, dass sie den Vergleich mit Absicht gewählt habe. Die Zeit um 1989 sei geprägt gewesen von einer politischen Elite, die keinerlei Sensibilität besessen habe für das, was war. Dass man mit der Gleichsetzung der Ampel mit einem Unrechtsregime den politischen Diskurs anheize, das könne man ihr schon unterstellen, sagt sie - aber: "Das ist ein Empfinden, was man in den neuen Ländern hat, dass vieles, was in der Politik im Moment passiert, nicht rechtens ist, nicht in Ordnung ist, nicht im Rahmen der demokratischen Gepflogenheiten stattfindet."
Politikwissenschaftlerin: DDR-Vergleiche "höchst problematisch"
Legitime Polemik oder Delegitimierung des politischen Gegners? Nach der von Merz geforderten "Kooperationsfähigkeit" klingt das jedenfalls nicht. "Den Vergleich zu einem Unrechtsregime herzustellen für demokratisch legitimierte Personen, die ganz klar einstehen für demokratische Ziele in unserem Staat, halte ich für höchst problematisch", sagt Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München. Es passe aber in eine Entwicklung, die sie seit einiger Zeit beobachte. Zwar habe es schon immer harte politische Auseinandersetzungen gegeben. "Aber man hat nie versucht, dem politischen Gegner die demokratische Legitimation abzusprechen. In dieser Häufigkeit und Intensität sehen wir das seit 2021, seit die Grünen in der Bundesregierung sind. Und die Angriffe kommen zunehmend auch aus der politischen Mitte."
Und ja, auch AfD-Politikerinnen und Politiker würden attackiert. Der Unterschied sei aber, dass die Grünen für ihre Grundüberzeugungen attackiert würden, die vielleicht sehr liberal seien, aber immer auf dem Boden der Verfassung, erklärt Riedl: "Diese Grundüberzeugungen bei der AfD sind in Teilen verfassungsfeindlich und eben nicht vereinbar mit der Demokratie."
Mit der Heugabel gegen die Ampel?
Delegitimierung geschehe auf unterschiedliche Art und Weise. Durch permanente Verbreitung von Desinformation über den politischen Gegner zum Beispiel, durch Verächtlichmachung, aber auch durch Äußerungen, die man durchaus als versteckte Gewaltaufrufe interpretieren kann. So postete etwa die CDU-Landtagsfraktion Sachsen Ende letzten Jahres das Bild eines aggressiven Landwirts, der mit einer Heugabel droht - verbunden mit dem an die Ampel-Regierung adressierten Satz: "Finger weg vom Agrardiesel!".
Auf Panorama-Nachfrage heißt es von der CDU, das Bild zeige einen Landwirt in einer eindeutig defensiven Abwehrhaltung: "Wer in unseren Beitrag mehr hineininterpretiert, verharmlost tatsächliche Gewaltaufrufe."
"Man muss sich auch darüber Gedanken machen, welche Wirkung bestimmte Aussagen, bestimmte Symbole und Bilder entfachen können, insbesondere in einer Zeit, die besonders hitzig ist", betont Riedl. "Da ist es in der Verantwortung von Politikerinnen und Politikern, auch ein bisschen die Weitsicht zu haben, zu überlegen, was folgt denn unter Umständen daraus, wenn ich das jetzt so äußere, wie kann das auch interpretiert werden?"
Angriffe auf Grüne massiv gestiegen
Anfang des Jahres gab es heftige Proteste von Landwirten insbesondere gegen die Grünen - Parteivertreterinnen und -vertreter wurden bedrängt, Veranstaltungen wie der Politische Aschermittwoch in Biberach mussten abgesagt werden. Auch CSU-Chef Markus Söder äußerte sich zu den Protesten gegen die Grünen, verurteilte zwar die Gewalt, betonte aber im gleichen Atemzug: "Bei den Grünen ist schon sehr viel Mimosenhaftigkeit da." Andere würden von den Grünen auch ständig angegriffen, andere würden auch massiv hinterfragt.
Die Zahlen zeigen allerdings, dass Söder damit nicht richtig liegt. In den letzten beiden Jahren gab es laut Auskunft der Bundesregierung mit Abstand die meisten Angriffe auf Parteimitglieder und Repräsentanten der Grünen: 2022 waren es 575, 2023 sogar schon 1219. Zum Vergleich etwa die Zahlen der AfD: 2022 gab es 360 Angriffe auf AfDler, 2023 478.
Mit Angriffen sind Straftaten gemeint, zum einen Gewaltdelikte wie Körperverletzung, zum anderen Äußerungsdelikte wie Bedrohung, Beleidigung, Nötigung oder Volksverhetzung. Von den knapp 2.800 Angriffen auf Parteimitglieder im Jahr 2023 richteten sich damit also fast die Hälfte (46 Prozent) gegen Repräsentanten der Grünen (vorläufige Zahlen).
Unionsspitzen tauchen ab
"Wir dürfen uns die Kooperations- und Koalitionsfähigkeit nicht abstreiten", hatte Merz in Chemnitz gesagt. Halten sich alle in der Union daran? Eine Anfrage von Panorama ließ der CDU-Vorsitzende unbeantwortet. Auch Markus Söder und Mario Voigt reagierten nicht.
Thorsten Frei, der Parlamentarischen Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Bundestag, betont im Panorama-Interview: "Die Frage ist ja immer auch, was klug ist. Und nicht alles, was legitim ist, ist auch klug, dass man es macht. Und deswegen glaube ich mit solchen Vergleichen, die natürlich immer auch geeignet sind, wirklich schweres Unrecht, autoritäre Regime ein Stück weit zu relativieren. Ich glaube, da muss man sehr, sehr vorsichtig sein."
Politikwissenschaftlerin Riedl mahnt: "Wir befinden uns in einem wichtigen Wahljahr. Wir sehen deutliche Polarisierungen hin zu den politischen Rändern, Rechts und Links. Und da ist es wichtig, dass die Parteien der Mitte - und dazu zählen auch die Unionsparteien - sprachlich nicht mit einstimmen. Es ist ein Problem für die Demokratie und auch für die Konsensfindung, die auch nach dem Wahltag wieder stattfinden muss, wenn Mitteparteien dort so einstimmen, dass der politische Wettbewerb nachhaltig beschädigt wird."