Angriff von rechts: Untergang der CDU?

Stand: 24.08.2023 09:56 Uhr

Viele europäische konservative Parteien sind in den letzten Jahren bedeutungslos geworden - auch wegen ihres Kurses nach rechts außen. Droht der CDU Ähnliches?

von Robert Bongen, Sebastian Friedrich

Die CDU ist seit Gründung der Bundesrepublik 1949 die dominierende Partei in Deutschland. In 52 von 74 Jahren stellte sie gemeinsam mit der CSU den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Doch nach der letzten Bundestagswahl fand sich die Union in der Oppositionsrolle wieder. Darin scheint sie sich noch zurechtfinden zu müssen: Denn obwohl die regierende Ampel-Koalition von einem Umfragetief zum nächsten taumelt, profitiert die größte Oppositionspartei CDU kaum davon. Stattdessen erlebt die AfD einen Höhenflug.

VIDEO: Angriff von rechts: Untergang der CDU? (8 Min)

CDU in der Kritik

Mitsamt ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz steht die CDU in der Kritik, sich zu wenig an konstruktiver Oppositionsarbeit zu beteiligen. Stattdessen setze sie zu sehr auf kulturkämpferische Themen und falle mit rechtspopulistischen Äußerungen auf. Immerhin liegen CDU und CSU in den Umfragen mit Werten zwischen 25 bis 29 Prozent derzeit noch vorne - im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Doch wie lange noch?

Politikwissenschaftler Prof. Thomas Biebricher. © NDR
Politikwissenschaftler Thomas Biebricher betont, dass es keine Garantie für das Bestehen gemäßigter konservativer Parteien gebe.

"Man muss sich schon klarmachen, dass es eben kein politisches Naturgesetz ist, dass es solche gemäßigten konservativen Parteien mit Volksparteiansprüchen auch wirklich gibt. Die verschwinden teilweise einfach", sagt Politikwissenschaftler Thomas Biebricher von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Er hat intensiv zur internationalen Krise des Konservatismus geforscht und gerade das Buch "Mitte/Rechts" veröffentlicht.

Rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch

Ein Blick auf die Entwicklungen christdemokratischer und gemäßigt-konservativer Parteien in anderen EU-Staaten zeigt: In 13 von 27 EU-Staaten haben rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien die jeweils traditionellen, gemäßigt-konservativen Parteien bereits überholt oder liegen nahezu gleichauf (siehe Tabelle am Ende des Textes).

In einigen europäischen Staaten existieren die traditionellen konservativen Parteien sogar gar nicht mehr oder sind bedeutungslos geworden. In Italien etwa stellte die christdemokratische "Democrazia Cristiana" ein halbes Jahrhundert lang fast immer den Ministerpräsidenten. Nach einem Korruptionsskandal in den 1990er-Jahren hat sich die Partei aufgelöst. Inzwischen dominieren in Italien nationalistische und rechtsradikale Parteien wie die "Lega" und "Fratelli d’Italia" um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni das rechte Spektrum.

Marine Le Pen, Politikerin des Front National in Frankreich. © dpa bildfunk Foto: Olivier Hoslet
Marine Le Pen kann sich Hoffnungen auf den nächsten Wahlsieg machen.

Auch in Frankreich sind traditionell konservative Kräfte auf der rechten Seite der politischen Landschaft inzwischen ins Hintertreffen geraten. Nicolas Sarkozy war von 2007 bis 2012 Präsident des Landes - und damit der letzte Konservative in dem Amt. Heute stehen die Republikaner, die Nachfolgepartei von Sarkozys UMP, in Umfragen bei etwa zehn Prozent, während sich die rechtsradikale Marine Le Pen realistische Hoffnungen machen kann, die nächste Präsidentschaftswahl zu gewinnen.

Frankreich als warnendes Beispiel

Frankreich sollte ein warnendes Beispiel für die Union sein, erklärt Politikwissenschaftler Biebricher im Panorama-Interview. Die gemäßigten Konservativen in Frankreich hätten sich unter Sarkozy zu weit nach rechts bewegt und dadurch Platz in der Mitte gelassen: "Frankreichs Republikaner wurden so von rechts und der Mitte in die Zange genommen. Das ist ein Szenario, das man bei der CDU im Blick behalten sollte."

Maximilian Krah (AfD) © NDR
AfD-Politiker Maximilian Krah sieht in der Union den strategischen Hauptgegner der AfD.

In Deutschland wittert die politische Konkurrenz rechts der Union derzeit Morgenluft. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die nächste Europawahl und Mitglied im Bundesvorstand der Partei, setzt darauf, dass sich die Union in Deutschland so entwickelt wie ihre Schwesterparteien in Frankreich und Italien: "Die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden."

Das Ziel der AfD sei es, stärkste Partei in der rechten Hälfte des politischen Spektrums zu werden, entsprechend sei die Union der strategische Hauptgegner der AfD, so Krah zu Panorama. In Umfragen steht die AfD mit 21 Prozent bereits an zweiter Stelle und damit so gut da wie nie zuvor in ihrer Geschichte.

AfD sieht sich nicht mehr als kleiner Partner der Union

Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt beobachtet die Entwicklung der AfD seit langem. Bisher habe es in der Partei stets starke Kräfte gegeben, die mittelfristig als kleiner Partner mit der Union regieren wollten, um das Land sukzessive nach rechts schieben zu können. Nun seien in der AfD diejenigen dominant, die ganz anderes im Sinn haben.

"Sie wollen das Land grundlegend verändern, weshalb sie auch nicht als Juniorpartner der Union zur Verfügung stehen, sondern offen erklären, diese kaputt machen zu wollen. Dessen sollte man sich bei den Unionsparteien bewusst sein", so Biskamp. Für diese Linie stünde auch Maximilian Krah.

Steht die "Brandmauer" wirklich?

Zuletzt kamen aus der CDU in der Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD uneindeutige Signale. Offiziell ist von einer "Brandmauer" die Rede. Doch immer wieder denken einzelne CDU-Mitglieder und Abgeordnete der Parteirechten vor allem in Ostdeutschland laut darüber nach, ob man perspektivisch nicht doch mit der AfD zusammenarbeiten sollte.

Friedrich Merz © NDR
CDU-Chef Friedrich Merz sorgte mit Äußerungen für Kritik.

Gleichzeitig war insbesondere aus den liberaleren, stärker zur Mitte hin orientierten Teilen der CDU die Empörung groß, als Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview die Abgrenzung zur AfD auf kommunaler Ebene relativierte. Merz ist es auch, der seit seinem Amtsantritt als CDU-Chef Anfang 2022 immer wieder mit Aussagen irritiert hat, in denen er etwa die CDU als die "Alternative für Deutschland mit Substanz" bezeichnete, mit Blick auf Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von "Sozialtourismus" sprach oder Söhne von Migranten "kleine Paschas" nannte.

Politikwissenschaftler Biebricher kritisiert solche Aussagen. "Wenn ein Vorsitzender einer Partei, die von sich selbst sagt, dass sie die Mitte repräsentiert, solche Begriffe benutzt, dann macht er eine solche Sprache salonfähig." Dass Merz sich von der AfD distanziert, helfe da wenig, sagt Biebricher.

Im Gegenteil: "Es ist eine fatale Strategie, auf der einen Seite auf Ausgrenzung und Abgrenzung zu pochen und andererseits Rhetorik und Themensetzungen von der AfD aufzugreifen." Das könnte den Eindruck hervorrufen, dass die AfD eigentlich inhaltlich Recht habe, die Union aber nur aus machtstrategischen Erwägungen nicht mit ihr zusammenarbeite - und für die CDU gefährlich werden.

Wie geht es weiter mit der CDU?

Volker Kauder © NDR/ Wolfgang Borrs Foto: Wolfgang Borrs
Volker Kauder sieht die CDU nicht in Gefahr, appelliert aber, in der Mitte zu bleiben.

Droht der CDU vor diesem Hintergrund ein ähnliches Schicksal wie einigen ihrer Pendants in den europäischen Nachbarländern? Nein, sagt Volker Kauder, der 13 Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag war. Die CDU sei keine klassisch konservative Partei. "Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wir haben auch liberale und christlich-soziale Wurzeln, wir sind nicht verengt im Konservativen wie manche dieser Parteien, die dann auch verschwunden sind."

Kauder warnt aber auch: "Wir müssen wieder stärker das Christlich-Soziale nach vorne kehren. Eine Formulierung wie ‚Alternative für die Deutschland mit Substanz‘ sollte die CDU nicht verwenden. Wenn wir sprechen, dann muss deutlich werden, dass da Christdemokraten sprechen und keine Populisten."

Weitere Informationen
Volker Kauder vor Bücherregalen © NDR

Volker Kauder: "Bleibt schön in der Mitte"

Volker Kauder, langjähriger Fraktionschef der Union im Bundestag, über den aktuellen Kurs der CDU und ihre Zukunft. mehr

Gelinge das nicht, wäre das für die CDU mittelfristig ein ernstes Problem. "Darauf zu spekulieren, dass eine Annäherung an die AfD im Wahlkampf der CDU nützen könne, halte ich für total verfehlt. Meiner Erfahrung nach wählen die Leute dann das Original."

Noch stehen CDU/CSU im europaweiten Vergleich mit anderen gemäßigt-konservativen Parteien gut da, doch die Diskussionen um den richtigen Kurs der Union in der Opposition und um das Verhältnis zur AfD dürften weitergehen, denn im kommenden Jahr finden neben den Europawahlen auch Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen statt. In allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Kraft werden.

Konservative und rechtspopulistische Parteien in der EU
Landstärkste gemäßigt-konservative Parteistärkste rechtspopulistische bzw. rechtsradikale Partei
BelgienCD&V 10%VB 22%
BulgarienGERB 26%Wasraschdane 16%
DänemarkC 5% DD 8%
DeutschlandCDU/CSU 26%AfD 21%
EstlandIsamaa 10%EKRE 23%
FinnlandKOK 21%PS 19%
FrankreichLR/UDC 11%RN 24%
GriechenlandND 41%EL 5%
IrlandFG 19%-
ItalienFI 7%FdI 29%
KroatienHDZ 32%DP 9%
LettlandJV 21%LPV 12%
LitauenTS-LKD 16%-
LuxemburgCSV 17%ADR 4%
MaltaPN 45%-
NiederlandeCDA 5%PVV 12%
ÖsterreichÖVP 22%FPÖ 28%
PolenKO 29%PiS 36%
PortugalPSD 30%CH 11%
RumänienPNL 18%AUR 20%
SchwedenM 20%SD 19%
SlowakeiOĽaNO 7%SR 6%
SlowenienSDS 31%SNS 2%
SpanienPP 33%VOX 13%
TschechienODS 15%SPD 10%
Ungarn-Fidesz 45%
ZypernDISY 27%ELAM 7%

Quelle: Poll of Polls / Politico, Stand: 21.08.2023

Anmerkung: Zu den gemäßigt-konservativen Parteien werden im Regelfall jene Parteien gezählt, die Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) sind, in der auch die Union organisiert ist. Zu den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien werden überwiegend Parteien gerechnet, die Teil der rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) oder der überwiegend rechtsradikalen Partei Identität und Demokratie (ID) sind. Einzelne Ausnahmen sind auf länderspezifische Gegebenheiten und Traditionen zurückzuführen. So wird die tschechische Partei Občanská demokratická strana (ODS) hier dem gemäßigten Konservatismus zugeordnet, obwohl sie Teil der rechteren EKR ist. Ergänzend dazu wurden die Kategorisierungen der politikwissenschaftlichen Datenbanken von Manifesto Project und ParlGov herangezogen.

 

Weitere Informationen
Auf einem AfD-Landesparteitag hängt ein Plakat mit dem Schriftzug «Alternative für Deutschland». © picture alliance/dpa Foto: Stefan Sauer

AfD-Umfragehoch: Nicht einer, sondern acht Gründe

Warum ist die AfD derzeit im Umfragehoch - sind Ampel-Frust, "Wokeness" oder gar die Ostdeutschen schuld? Viele Erklärungsversuche greifen zu kurz. mehr

Die Talkshow "Maischberger" © ARD Foto: Screenshot

Medien und Populisten: Welche Rolle spielen Talkshows?

Die Verbreitung von Ressentiments in Deutschland ist gewachsen, so das Ergebnis einer Studie. Schuld daran sind auch die Medien, die extreme Positionen präsentieren und gesellschaftsfähig machen. mehr

 

Weitere Informationen

Angriff von rechts: Untergang der CDU? (Manuskript)

Der Panorama-Beitrag vom 24. August 2023 als PDF-Dokument zum Download. Download (65 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.08.2023 | 22:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

CDU

AfD

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?