Angriff von rechts: Untergang der CDU?
Viele europäische konservative Parteien sind in den letzten Jahren bedeutungslos geworden - auch wegen ihres Kurses nach rechts außen. Droht der CDU Ähnliches?
Die CDU ist seit Gründung der Bundesrepublik 1949 die dominierende Partei in Deutschland. In 52 von 74 Jahren stellte sie gemeinsam mit der CSU den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Doch nach der letzten Bundestagswahl fand sich die Union in der Oppositionsrolle wieder. Darin scheint sie sich noch zurechtfinden zu müssen: Denn obwohl die regierende Ampel-Koalition von einem Umfragetief zum nächsten taumelt, profitiert die größte Oppositionspartei CDU kaum davon. Stattdessen erlebt die AfD einen Höhenflug.
CDU in der Kritik
Mitsamt ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz steht die CDU in der Kritik, sich zu wenig an konstruktiver Oppositionsarbeit zu beteiligen. Stattdessen setze sie zu sehr auf kulturkämpferische Themen und falle mit rechtspopulistischen Äußerungen auf. Immerhin liegen CDU und CSU in den Umfragen mit Werten zwischen 25 bis 29 Prozent derzeit noch vorne - im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Doch wie lange noch?
"Man muss sich schon klarmachen, dass es eben kein politisches Naturgesetz ist, dass es solche gemäßigten konservativen Parteien mit Volksparteiansprüchen auch wirklich gibt. Die verschwinden teilweise einfach", sagt Politikwissenschaftler Thomas Biebricher von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Er hat intensiv zur internationalen Krise des Konservatismus geforscht und gerade das Buch "Mitte/Rechts" veröffentlicht.
Rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch
Ein Blick auf die Entwicklungen christdemokratischer und gemäßigt-konservativer Parteien in anderen EU-Staaten zeigt: In 13 von 27 EU-Staaten haben rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien die jeweils traditionellen, gemäßigt-konservativen Parteien bereits überholt oder liegen nahezu gleichauf (siehe Tabelle am Ende des Textes).
In einigen europäischen Staaten existieren die traditionellen konservativen Parteien sogar gar nicht mehr oder sind bedeutungslos geworden. In Italien etwa stellte die christdemokratische "Democrazia Cristiana" ein halbes Jahrhundert lang fast immer den Ministerpräsidenten. Nach einem Korruptionsskandal in den 1990er-Jahren hat sich die Partei aufgelöst. Inzwischen dominieren in Italien nationalistische und rechtsradikale Parteien wie die "Lega" und "Fratelli d’Italia" um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni das rechte Spektrum.
Auch in Frankreich sind traditionell konservative Kräfte auf der rechten Seite der politischen Landschaft inzwischen ins Hintertreffen geraten. Nicolas Sarkozy war von 2007 bis 2012 Präsident des Landes - und damit der letzte Konservative in dem Amt. Heute stehen die Republikaner, die Nachfolgepartei von Sarkozys UMP, in Umfragen bei etwa zehn Prozent, während sich die rechtsradikale Marine Le Pen realistische Hoffnungen machen kann, die nächste Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
Frankreich als warnendes Beispiel
Frankreich sollte ein warnendes Beispiel für die Union sein, erklärt Politikwissenschaftler Biebricher im Panorama-Interview. Die gemäßigten Konservativen in Frankreich hätten sich unter Sarkozy zu weit nach rechts bewegt und dadurch Platz in der Mitte gelassen: "Frankreichs Republikaner wurden so von rechts und der Mitte in die Zange genommen. Das ist ein Szenario, das man bei der CDU im Blick behalten sollte."
In Deutschland wittert die politische Konkurrenz rechts der Union derzeit Morgenluft. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die nächste Europawahl und Mitglied im Bundesvorstand der Partei, setzt darauf, dass sich die Union in Deutschland so entwickelt wie ihre Schwesterparteien in Frankreich und Italien: "Die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden."
Das Ziel der AfD sei es, stärkste Partei in der rechten Hälfte des politischen Spektrums zu werden, entsprechend sei die Union der strategische Hauptgegner der AfD, so Krah zu Panorama. In Umfragen steht die AfD mit 21 Prozent bereits an zweiter Stelle und damit so gut da wie nie zuvor in ihrer Geschichte.
AfD sieht sich nicht mehr als kleiner Partner der Union
Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt beobachtet die Entwicklung der AfD seit langem. Bisher habe es in der Partei stets starke Kräfte gegeben, die mittelfristig als kleiner Partner mit der Union regieren wollten, um das Land sukzessive nach rechts schieben zu können. Nun seien in der AfD diejenigen dominant, die ganz anderes im Sinn haben.
"Sie wollen das Land grundlegend verändern, weshalb sie auch nicht als Juniorpartner der Union zur Verfügung stehen, sondern offen erklären, diese kaputt machen zu wollen. Dessen sollte man sich bei den Unionsparteien bewusst sein", so Biskamp. Für diese Linie stünde auch Maximilian Krah.
Steht die "Brandmauer" wirklich?
Zuletzt kamen aus der CDU in der Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD uneindeutige Signale. Offiziell ist von einer "Brandmauer" die Rede. Doch immer wieder denken einzelne CDU-Mitglieder und Abgeordnete der Parteirechten vor allem in Ostdeutschland laut darüber nach, ob man perspektivisch nicht doch mit der AfD zusammenarbeiten sollte.
Gleichzeitig war insbesondere aus den liberaleren, stärker zur Mitte hin orientierten Teilen der CDU die Empörung groß, als Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview die Abgrenzung zur AfD auf kommunaler Ebene relativierte. Merz ist es auch, der seit seinem Amtsantritt als CDU-Chef Anfang 2022 immer wieder mit Aussagen irritiert hat, in denen er etwa die CDU als die "Alternative für Deutschland mit Substanz" bezeichnete, mit Blick auf Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von "Sozialtourismus" sprach oder Söhne von Migranten "kleine Paschas" nannte.
Politikwissenschaftler Biebricher kritisiert solche Aussagen. "Wenn ein Vorsitzender einer Partei, die von sich selbst sagt, dass sie die Mitte repräsentiert, solche Begriffe benutzt, dann macht er eine solche Sprache salonfähig." Dass Merz sich von der AfD distanziert, helfe da wenig, sagt Biebricher.
Im Gegenteil: "Es ist eine fatale Strategie, auf der einen Seite auf Ausgrenzung und Abgrenzung zu pochen und andererseits Rhetorik und Themensetzungen von der AfD aufzugreifen." Das könnte den Eindruck hervorrufen, dass die AfD eigentlich inhaltlich Recht habe, die Union aber nur aus machtstrategischen Erwägungen nicht mit ihr zusammenarbeite - und für die CDU gefährlich werden.
Wie geht es weiter mit der CDU?
Droht der CDU vor diesem Hintergrund ein ähnliches Schicksal wie einigen ihrer Pendants in den europäischen Nachbarländern? Nein, sagt Volker Kauder, der 13 Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag war. Die CDU sei keine klassisch konservative Partei. "Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wir haben auch liberale und christlich-soziale Wurzeln, wir sind nicht verengt im Konservativen wie manche dieser Parteien, die dann auch verschwunden sind."
Kauder warnt aber auch: "Wir müssen wieder stärker das Christlich-Soziale nach vorne kehren. Eine Formulierung wie ‚Alternative für die Deutschland mit Substanz‘ sollte die CDU nicht verwenden. Wenn wir sprechen, dann muss deutlich werden, dass da Christdemokraten sprechen und keine Populisten."
Gelinge das nicht, wäre das für die CDU mittelfristig ein ernstes Problem. "Darauf zu spekulieren, dass eine Annäherung an die AfD im Wahlkampf der CDU nützen könne, halte ich für total verfehlt. Meiner Erfahrung nach wählen die Leute dann das Original."
Noch stehen CDU/CSU im europaweiten Vergleich mit anderen gemäßigt-konservativen Parteien gut da, doch die Diskussionen um den richtigen Kurs der Union in der Opposition und um das Verhältnis zur AfD dürften weitergehen, denn im kommenden Jahr finden neben den Europawahlen auch Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen statt. In allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Kraft werden.
Land | stärkste gemäßigt-konservative Partei | stärkste rechtspopulistische bzw. rechtsradikale Partei |
---|---|---|
Belgien | CD&V 10% | VB 22% |
Bulgarien | GERB 26% | Wasraschdane 16% |
Dänemark | C 5% | DD 8% |
Deutschland | CDU/CSU 26% | AfD 21% |
Estland | Isamaa 10% | EKRE 23% |
Finnland | KOK 21% | PS 19% |
Frankreich | LR/UDC 11% | RN 24% |
Griechenland | ND 41% | EL 5% |
Irland | FG 19% | - |
Italien | FI 7% | FdI 29% |
Kroatien | HDZ 32% | DP 9% |
Lettland | JV 21% | LPV 12% |
Litauen | TS-LKD 16% | - |
Luxemburg | CSV 17% | ADR 4% |
Malta | PN 45% | - |
Niederlande | CDA 5% | PVV 12% |
Österreich | ÖVP 22% | FPÖ 28% |
Polen | KO 29% | PiS 36% |
Portugal | PSD 30% | CH 11% |
Rumänien | PNL 18% | AUR 20% |
Schweden | M 20% | SD 19% |
Slowakei | OĽaNO 7% | SR 6% |
Slowenien | SDS 31% | SNS 2% |
Spanien | PP 33% | VOX 13% |
Tschechien | ODS 15% | SPD 10% |
Ungarn | - | Fidesz 45% |
Zypern | DISY 27% | ELAM 7% |
Quelle: Poll of Polls / Politico, Stand: 21.08.2023
Anmerkung: Zu den gemäßigt-konservativen Parteien werden im Regelfall jene Parteien gezählt, die Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) sind, in der auch die Union organisiert ist. Zu den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien werden überwiegend Parteien gerechnet, die Teil der rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) oder der überwiegend rechtsradikalen Partei Identität und Demokratie (ID) sind. Einzelne Ausnahmen sind auf länderspezifische Gegebenheiten und Traditionen zurückzuführen. So wird die tschechische Partei Občanská demokratická strana (ODS) hier dem gemäßigten Konservatismus zugeordnet, obwohl sie Teil der rechteren EKR ist. Ergänzend dazu wurden die Kategorisierungen der politikwissenschaftlichen Datenbanken von Manifesto Project und ParlGov herangezogen.