Hass und Hetze: Wie gefährlich ist der Wahlkampf?
Ein Großteil der Kandidat:innen für den Bundestag ist von persönlichen Anfeindungen betroffen. Eine Panorama-Umfrage zeigt: Die Corona-Pandemie hat das Ausmaß offenbar noch verstärkt.
Ohne seine Personenschützer:innen kann Karl Lauterbach nicht mehr auf die Straße - und auch im SPD-Wahlkampf sind sie an der Seite des Politikers. "Solange es bei mündlicher Pöbelei bleibt, ist das okay. Solange keine Gefährdung ist", sagt Lauterbach.
In Zeiten der Corona-Pandemie ist Lauterbach zu einer der prominentesten Stimmen geworden. Der SPD-Politiker saß, auch in seiner Rolle als Mediziner und Mann der Wissenschaft, in zahlreichen Talkshows. Er sprach dort über das Virus, seine Auswirkungen auf die Gesellschaft und Maßnahmen zur Eindämmung.
Corona hat Ausmaß der Anfeindungen verstärkt
Anfeindungen sind für Lauterbach zum Alltag geworden. Damit ist er in der Politik nicht allein. Ein Großteil der Kandidat:innen für den Deutschen Bundestag ist von persönlichen Anfeindungen betroffen. Das zeigt eine bundesweite Umfrage von Panorama. Ein weiteres Ergebnis: Die Corona-Pandemie hat das Ausmaß der Anfeindungen offenbar noch verstärkt.
Befragt wurden alle Politiker:innen der sechs großen Parteien, die für den Deutschen Bundestag kandidieren. Etwa 70 Prozent der Befragten haben schon Beleidigungen, Abwertungen oder Bedrohungen über soziale Medien, per E-Mail, Post, Fax oder Telefon erhalten. 46 Prozent berichten zudem, dass die Aggressivität zugenommen habe.
Krisen bieten Zulauf für extremistische Positionen
Nicole Deitelhoff, Direktorin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, bestätigt, dass die Pandemie die Art zu kommunizieren in der Gesellschaft verändert hat. "In einer solchen Situation nimmt einfach Unsicherheit in einem Ausmaß zu, dass Angst immer stärker wird. Und das führt dazu, dass man unglaublich schlecht streitet." Ob Krisen oder große Unsicherheit: "Das gibt immer Zulauf für extremistische Positionen, weil einfach in der Unsicherheit nach alternativen Lösungen und Heilsbringern gesucht wird." Gleichzeitig würden viele Menschen Wut und Frustration bei Politiker:innen loswerden, sobald sich ihnen Gelegenheit bietet - im Netz, aber auch auf der Straße.
"Ich denke schon zweimal nach..."
Karoline Otte ist 24 Jahre alt und kandidiert zum ersten Mal für den Bundestag. Weiblich, jung, Grüne - für Rechtspopulist:innen ist sie das perfekte Feindbild. Im Internet bekommt sie viel Hass ab. "Ich denke schon zweimal darüber nach, ob ich mich jetzt gerade zu diesem Thema äußern sollte", sagt Otte. "Aber ich glaube, wenn man da zu viel drüber nachdenkt, vor allem in dem Moment, in dem man auf der Straße steht, mit Bürgerinnen und Bürgern - dass das einen so sehr hemmen würde, dass dann Wahlkampf gar nicht möglich wäre."
Die Umfrage von Panorama zeigt jedoch: Zahlreiche Politiker:innen ändern ihr politisches Verhalten, wenn sie Anfeindungen erfahren. "Ich bin weniger offen in sozialen Medien, poste weniger deutlich meine Meinung", sagte eine Kandidatin der CDU. Ein Kandidat der AfD sagte: "In manchen Fällen äußere ich meine persönliche Meinung nicht mehr." Und ein Kandidat der FDP gab an, "bewusst eine zurückhaltendere Formulierung" zu wählen, "was eigentliche Aussagen schwächt - aus Sorge vor einer etwaigen Fehlinterpretation."
Politikberater: "Verrohung des Diskurses"
Diese Zurückhaltung beobachtet auch der Politikberater Martin Fuchs. "Die Verrohung des Diskurses, die wir seit ein paar Jahren beobachten, hat extreme Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Politiker:innen sich bewegen, wie sie sich vielleicht gerieren, wie sie kommunizieren. Weil es natürlich etwas macht mit politischen Akteur:innen, wenn sie sich mit so etwas auseinandersetzen müssen."
Alaows: Rückzug statt Bundestag
Tareq Alaows war bis vor kurzem Bundestags-Kandidat. Doch er hat all den Hass nicht mehr ausgehalten. Alaows ist aus Syrien geflüchtet, lebt seit 2015 in Deutschland. Seitdem engagiert sich der Jurist politisch. Im Februar dieses Jahres gibt er seine Bundestags-Kandidatur für die Grünen bekannt. Doch dann zog der 32-jährige seine Kandidatur zurück: zu massiv waren Hetze und Drohungen, zu groß die Angst, ihm oder seiner Familie könnte etwas passieren. Im Nachhinein zieht er eine bittere Bilanz: "Eine Person, die die ganze Unterstützung wie ich bekommt und trotzdem nicht in der Lage war, am Ende die Kandidatur durchzuziehen - das ist eine große Gefahr für unsere Demokratie."