Palästinenser und Unterstützer kritisieren Demoverbot in Hamburg

Stand: 20.10.2023 15:26 Uhr

In Hamburg sind bis Sonntag alle pro-palästinensischen Demonstrationen von der Versammlungsbehörde verboten worden. Viele der Demonstrierenden kritisieren den Eingriff der Polizei, fühlen sich unter Generalverdacht gestellt.

von Ann-Brit Bakkenbüll

Nikodem Kaddoura steht auf dem Hamburger Rathausmarkt. Hier hätte er am Mittwochabend gerne für die Rechte der Palästinenser demonstriert. Aber die Kundgebung wurde von der Polizei aufgelöst. Sie war zuvor verboten worden. "Das Einzige, was ich machen wollte, ist: auf die Straße gehen, meine Meinung kundtun und für den Frieden demonstrieren", so Kaddoura.

"Wir werden abgestempelt als Terroristen" 

Der 23-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen. 1948 fliehen seine Großeltern aus dem heutigen Israel in den Libanon. Dort hat er immer noch Familie. Sein Eindruck: die pro-palästinensische Community steht derzeit unter einem Generalverdacht. Er zeigt einen Artikel aus dem Internet mit einem Bild, auf dem er eine Flagge auf dem Rücken trägt und von hinten zu sehen ist - dazu die Überschrift "Hamas-Unterstützer". "Ich finde es schade, weil wir nicht erhört werden", sagt Kaddoura. "Wir werden abgestempelt als Terroristen, als Hamas-Unterstützer, obwohl wir letzten Endes auf den Demonstrationen für Frieden plädieren."

Weitere Informationen
Polizisten gehen nach dem Freitagsgebet an einer Moschee in Hamburg-St. Georg Streife. © dpa Foto: Marcus Brandt

Hamburger Polizei zeigt wegen Freitagsgebeten viel Präsenz

Wegen des andauernden Nahostkonflikts ist die Polizei in Alarmbereitschaft. Insgesamt blieb die Lage am Freitag ruhig. mehr

Kaddoura distanziert sich von jeglicher Gewalt, die unschuldige Zivilisten trifft - auch von der Terrorgruppe Hamas. Trotzdem ist er nicht der Meinung, dass bei diesen Demonstrationen insgesamt eine klare Abgrenzung zur Terrorgruppe notwendig wäre: "Wir müssen nicht immer gegen etwas sein, gegen Partei X oder Y.  Wir wollen für etwas, für Frieden, für Freiheit, sein." 

"Es hat auch ganz klar rassistische Hintergründe" 

. © Screenshot
Für Yafa (Name geändert) ist das Demonstrationsverbot nicht hinnehmbar.

Yafa will sich dagegen nicht zur Hamas positionieren. Die 25-Jährige möchte nicht mit ihrem richtigen Namen nicht genannt werden. Sie ist in Deutschland geboren aber sie fühlt sich nur als Palästinenserin. Schon seit Jahren ist sie aktiv, unter anderem für den deutsch-palästinensischen Frauenverein. Für sie ist das Demonstrationsverbot nicht hinnehmbar. "Es hat auch ganz klar rassistische Hintergründe, gegen Muslime und gegen Palästinenser", meint Yafa. "Das beleuchtet für mich auch noch mal diese Ungleichheit: Es wird immer 'Konflikt' genannt, aber eine Seite hat eindeutig den militärischen Vorteil." Rassistische Motive - das unterstellt sie den Behörden. So denken viele aus ihrem Umfeld. Deshalb will auch sie für ein freies Palästina demonstrieren. 

Staatsrechtler: Recht auf freie Meinungsäußerung wird beschnitten 

Versammlungen müssen im Allgemeinen friedlich laufen, sagt Ulrich Battis, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Ist dies in Gefahr, dürfen sie verboten werden. Doch auch Battis ist der Meinung, dass durch die Allgemeinverfügung in Hamburg das Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten wird: "Es werden pauschal Versammlungen verboten, ohne dass eine konkrete Einzelfallprüfung stattgefunden hat. Das ist der entscheidende Punkt. Als prophylaktische Maßnahme kann man sicherlich sagen, das ist verständlich, insbesondere wenn man bedenkt, was in Berlin passiert ist an Demonstrationen und Gewaltausbrüchen. Dann sind Verbote verständlich. Aber das schließt nicht aus, dass im Einzelfall nachgewiesen werden muss, welche Gefahren bestehen und welche Gewalttaten befürchtet werden." 

Weitere Informationen
Canan Topcu in der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" © picture alliance / Karlheinz Schindler/dpa-Zentralbild/ZB Foto: Karlheinz Schindler

Terror der Hamas - Taten klar verurteilen

Die muslimische Publizistin Canan Topçu plädiert dafür, schon in den Schulen Hass und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken. mehr

Das Existenzrecht Israels anerkennen? Keine Antwort  

Für Yafa ist die Situation, mit oder ohne Demos, zunehmend belastend. Auch weil die Reaktionen auf den aktuellen Konflikt immer extremer werden, vor allem im Netz. Yafa zeigt auf ihrem Smartphone ein Beispiel. "Hier steht: ‘Drecks-Terroristen-Pack. Hoffentlich bombt Israel euch und eure verwilderte Sippe die Scheiße so richtig aus dem Leib.’ Es wird verallgemeinert auf alle Palästinenser - als ob alle Palästinenser Terroristen sind." Yafa fühlt sich damit zunehmend auch persönlich angegriffen. Trotzdem will sie sich weiter für das Recht der Palästinenser einsetzen. Auf die Frage, ob sie das Existenzrecht Israels anerkenne, antwortet sie nicht.

Weitere Informationen
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Irene Butter sitzt auf einer Bank. © NDR Foto: Caroline Schmidt

Irene Butter zu Nahost-Konflikt: "Wir weigern uns, Feinde zu sein"

Die Holocaust-Überlebende hat Angst um ihre in Israel lebende Familie. In ihrer Heimat USA versucht sie, mit jüdisch-arabischen Treffen für Verständigung zu sorgen. mehr

Martin Köttering, der Präsident der Hochschule für bildende Künste in Hamburg © Screenshot

Neuer Ärger um Ruangrupa: Heftige Kritik an HFBK-Präsident Köttering

Wieder sind die zwei ehemaligen Gastdozenten der Hamburger Kunsthochschule durch Israel-Hass aufgefallen. Die Stiftung Bornplatzsynagoge spricht von "geistiger Brandstiftung". mehr

Ein israelischer Soldat zeigt das Victory-Zeichen von einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen aus, der sich im Süden Israels auf die Grenze zum Gazastreifen zubewegt © Ohad Zwigenberg/AP/dpa

NachGedacht: Kriegsdynamiken in Nahost

Der schrecklichste Terror seit Gründung des Staates Israel hat das Land und den gesamten Nahen Osten ins Wanken gebracht. mehr

Die Schriftsteller Doron Rabinovici, Tomer Dotan-Dreyfus und Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, nehmen auf der Frankfurter Buchmesse an der Gesprächsrunde von PEN Berlin und Frankfurter Buchmesse zum Thema "In Sorge um Israel" teil. © Arne Dedert/dpa

Wie über Krieg sprechen? Israel auf der Frankfurter Buchmesse

Bei einem Podium auf der Buchmesse haben israelische Intellektuelle und Autoren über die aktuelle Situation gesprochen. mehr

Ein Mann spricht bei einer Lesung in ein Mikrophon. © IMAGO / Funke Foto Services

Igal Avidan: "Die Lösung des Konflikts kann nur politisch sein"

In seinem Buch "… und es wurde Licht" erzählt der Autor Geschichten von jüdischen und arabischen Israelis, die im Alltag zusammenleben. mehr

Teilnehmende bei der Kundgebung am Jungfernstieg. © NDR Foto: Finn Kessler

Terror in Israel: Kultureinrichtungen im Norden solidarisch

Theater und Museen im Norden positionieren sich deutlich gegen Terror und treten für Demokratie, Dialog und Frieden ein. mehr

Kai Ambos, Völkerrechtler an der Universität Göttingen. © Universität Göttingen
7 Min

Völkerrechtler: Zivilisten dürfen nicht angegriffen werden

Israel müsse alles dafür tun, im Konflikt mit der Hamas Opfer bei der zivilen Bevölkerung zu vermeiden, sagte Kai Ambos von der Universität Göttingen auf NDR Info. 7 Min

Tom Segev © picturedesk.com | Robert Newald Foto: Robert Newald
7 Min

Tom Segev: Rettung der Geiseln muss Priorität haben

Die bestialische Brutalität des Hamas-Terrors sei nicht nachvollziehbar, betonte der Historiker und Journalist aus Israel im Interview auf NDR Info. 7 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 28.10.2023 | 15:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Terrorismus

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur Livestream

Hörspiel

18:00 - 20:00 Uhr
Live hörenTitelliste