Engagiert gegen Vorurteile und Ausgrenzung: Jüdisch-muslimisches Tandem
Der Rabbiner Gábor Lengyel und die Juristin Rumeysa Koç vermitteln in Workshops an Schulen Kenntnisse über Judentum und Islam und schärfen so bei Schüler*innen auch das Bewusstsein für Vorurteile.
Ein Klassenraum in der Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim, 23 Schülerinnen und Schülern des zehnten Jahrgangs, erwartungsvolle Blicke. Die Muslima Rumeysa Koç und Rabbiner Gábor Lengyel kommen direkt zum Thema: Woran könnten die 15- bis 17-Jährigen erkennen, dass Menschen andere Menschen diskriminieren?
"Dafür zeige ich euch diesen kleinen Dreisatz", so Rumeysa Koç. "Das fängt damit an, dass ihr ein Merkmal erkennt bei einer Person - nennen wir es: Merkmal schwarze Hautfarbe. Dann stecken wir diese Person aufgrund ihres Merkmals in eine Gruppe: Gruppe Afrikaner. Und dann geben wir dieser Gruppe Afrikaner eine Eigenschaft - wir sagen: Alle Afrikaner sind gewaltbereit."
Rumeysa Koç, 27, angehende Juristin, regt an, selbst solch einen Dreisatz zu konstruieren, um diskriminierende Merkmale zu erkennen. Schülervorschlag für das Merkmal: Halskette mit Kreuz; Gruppe: Christen; Eigenschaften: "Gläubig", sagt ein Schüler. "Rassistisch gegenüber anderen Religionen", fügt eine Schülerin hinzu.
Gábor Lengyel: "Unser Hauptmotiv ist Demokratieförderung"
"Wie würdet Ihr aus dem Bauch definieren, was Antisemitismus ist", fragt Gábor Lengyel. "Antisemitismus - das sind ja Vorurteile", findet ein Schüler. Eine bedrohliche Situation hätte die Klasse auch während der Abschlussfahrt in Amsterdam erlebt, erzählt der Schüler, als dort Teenager sie mit Steinen beworfen und die ganze Zeit "Adolf Hitler" gerufen haben.
Das Jüdisch-muslimische Tandem möchte erreichen, dass Schülerinnen und Schüler den Mechanismus der abwertenden Ausgrenzung erkennen. Und dass sie prüfen: Wo diskriminiere ich selbst? Eindringlich vermittelt der 84-jährige Rabbiner Gábor Lengyel, dass es in einer Demokratie darum gehe, kulturelle Vielfalt und religiöse Verschiedenheit auszuhalten: "Unser Hauptmotiv ist Demokratieförderung. Ich glaube, wir beide können dadurch, dass wir über Dinge streiten, Beispiele aufzeigen. Streiten über Judentum, über Islam, über was man darf, was man nicht darf. Das ist meine Hauptmotivation."
Jüdisch-muslimisches Tandem kommt gut an
Streiten und trotzdem andere Meinungen aushalten, auch das üben die Schülerinnen und Schüler im Workshop. Sie teilen sich in drei Gruppen, jede bekommt ein Foto mit provozierendem Motiv. Ein Foto zeigt vier junge Leute, die vor dem Lagereingang des ehemaligen KZ Auschwitz ein Selfie machen. Darf man das? Die Schülerinnen und Schüler sollen Argumente dafür und dagegen finden.
"Das ist ein Platz, wo etwas Schwieriges passiert ist, und deswegen wollen die einfach zeigen: Ja, wir waren auch da", stellt eine Schülerin fest. Ein Schüler entgegnet: "Es ist eine Gedenkstätte, und die posen davor mit einem Lächeln…" "Vielleicht sind das YouTuber und wollen einfach nur zeigen, dass sie da sind und dass sie darüber etwas berichten", sagt eine weitere Schülerin.
Rumeysa Koç ist beeindruckt von der Diskussion an diesem Vormittag: "In der Klasse ist mir besonders aufgefallen, dass die sehr konfrontativ sind, dass sie sich nicht scheuen, mit uns zu diskutieren. Die haben untereinander gut diskutiert, die haben auch ihre gegenüberliegenden Meinungen ausgehalten. Das ist nicht immer der Fall. Wir stoßen auch oft auf verschlossene Schüler."
Als jüdisch-muslimisches Tandem engagieren sich Gábor Lengyel und Rumeysa Koç ehrenamtlich in Schulen und in der Hannoverschen Gedenkstätte Ahlem. Sie klären Missverständnisse über Judentum und Islam, erläutern Hintergründe, immer zugewandt, geduldig, aber bestimmt. Bei den Schülern kommt das an. "Ich habe sehr viel dazugelernt", erzählt eine Schülerin. "Zum Beispiel, was Antisemitismus bedeutet - das wusste ich davor noch nicht. Auch mit den Diskriminierungen und dem Dreisatz - das fand ich sehr toll, dass die das alles so ausführlich erklärt haben."
Bereits der zweite Besuch von Koç und Lengyel
Marcel Pahl ist Fachbereichsleiter für die Fächer Geschichte, Politik und Erdkunde. Schon im vergangenen Schuljahr holte er das jüdisch-muslimische Tandem an die Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim. Der Nahostkonflikt sorgte damals auch in der multikulturellen Schülerschaft für Spannungen. Gábor Lengyel und Rumeysa Koç sei es gelungen, das Miteinander zu stärken. "Man hat am Ende so viel Gemeinsames gesehen, obwohl man sich am Anfang skeptisch gegenüberstand. Das hat uns überzeugt", so Marcel Pahl.
