Religion verbindet: Eine jüdisch-muslimische Freundschaft
Freundschaften oder Partnerschaften zwischen Juden und Muslimen können sich viele schwer vorstellen. Und doch gibt es sie, wie zum Beispiel Avi Applestein und Stephanie Fehr beweisen.
Donnerstagabend in der Kölner Südstadt. Avi Applestein trifft sich mit seiner Freundin Stephanie Fehr auf eine Tasse Kaffee. Er ist groß, trägt Vollbart und eine runde Brille. Sie ist dezent geschminkt, hat die braunen Haare nach hinten gebunden. Sie sind ein besonderes Paar. Avi ist israelischer Jude und Stephanie deutsche Muslima. Mit Blick auf das Massaker der Hamas-Terroristen in Israel vor einem Jahr und den anschließenden Folgen schauen beide besorgt in die Region.
"Wenn man dort aufwächst, auf beiden Seiten, ist das Misstrauen für die andere Seite mit der Muttermilch gegeben, schon als Kind, in der Schule. Dieses Misstrauen ist drin und deswegen ist es sehr schwer, das Vertrauen, das wir brauchen, wieder aufzubauen", sagt Avi Applestein.
"Religion ist nicht etwas Trennendes"
Stephanie Fehr ist mit 14 zum Islam konvertiert, hat in Heidelberg und Köln gelebt und ist nach dem Jurastudium nach Manchester gegangen, um als Wissenschaftlerin zu arbeiten. Mit ein wichtiges Fundament ihrer Beziehung sei das liberale Denken beider: "Ich würde sagen, dass wir beide sehr gut zuhören können und auch beide nicht voreilig urteilen, sondern genau nachprüfen, ob wir die Inhalte richtig verstanden haben", findet Stephanie Fehr. "Durch diese Art und Weise des Umgangs entstehen auch keine Missverständnisse."
Kennengelernt haben sich die beiden vor Jahren bei einem gemeinsamen Fastenbrechen. Avi Applestein ist in Israel geboren und aufgewachsen, als Sohn von Eltern, die den Holocaust überlebt hatten. Später verlässt der liberal denkende Applestein sein Land, weil es ihm dort politisch zu eng wird. Er bereist jahrelang zahlreiche Länder und kommt schließlich nach Deutschland. Der 68-jährige Psychotherapeut war lange Zeit Vorstandsmitglied der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln. Wie aber kann eine Freundschaft zwischen einem Juden und einer Muslima gelingen?
"Wir haben festgestellt, dass wir sehr ähnlich denken und dass eigentlich die Religion nicht etwas Trennendes ist, sondern eher verbindet. Dass wir beide gläubig verwurzelt sind und die zeremoniellen Unterschiede eher beflügelnd sind und nicht etwas Trennendes", erklärt Applestein. "Ich begleite sie sehr gerne zur Moschee, und sie begleitet mich sehr gerne zu der Synagoge."
Hoffnung auf Versöhnung in Nahost
Auf religiöser Ebene haben Avi und Stephanie keine Probleme. Politisch gäbe es gelegentlich Differenzen - jedoch nicht, wenn es um den Konflikt in Nahost gehe, da sei man weitestgehend einer Meinung. Nicht nur die Grausamkeit der Ereignisse des 7. Oktober sei sehr bedrückend, auch die Situation der Zivilbevölkerung in Gaza berühre beide mit sehr viel Trauer. Wie könnte es weitergehen in diesem komplizierten, vielschichtigen und Jahrzehnte andauernden Konflikt?
"Es ist auf jeden Fall wichtig, wieder ins Gespräch zu kommen und ich hoffe, dass irgendwann ein Dialog wieder möglich sein wird - und das natürlich auf beiden Seiten", so Fehr. Applestein ergänzt: "Man muss verstehen: Die Geografie von dem Ort ist so klein, so verfeindet. Man ist so respektlos einander gegenüber. Es gibt keine Augenhöhe, und diese Augenhöhe ist das A und O, um in Würde miteinander zu leben."
Im Nahen Osten sind Lösungen eines Lebens in Würde und Frieden beider Länder in die Ferne gerückt. Doch Avi Applestein und Stephanie Fehr haben die Hoffnung nicht aufgegeben: Einander wirklich zuhören, das Fremde in der Religion, in der Kultur als Bereicherung statt Bürde zu begreifen, auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und Augenhöhe und mit dem gemeinsamen Ziel des Friedens - was das Paar im Alltag lebt und verbindet, das könnten vielleicht auch Ansätze auf der großen politischen Bühne sein. Irgendwann.