Zwischen Pop und Politik: Die Geschichte der "Hamburger Schule"  

Stand: 28.05.2024 14:03 Uhr

Eine zweiteilige Dokumentation über die Geschichte der einflussreichen Hamburger Musikszene, die unter anderem Bands wie Tocotronic und Die Sterne hervorgebracht hat, liefert faszinierende Einblicke. Ab heute in der ARD Mediathek.  

von Yasemin Ergin

Der Golden Pudel in St. Pauli ist einer der bekanntesten Clubs Deutschlands. Ein Szeneladen, der in Reiseführern angepriesen wird und für hippen Anti-Mainstream steht. Wie Musiker und Autor Rocko Schamoni den legendären Club Mitte der 90er gründete, ist eine von vielen Geschichten aus der zweiteiligen Dokumentation "Die Hamburger Schule - eine Musikszene zwischen Pop und Politik" von NDR Autorin Natascha Geier. 

Aus Wohnzimmer-Salon wird Pudel Club

Ende der 80er-Jahre, so erzählt es die Musikerin Rebecca "Nixe" Walsh im Interview, betrieb sie in ihrem heimischen Wohnzimmer einen kleinen Salon, in dem sie und ihre Freund:innen aus der alternativen Hamburger Kreativszene sich regelmäßig trafen, um Dinge auszuprobieren, die sie auf der Bühne noch nicht präsentieren mochten. Rocko Schamoni veranstaltete diesen Salon mit Rebecca „Nixe“ Walsh gemeinsam. Er wollte auch immer neue Gäste dazuholen, die nicht Teil der Gruppe waren, um zu gucken, "was die so machen". Als Nixes Wohnzimmer irgendwann zu klein wurde, zog die Veranstaltung um, in eine leerstehende Kneipe in einem baufälligen Flachbau im Schanzenviertel. Der erste Pudel Club war geboren.  

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Die Band Tocotronic spielt im Hamburger Stadtpark. © Screenshot
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Der Pudel Club als Treffpunkt der "Hamburger Schule"  

In einer Szene der Dokumentation führt Rocko Schamoni Regisseurin Natascha Geier zum Standort des damals ziemlich anarchisch betriebenen Clubs. Während die beiden vor dem fünfstöckigen Neubau stehen, das sich anstelle des längst abgerissenen alten Gebäudes heute dort befindet, erzählt Schamoni, wer damals alles in dem "Ur-Pudel" aufgetreten ist: Er selbst natürlich, die Goldenen Zitronen, und auch ein damals noch eher unbekannter Helge Schneider, der hier vor etwa 100 Leuten einen seiner frühen Auftritte hatte. Dass Schneider, der nur wenig später deutschlandweit riesige Erfolge feierte, zu den frühen Impulsgebern der Hamburger Schule gehörte, ist auch eine der überraschenden Anekdoten, von denen es in den beiden Filmen viele gibt. 

Rocko Schamoni und Natascha Geier stehen in einer Straße. © NDR Foto: NDR
Rocko Schamoni und die Regisseurin Natascha Geier lassen im Film die alten Zeiten wieder aufleben.

Der persönliche Zugang, den Autorin Natascha Geier zum Thema und den Protagonist:innen ihrer Filme hat, gehört zu den Besonderheiten dieses Doku-Zweiteilers. Geier verbrachte ihre Uni-Zeit im Umfeld der Hamburger Schule, schlug sich in den 90er-Jahren die Nächte in den selben Hamburger Underground-Clubs um die Ohren, in denen sich die Szene traf. So lernte sie viele Musiker:innen kennen und landete sogar mal in einem Musikvideo der Goldenen Zitronen und auf dem Plattencover der Mobylettes. Entsprechend vertraut wirken viele der Gespräche, die sie mit ihren Interviewpartner:innen führt. 

Deutsche Texte, Systemkritik und Abgrenzung vom Mainstream  

Die Band Tocotronic auf einer Bühne. © NDR Foto: NDR
Tocotronic sind neben Blumfeld und Die Sterne eine zentrale Band der Hamburger Schule. Sie zeichnen sich durch deutschsprachige Texte aus.

Die Musiker:innen, um die es in ihren Filmen geht, und die später unter dem Begriff "Hamburger Schule" zusammengefasst wurden, waren alle total unterschiedlich. Was Bands wie Blumfeld, Tocotronic oder Die Sterne einte, waren vor allem ihre deutschen Texte: "Reflektiert, gerne kompliziert, ironisch, um die Ecke gedacht. Deutsche Texte, die was wagen und was wollen, ästhetisch und politisch", wie es im Film heißt. Die Bands der Hamburger Schule standen für eine klare Abgrenzung vom Mainstream, vom Bürgerlichen und Konventionellen und für eine politische, dezidiert linke und systemkritische Haltung. Die Doku zeigt, wie sehr die Szene von den Ereignissen ihrer Zeit geprägt war: Katastrophen wie die Explosion in Tschernobyl führten zu einer No-Future-Attitüde in den späten 1980er-Jahren, die sich auch in der Musik jener Zeit widerspiegelte. Später führte der Rechtsruck nach der Wiedervereinigung und die rassistischen Anschläge der 1990er-Jahre zur expliziten Politisierung von Bands wie den Goldenen Zitronen.  

Es ging um viel mehr als nur um Musik, das betonen alle Gesprächspartner:innen, die Natascha Geier in ihrer Doku versammelt hat. Neben Musiker:innen wie Schorsch Kamerun und Ted Gaier von Die Goldenen Zitronen, Dirk von Lowtzow und Jan Müller von Tocotronic, Frank Spilker von Die Sterne, Bernadette La Hengst von "Die Braut Haut ins Auge", Christiane Rösinger von den Lassie Singers und anderen spricht sie auch mit Label-Mitarbeiter:innen, Musikjournalist:innen, Autor:innen und dem Starkünstler Daniel Richter. Der Film zeigt an vielen Beispielen, welchen Einfluss die Bewegung auch auf Kunst, Theater und Popliteratur hatte. 

Fast nur Männer im Rampenlicht

Dass bei all dem fast nur Männer im Rampenlicht standen, gehört zu den Widersprüchlichkeiten der Hamburger Schule. Im zweiten Teil ihrer Doku stellt Natascha Geier die Frage, warum in dieser dezidiert linken Szene so wenig Frauen in der ersten Reihe vorkamen und stößt auf viel Einsicht und Selbstkritik bei ihren Gesprächspartnern. Es sei eine "Kack Männerszene" gewesen, räumt Knarf Rellöm von der Band Huah! ein. Viele Frauen in der Szene waren wichtige Musikjournalistinnen und Labelmacherinnen, wie unter anderem Dirk von Lowtzow von Tocotronic betont. Seine Band zum Beispiel sei von Myriam Brüger vom Label L'Age D'Or entdeckt worden.  

Die Rolle der Frauen in der Szene  

Bernadette La Hengst singt in ein Mikrofon. © NDR Foto: NDR
Bernadette La Hengst erzählt im Film, wie sie sich in der Hamburger Musikszene in den 90er-Jahren gegen das Machogehabe ihrer Kollegen durchsetzte.

Dass einige wenige Frauenbands wie "Die Braut Haut ins Auge" oder die eigentlich aus Berlin stammenden Lassie Singers sich trotzdem durchsetzen, war der Ausdauer und der Durchsetzungskraft der Musikerinnen geschuldet. Bernadette La Hengst von die Braut etwa erzählt, wie auf jedem zweiten Konzert ihrer Band "Ausziehen! Ausziehen!"-Rufe aus dem Publikum schallten, wieviel schlechter die Frauenbands von den Labels bezahlt wurden, und wieviel Machogehabe ihnen bisweilen auch in der eigenen Szene entgegenschlug. Es war also auch nicht alles besser als heute, damals in den 1990er-Jahren in der Hamburger Schule. Und doch wünscht man sich nach dem Schauen dieser Filme, man wäre dabei gewesen und hätte die Anfänge dieser einzigartigen Musikszene miterlebt.   

Teil 1: "Über den Kiez in die Charts" und Teil 2: "Anspruch und Widerspruch" der Dokumentation von NDR Kultur und ARD Kultursind in der ARD-Mediathek zu finden

Zum Weiterlesen und -hören: Jonas Engelmann erzählt im Buch "Der Text ist meine Party" (Ventil Verlag, ab 7. Juni) die Geschichte der Hamburger Schule. Die gleichnamige Compilation von Tapete Records versammelt Songs von unter anderem Kolossale Jugend, Die Braut haut ins Auge, Blumfeld und Tocotronic.

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Eine zweiteilige Dokumentation über die Geschichte der einflussreichen Hamburger Musikszene liefert faszinierende Einblicke.  extern

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