Als Indie-Rock noch Schule machte
Eigentlich dachten Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge nicht daran, ein Label zu gründen. Sie waren Musiker, kamen aus der Punkrockszene, spielten in eigenen Bands. Als die beiden Musikbegeisterten 1986 ihre Veranstaltungsreihe starteten, lag die Indie-Szene in Hamburg brach. Deutsche Bands spielten vereinzelt in Clubs, oft vor nur 30 Leuten. Englische Bands lockten das Drei- bis Vierfache an Fans an. "Das wollten wir ändern", erinnert sich Carol von Rautenkranz. "Wir haben uns gedacht, wir nehmen vier verschiedene Bands, da kommen schon vier mal dreißig. Und wenn wir das gut promoten, dann bringen die jeweils noch einen mit. Das macht es interessant, dann kommen mindestens 240." Der Plan ging auf: "Hamburg 86" - so der Name der Konzertreihe - sprach sich herum. Immer mehr Leute kamen in die Altonaer "Werkstatt 3".
L'Age D'Or: Ein Zuhause für Hamburger Bands
Zwei Jahre später hatten die beiden jede Menge Konzerte veranstaltet. Was fehlte, war ein passendes Label. "Letztlich ist dann meine Band, die eigentlich als letzte gegründet wurde, die erste Single-Veröffentlichung gewesen", erinnert sich Pascal Fuhlbrügge, damals Gitarrist der Band Kolossale Jugend. Das war am 22. Oktober 1988, dem offiziellen Gründungsdatum von L'Age D'Or. Einen externen Vertrieb gab es für die Single "Kein Schulterklopfen" noch nicht. "Wir sind mit der Tasche durch die Plattenläden gelaufen", so Fuhlbrügge. Bald veröffentlichten Bands wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Der Schwarze Kanal oder Huah! bei L'Age D'Or ihre Platten. Die Ideen entstanden eher spontan. Es sei gar nicht so sehr als Label geplant gewesen. "Diese Band finden wir toll, die findet kein Label, also müssen wir es machen", erklärt Fuhlbrügge. Produktion, Marketing, Vertrieb - was ging, machten die beiden frisch gebackenen Labelchefs selbst. Das sparte Kosten. Dennoch: Steigende Ausgaben trieben L'Age D'Or 1991 fast in die Pleite. Ein Vertrag mit dem Major-Label Polydor sicherte für drei Jahre das Überleben, es ging weiter.
Hamburger Schule - das "Etikett"
Ebenfalls 1991 kamen Die Sterne zu L'Age D'Or. Deren Sänger und Texter Frank Spilker stammte aus Ostwestfalen und hatte zuvor beim Indie-Label namens Fast Weltweit aus Bad Salzuflen Songs veröffentlicht. Dieses hatte im Vorfeld der späteren Hamburger-Schule-Musik einige Singles und Kassettensampler produziert, ganz bewusst mit deutschen Texten. Bernd Begemann, Mitbegründer von Fast Weltweit, war schon 1984 von Ostwestfalen nach Hamburg gekommen, um dort seine Band Die Antwort zu gründen. Über die Jahre war eine rege Verbindung entstanden, immer wieder kamen Künstler und Bands aus dem Westen der Republik in die Hansestadt.
Noch eine weitere Hamburger Band machte im selben Jahr von sich reden: Blumfeld, die Formation um den Songpoeten Jochen Distelmeyer, veröffentlichte auf Alfred Hilsbergs Indie-Label Zick Zack die Single "Ghettowelt". Ein Jahr später erschien die Platte "Reformhölle" der Band Cpt. Kirk &, nahezu zeitgleich zum ersten Blumfeld-Album "Ich-Maschine". Als Reaktion auf beide Werke entstand bald darauf der Begriff "Hamburger Schule" - eine Wortschöpfung von Journalisten. Die meisten Bands lehnten den Begriff ab, bevorzugten stattdessen "Diskursrock". Noch im Punkrock war das Aufbegehren in Text und Musik mit viel Agression verbunden. In der Hamburger Schule war die Wut zwar nicht verklungen, doch Gesellschaftskritik funktionierte nun in den Texten differenzierter, über Anspielungen, Zitate und oft sehr philosophisch.
- Teil 1: L'Age D'Or: Ein Zuhause für Hamburger Bands
- Teil 2: Funktionierende Szene, große Außenwirkung