Die Sängerin Shirin David steht auf der Bühne die Arme ausgebreitet und ein Mikrophon in der linken Hand und die Augen geschlossen. © picture alliance/dpa | Joerg Carstensen
Die Sängerin Shirin David steht auf der Bühne die Arme ausgebreitet und ein Mikrophon in der linken Hand und die Augen geschlossen. © picture alliance/dpa | Joerg Carstensen
Die Sängerin Shirin David steht auf der Bühne die Arme ausgebreitet und ein Mikrophon in der linken Hand und die Augen geschlossen. © picture alliance/dpa | Joerg Carstensen
AUDIO: Der Marketing-Erfolg von Shirin David (7 Min)

Shirin David: Ikone oder Kunstprodukt?

Stand: 12.04.2025 00:01 Uhr

Sprachrohr einer jungen Generation oder nur ein sich selbst inszenierendes Kunstprodukt? Die Hamburger Rapperin Shirin David, die am Freitag ihren 30. Geburtstag gefeiert hat, polarisiert - was steckt hinter ihrem Erfolg?

Ihre Alben stürmen die Charts, Millionen folgen ihr im Netz: Die Rapperin und Influencerin Shirin David zählt zu den aktuell erfolgreichsten deutschen Popstars. Gleichzeitig ist sie mit dem von ihr vermittelten Rollenbild aber immer wieder Thema feministischer Diskussionen. Die freie Autorin und Kolumnistin Laura Ewert, die unter anderem für "Die Zeit", "Spiegel" oder "der freitag" über Gesellschaft und Kultur schreibt, spricht im Interview über das Phänomen.

Shirin David ist 30 geworden. Was sagt denn dieses Alter über eine Künstlerin aus, die sich lange vor allem als Sprachrohr einer doch sehr jungen Generation positioniert hat?

Laura Ewert: 30 ist ja überhaupt noch nicht alt, sondern nicht mal mitten im Leben, würde ich sagen. Bei Shirin David finde ich aber, dass sie sehr alterslos ist, was so typisch ist für die Art von Popstar oder die Art von Medienstar, der sie ist und den sie repräsentiert, oder? Hat sie einen Körper, der alt wird? Ich glaube nicht. Hat sie ein Gesicht, was ein Alter ausdrückt? Ich glaube nicht.

Weitere Informationen
Eine blonde Frau in pinkem Kleid sitzt strahlend in einer roten Sitzreihe © picture alliance Foto:  Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Shirin David wird 30 - und sammelt Shitstorms wie Nummer-1-Hits

Die erfolgreichste Rapperin Deutschlands war am Donnerstagabend in Hannover. Ein Blick auf die Hamburgerin und auf die Debatten rund um sie. mehr

Wie sehr ist denn der Shirin Davids Erfolg Ergebnis einer perfekten Selbstinszenierung? Wie viel Substanz würden Sie sagen, steckt dahinter? Oder spielt das überhaupt hier eine Rolle, die Frage nach Substanz?

Ewert: Ich würde sagen, es ist ein perfektes Kunstprodukt, in dem sehr, sehr viel Arbeit steckt. Und ich finde, das kann man durchaus honorieren. Über ihre Biografie ist ja nicht viel bekannt. Es sollte jetzt eine Dokumentation über sie geben, die ist verschoben worden. Ärger mit dem Filmteam, davon war die Rede. Deswegen wissen wir nicht so viel über sie. Was wir über sie wissen ist, dass sie in Hamburg aufgewachsen ist, erst in Litauen, dann in Hamburg und dort auch als Kind schon beim Ballett und an der Oper im Einsatz war. Also das klingt ein bisschen so, als sei da früh eine Karriere geplant oder gewünscht worden. Und das führt sie so weiter. Das ist natürlich auch total typisch für unsere Zeit. Shirin David ist keine Musikerin in dem Sinne, sondern sie ist eben eine multimediale Geschäftsfrau.

Aber es ist schön, dass Sie das ansprechen, denn sie hat früh Klavier, Oboe und Geige gelernt. Und ihre Lieblingsoper soll die Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauss sein.

Ewert: So sagte sie das bei "Wetten, dass ..?" und hat bewiesen, dass sie sogar den Unterschied zwischen Operette und Oper kennt. Das ist doch schon mal toll. Nein, ich würde auch nicht sagen, dass sie nicht singen oder nicht tanzen kann, aber das ist natürlich ein neues Phänomen, dass Stars nicht mehr nur Musik machen. Sie hat ja als Influencerin, als YouTube-Star angefangen und dann kam die Musik dazu und es blieb nicht nur bei der Musik, denn es ging ins Fernsehen für sie. Sie wurde Geschäftsfrau, also sie hat einen eigenen Tee herausgebracht, ihre Parfums herausgebracht. Jetzt an ihrem Geburtstag hat sie schon mal sicherheitshalber, wohl wissend, dass viel Aufmerksamkeit auf ihr liegt, ihre neue Kosmetiklinie beworben. Das ist natürlich ein neues, ja, ein neuer Personenkult, ein neuer Starkult, wie wir den schon bei Kim Kardashian kennen. Das hat sie sich nicht selber ausgedacht.

Shirin David spricht sehr offen auch über Schönheitsoperationen. Ist das ein Akt von Ehrlichkeit oder eher Teil eines problematischen Schönheitsnarrativs?

Ewert: Ja, darüber gibt es geteilte Meinungen. Also auch das ist nichts, was sie sich ausgedacht hat, sondern das ist sozusagen Teil dieser Kunstperson. Sie hat da Vorbilder, Azalea zum Beispiel oder Cardi B, natürlich auch Kim Kardashian. Das sind ja alles Körpergesichter, die heute sehr, sehr ähnlich aussehen. Und die Teil sind einer Inszenierung. Ich finde das okay, beziehungsweise ich würde das nicht verurteilen. Es ist natürlich immer ein bisschen schwierig, wie weit man sich dann noch als Feministin verkaufen kann, weil das tut sie ja auch. Aber auch das ist Teil einer neuen Generation von jungen Frauen, die in Feminismus heute vor allen Dingen sehen, wenn man seinen Körper verändern darf, wie man möchte, wenn man sein eigenes Geld verdient. Da geht es nicht mehr um das Patriarchat oder so alte Wörter, sondern da geht es einfach darum, ich kann selber für mich sorgen.

Und ich habe Spaß dabei.

Ewert: Ich habe Spaß dabei, genau. Und dazu gehört eben auch der Brazilian Butt Lift und die Nasen-OP und der Face-Filler und die Lippenausspritzung und die Brustvergrößerung und die Brustverkleinerung. Und ich finde es sehr lustig, dass eine der meistgesuchten Begriffe im Internet im Zusammenhang mit Shirin David ist, Shirin David ungeschminkt.

Weitere Informationen
CD Cover: Shirin David:  "Schlau aber blond" © Vertigo Berlin, 2024

"Schlau Aber Blond": Shirin David über Körperideale der Gegenwart

Das dritte Album der Hamburger Rapperin liefert mehr Pop als Rap - und triviale, einprägsame Texte. Im April gastiert sie in Hannover und Hamburg. mehr

Wenn wir jetzt sagen, sie prägt auch das Schönheitsideal vieler junger Menschen, besonders Mädchen und jungen Frauen. Sie betont in ihren Songs oft Selbstermächtigung und weibliche Stärke. Ist das echtes Empowerment oder Kalkül?

Ewert: Naja, Worte wie Selbstermächtigung und Empowerment sind heute Begriffe eines Geschäftsmodells. Die sind an sich schon relativ entleert. Nichtsdestotrotz möchte ich Shirin David nicht absprechen, dass sie nicht selbstbestimmt lebt. Das glaube ich sehr wohl. Und ich würde auch sagen, dass sie nicht aus einem bildungsfernen Haushalt kommt. Ich glaube auch, dass sie reflektieren kann, was sie da tut und wie ihre Stellung in dem Musikbusiness ist. Aber wir haben es hier nicht mit einer feministischen Ikone zu tun.

Wenn man jetzt sagt, dass sie in ihren Texten und Videos klassische Klischees bedient, die sie gleichzeitig zu durchbrechen vorgibt, dann ist, glaube ich, auch interessant, darauf zu schauen, wie sie überhaupt mit Kritik selbst umgeht. Kritik etwa an Körperinszenierungen, Produktlinien oder auch kontroversen Textzeilen. Wie sieht es denn da aus?

Ewert: Sie sieht sich selbst nicht als Vorbild. Das betont sie ja immer und hat sie ja, glaube ich, auch in einem Text verarbeitet, dass sie, nur weil sie berühmt sei, noch kein Vorbild sei. Das verstehe ich, dass man sich davon freimachen will. Ich glaube allerdings auch, vermute zumindest, dass das ein oder andere Skandälchen auch genauso geplant ist. Also wenn man sich in einem Echt-Pelz zeigt, dann weiß man, das wird Aufregung geben. Wenn man sagt, man soll jetzt der Skinny sein, dann wird das auch Aufregung geben. Oder wie sie bei Thomas Gottschalk saß und auch ganz genau wusste, wie sie jetzt einen kleinen Streit von Zaun bricht, wie sie sich inszenieren muss. Das ist kalkuliert und das ist aber auch nicht schlimm, sondern so wird man berühmt heutzutage. Das gehört dazu.

Wird sie denn in der deutschen Musiklandschaft gerecht behandelt nach Ihrem Empfinden oder gibt es da doppelte Standards, gerade bei weiblichen Artists?

Ewert: gibt es natürlich immer. Aber man muss dazu sagen, sie ist eine der erfolgreichsten Musikerinnen. Sie ist die erfolgreichste Hip-Hop, sage ich jetzt mal in Anführungszeichen, Musikerin. Sie hat irgendwie sieben Nummer-eins-Singles gehabt. Auch wenn die Tournee jetzt gerade, auf der sie ist, wohl nicht ganz ausverkauft ist, ist sie wahnsinnig erfolgreich. Sie hat ja auch dafür gesorgt, dass ihr Remix von Helene Fischers "Atemlos durch die Nacht" rauskommt. Helene Fischer den ersten Nummer-eins-Hit einbrachte. Das kann man überhaupt nicht vom Tisch weisen. Sie ist sehr, sehr erfolgreich. Und insofern glaube ich, dass die Kritik auch so ein bisschen oder das gerechte Behandeln so ein bisschen an ihr vorübergeht. Sie ist wahrscheinlich eine der reichsten Musikerinnen des Landes. Und vielleicht ist es ja auch ein bisschen egal, ob sie in der Zeit oder im Spiegel als die neue Poetin dieses Landes behandelt wird. Man muss ja auch dazu sagen, sie schreibt die Texte, glaube ich, nicht selbst, beziehungsweise nur teilweise selbst. Aber auch das ist ja nicht so schlimm. Das haben ja auch schon sehr viele Musiker und Musikerinnen vor ihr so gehandhabt, dass man Songschreiber und Produzenten einsetzt.

Das Gespräch führte Philipp Cavert

Weitere Informationen
Collage aus verschiedenen Albumcovern. © V2, Capitol, Republic

Alben 2025: Neues von Ringo Starr, Lady Gaga und The Weeknd

Musikalisch ist im neuen Jahr einiges los: Viele neue Alben werden erwartet - und auf den Bühnen im Norden sind tolle Acts zu erleben. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 11.04.2025 | 17:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rock und Pop

Collage aus verschiedenen Albumcovern. © V2, Capitol, Republic

Alben 2025: Neues von Ringo Starr, Lady Gaga und The Weeknd

Musikalisch ist im neuen Jahr einiges los: Viele neue Alben werden erwartet - und auf den Bühnen im Norden sind tolle Acts zu erleben. mehr

Nahaufnahme von Notenblättern mit lila und roter Beleuchtung. Darauf liegt der Schriftzug "CHOR MUSIK" in großen weißen und rosa Buchstaben. © NDR | istock/getty images

Chormusik als Podcast abonnieren - Klangwelten der Vokalmusik entdecken

Tallis Scholars bis Maybebop - Chormusik aus sechs Jahrhunderten von der Renaissance bis zur Gegenwart. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Porträt von Philipp Schmid © NDR Foto: Sinje Hasheider

Philipps Playlist

Philipp Schmid kennt für jede Lebenslage die richtige Musik. Egal ob Pop, Klassik oder Jazz. Träumt Euch zusammen mit ihm aus dem Alltag! mehr

Peter Urban © NDR Foto: Andreas Rehmann

Urban Pop - Musiktalk mit Peter Urban

Spannende Stories, legendäre Konzerte, bewegende Begegnungen: Peter Urban hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. mehr

Mehr Kultur

Ein niedergeschlagen aussehender Mann sitzt an einem Tisch, während im Hintergrund Menschen ausgelassen tanzen. © Thomas Ulrich

Zwischen Zerrissenheit und Mut: "Der Steppenwolf" als Oper in Rostock

Einer der bekanntesten Romane von Hermann Hesse hat am Sonnabend als Oper Premiere am Rostocker Volkstheater gefeiert. mehr