Ein lächelnder Mann mit Sonnenbrille und weißem Hemd hält ein Akkordeon mit beiden Händen vor sich. Der Hintergrund ist bunt gestreift. Es ist der Akkordeonist Martynas Levickis. © Sebastian Madej

Martynas Levickis: "Akkordeon war nie eine Option. Dann schenkte mir mein Onkel eins"

Stand: 31.05.2023 13:09 Uhr

Der Ausnahme-Akkordeonist Martynas Levickis wird am 17. Juni in Neubrandenburg den Festspielsommer Mecklenburg-Vorpommern eröffnen. Axel Seitz hat sich vorab mit dem litauischen Musiker unterhalten.

Axel Seitz: 2014 - Seebrücke Sellin, Ihr erster Auftritt bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Woran erinnern Sie sich?

Martynas Levickis: Das ist wirklich lange her. Ich erinnere mich noch gut an die Zugfahrt. Ich war von London nach Hamburg geflogen und musste dann mit mehreren Zügen nach Sellin fahren. Da dachte ich: Ist das das Ende der Welt? Aber dann kam ich in diesen wunderschönen Ort mit den vielen schönen Villen und war sehr fasziniert. Dann sah ich an der Klippe runter zur Ostsee die Seebrücke. Ich habe diese Location sehr geliebt, das war super romantisch. Ich habe in dem Haus auf der Brücke gespielt, umgeben von Meerwasser.

Seitz: Es folgte der Publikumspreis und ein regelmäßiges Wiederkommen zu Konzerten in Mecklenburg-Vorpommern, bis die Pandemie kam. Heute sind Sie, Martynas Levickis, nicht nur älter, auch erfahrener?

Levickis: Ich fühle mich etwas älter und habe auch mehr Erfahrung. Während der Pandemie habe ich die freie Zeit wirklich genossen. Ich habe stundenlang in meinem Studio geübt. Das hat es mir ermöglicht, mich der Musik zu widmen, die ich immer schon lernen wollte. Es war schon tragisch damals, alles zu stoppen. Aber wenn ich auf dieses Jahr schaue, dann fühle ich mich tatsächlich viel stärker als im Jahr 2020 und bin sehr froh, dass es diese Lücke gab. So konnte ich mich lang genug vorbereiten für dieses große Programm bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern.

Sie spielen Akkordeon seit sie drei Jahre alt sind. Was hat den kleinen Jungen an diesem Instrument so fasziniert?

Levickis: Gute Frage. Meine erste musikalische Faszination galt eigentlich dem Klavier. Akkordeon habe ich nie als Option in Betracht gezogen. Aber wir hatten zu Hause kein Klavier und mein Onkel schenkte mir ein Akkordeon - das war's. Als ich es zum ersten Mal in die Hände bekam, faszinierten mich vor allem die mechanischen Aspekte. Ich erinnere mich, dass ich später ältere Folk-Akkordeons zerlegte, um zu verstehen, wie alles im Inneren funktioniert. Aber es gelang mir nie, sie wieder zusammenzusetzen. Es ist also ein ziemlich kompliziertes Instrument. Das hat mich als Junge am meisten fasziniert.

Wer an Akkordeon denkt, hat nicht selten Musik aus den Alpenländern und vom Balkan im Ohr - Sie haben sich für die klassische Musik erwärmen können. Wieso?

Levickis: Ich denke, dass das Akkordeon im Allgemeinen eine sehr mysteriöse Geschichte hat. Es ist überall auf der Welt als Folk-Instrument populär. Es ist nicht so bekannt, dass das Akkordeon 1829 erfunden wurde - und zwar tatsächlich in Wien, wo alle großen klassischen Komponisten lebten und arbeiteten. Leider war es damals zu primitiv, um bei diesen Komponisten Interesse zu wecken. Dann wurde es ​​beliebt für die Volksmusik, und war auch ein praktisches Instrument. Später wurde es weiterentwickelt.

Es gab Musiker, die wollten klassische Musik spielen. Beim Akkordeon bekommt man in der Regel nur einzelne Noten, mit denen man vor allem viel Klaviermusik spielen kann, zum Beispiel Bach und Scarlatti. Wir nennen sie Arrangements, bei denen es eigentlich nichts zu arrangieren gibt. Natürlich klingt es nicht nur anders - es ist ein Akkordeonklang. Es ist auch die Art und Weise, wie der Klang erzeugt wird. Deshalb denke ich, dass es sehr wichtig ist, die Bedeutung der klassischen Seite des Instruments zu verstehen. Ich freue mich sehr darüber, dass dieses Instrument bei klassischen zeitgenössischen Komponisten viel Interesse weckt. Die schreiben neue Musik, das ist wichtig.

Neue Arrangements - müssen, dürfen Sie sich darum kümmern und wie bekommen Sie die Noten?

Levickis: Es ist wichtig, dass das Arrangement so klingt, als ob es für das Akkordeon geschrieben worden wäre. Deshalb möchte ich als Akkordeonist niemals den Klang beispielsweise eines Klaviers nachahmen. Ich erinnere mich, dass ich vor langer Zeit sehr vom ersten Satz aus Beethovens Waldstein-Sonate fasziniert war, und dachte: einiges könnte auf dem Akkordeon wirklich funktionieren, aber nicht alles. Dann wird einem klar: Ich kann hart üben und es auf dem Instrument spielen. Aber ist es das wert? Denn dann wird das Endergebnis lediglich eine Wiederholung sein. Sie müssen also immer daran denken, beim Klang des Akkordeons zu bleiben, auch wenn Sie die Arrangements übernehmen.

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Levickis: Das ist schwer zu beantworten. Bach - ich liebe ihn sehr, habe aber auch Angst vor ihm. Natürlich nicht vor ihm persönlich, sondern vor seiner Musik. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, als ich als Kind Musik von Bach übte und mein Lehrer sagte, man müsse Bach mit einem sehr ernsten Gesicht spielen. Ich denke eigentlich, dass das falsch ist. Natürlich mache ich ernsthafte Musik. Aber ich finde, sie ist auch ziemlich transparent und manchmal fröhlich und erhebend. Ich habe viel an meiner Beziehung zu Bach gearbeitet.

Es ist eine andere Sache, seine Musik aufs Akkordeon zu übertragen, das ist schon eine ziemliche Herausforderung. Aber ja, ich spiele auch gerne Klavierkonzerte von Mozart. Bartók macht auch Spaß. Nicht sicher bin ich mir, ob ich schon mal etwas von Mussorgsky gespielt habe. Aber vielleicht machen wir bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern ein spezielles Arrangement mit diesem Komponisten.

Vor wenigen Wochen ist ihr neues Solo-Album "Autograph" erschienen - auch mit Arrangements von litauischen Volksliedern. Was macht diese Lieder so besonders?

Levickis: Die Lieder sind sehr persönlich, sie kommen wirklich aus meiner Seele und aus meiner Geschichte. Als ich drei Jahre alt war und anfing, Akkordeon zu spielen, hatte ich keinen Lehrer. Ich konnte also nur das spielen, was ich in der Umgebung hörte, und einige dieser Klänge waren litauische Lieder oder Volkslieder. Das machte mir wirklich Spaß. Aber später, als ich mit dem Studium anfing, da habe ich die Folkmusik etwas vergessen. Als ich an die Londoner Royal Academy of Music kam, traf ich viele Leute, die meine Freunde wurden und mehr über mein Land, meine Kultur und die Musik erfahren wollten. Offensichtlich war ich gezwungen, zur Folk-Tradition zurückzukehren und begann einige Arrangements zu machen. Ich bin sehr froh, dass das passiert ist.

Nun warten die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern auf Sie, mit fast 30 Konzerten zwischen Juni und September. Ist das eine Herausforderung oder mehr große Spielfreude, so viel auf einmal musizieren zu können?

Levickis: Beides. Es ist eine Herausforderung, denn es ist viel Repertoire, was in fast 30 Konzerten präsentiert wird. Aber jedes dieser 30 Konzerte wird eine Freude sein. Denn es gibt nichts Schöneres, als ein Konzert zu spielen. Ich bin dankbar und glücklich. Nach der Preisträgerschaft in Residence in Mecklenburg-Vorpommern werde ich eine etwas andere Person sein, werde als Musiker gewachsen sein.

Wenige Tage vor Beginn der Festspiele werden Sie 33 Jahre alt. Beschenken sie sich selbst?

Levickis: Wahrscheinlich ist es ein Geschenk in Mecklenburg-Vorpommern zu sein, so ein tolles Team um mich herum zu haben. Einige Freunde aus Litauen kommen ebenfalls. Ich denke also, dass wir den ganzen Sommer über eine schöne Zeit haben werden. Ein Jahr lang habe ich nicht allzu viel über den Geburtstag nachgedacht, denn das Hauptaugenmerk liegt im Moment wirklich auf dem Programm für das Festival. Aber, man könnte schon sagen, dass dies das Hauptgeschenk ist.

Zum Auftakt am 17. Juni in Neubrandenburg wird es auch eine Festspiel-Ouvertüre von Ihnen geben. Worauf dürfen sich die Konzertbesucher freuen?

Levickis: Ich bin fast fertig mit der Festival-Ouvertüre, den Großteil habe ich bereits vergangenen Oktober komponiert. Es soll hauptsächlich ein freudiges Stück, eine erhebende Ouvertüre für das Festival werden. Dann habe ich gesehen, dass wir Gershwins Rhapsody in Blue mit dem Orchester spielen, und dachte mir, es wäre vielleicht toll, kleine Momente von Gershwins Melodien mit einzubauen. Mal sehen, ob das Publikum den Einfluss von Gershwin in der Festspiel-Ouvertüre erkennt.

Das Interview führte Axel Seitz, Redakteur bei NDR 1 Radio MV.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 01.06.2023 | 07:00 Uhr

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