Kritik an Dirigent Dudamel: "Diese jungen Musiker leiden"
Seit langem kritisiert die Pianistin Gabriela Montero die Auftritte ihres Landsmanns Gustavo Dudamel mit dem Simón Bolívar Symphony Orchestra. Im Interview bei NDR Kultur macht sie ihrem Unmut Luft.
Die venezolanische Pianistin Gabriela Montero feiert seit Jahrzehnten Erfolge in den Konzertsälen weltweit. Sie ist aber nicht nur als Klassik-Musikerin eine Berühmtheit, sie ist auch aktiv als Botschafterin für Amnesty International. In diesem Jahr erhielt sie den Václav-Havel-Preis für kreativen Dissens der Human Rights Foundation (HRF).
Während in Venezuela Menschen gegen die offiziellen Wahlresultate protestieren, und der verkündete Sieg von Präsident Nicolás Maduro von vielen Staaten nicht anerkannt wird, war der Dirigent der Los Angeles Philharmoniker, Gustavo Dudamel, in den USA auf Tour mit dem venezolanischen Jugendorchester. "Diese Kinder werden für Propagandazwecke missbraucht", findet Gabriela Montero.
Frau Montero, weshalb sehen Sie in dem berühmten Jugendorchester aus Venezuela nur ein Propaganda-Instrument?
Gabriela Montero: Ich rede nun seit zehn Jahren über diese Angelegenheit und empfehle immer: Fühlen Sie sich rein in die venezolanische Perspektive. Was, wenn Ihr Land als gescheitert gelten würde? Wenn ein Viertel der Bevölkerung geflüchtet wäre? Wenn der bekannteste Dirigent und die Musiker, die alle lieben, durch die Welt touren - bezahlt von dem Regime, das Ihr Land zerstört hat? Das ist ein riesiges Dilemma!
Die Menschen in Venezuela lieben Musik, ich als Künstlerin sowieso. Musik ist enorm wichtig für die Entwicklung von Kindern und überhaupt für die Gesellschaft. Doch dann ist da dieses Regime, das 183 Jugendliche gefangen hält, weil sie für ihr Stimmrecht auf die Straße gegangen sind. Zugleich sind 170 andere junge Menschen auf USA-Tour mit Dirigent Dudamel, um das Land zu repräsentieren. Sie sehen also den Widerspruch! Dasselbe Regime, das diese Orchester-Tour bezahlt, unterdrückt die Bevölkerung im eigenen Land wie nie zuvor.
Die Welt hat russische Musiker verurteilt, die sich nicht von Putin distanziert haben, lässt sie nicht mehr auftreten. Ich finde, so sollte es auch mit allen Musikern sein, die einen Tyrannen und seine Diktatur unterstützen. Es wäre doch unvorstellbar, dass beispielsweise Gergiev mit dem russischen Jugendorchester in der Elbphilharmonie auftreten würde, wegen der aktuellen politischen Situation. In Venezuela ist es genau das Gleiche! Nicolás Maduro und Putin sind auch noch Verbündete, Freunde. Sie billigen, was der andere tut.
Beim Konzert in der New Yorker Carnegie Hall vor ein paar Tagen gab es ein Protestschreiben von Menschenrechtsaktivisten, in dem es hieß: "Dudamel wirkt als heimlicher Auslandsagent des Maduro-Regimes und als inoffizieller Botschafter von Venezuelas Tyrannei." Das sind harte Worte - stimmen Sie dem zu?
Montero: Als Venezolanerin und Künstlerin kann ich niemals rechtfertigen, dass diese Kinder für Propagandazwecke missbraucht werden. Es ist interessant: In der Musikwelt will man diese tollen jungen Musiker spielen sehen - sie sind unglaublich talentiert, ohne Frage. Die Musikwelt hat sich in das Bild dieses Orchesters - dirigiert von Gustavo - verliebt. Aber niemand schaut dahinter, niemand will wissen, wer das bezahlt. Diese jungen Musiker gehen zurück nach Venezuela und leiden unter den gleichen Repressalien, den gleichen Menschenrechtsverletzungen wie alle. Es geht hier nicht nur um die Musiker - ich erinnere hier an alle Menschen in unserem Land.
Warum wird Gustavo Dudamel in der Musikwelt so geliebt? Ist es, weil er jung ist, freundlich und viel charmanter als zum Beispiel ein Valery Gergiev?
Montero: Natürlich, Gustavo ist sehr charmant und mit Talent gesegnet. Sein Dirigat, seine Berühmtheit - ich stelle das alles nicht in Frage. Aber genau das ist auch der Grund, warum die Menschen kein Interesse haben, die Hintergründe zu erfahren. Lieber verharren sie in dieser exotischen, angenehmen Welt, die da erschaffen wird. Ich habe so viel verloren - und nicht nur ich. Auch meine Familie und Freunde, meine Fans, haben tragische Verluste erlitten. Darum beunruhigt es mich, was hinter dieser Fassade zum Vorschein kommt.
Was sagen Sie Menschen, die sich für klassische Musik und für diese jungen Musiker interessieren, die aber auch sagen, Politik interessiere sie nicht. Ist es legitim, Musik und Politik getrennt voneinander zu betrachten?
Montero: Nein, in dieser Situation geht das nicht. Ein ganzes Volk leidet, achteinhalb Millionen Venezolaner sind geflohen. Es ist natürlich bequem zu sagen: Ich will einfach nur Musik hören. Aber hier geht es um mehr als Musik: Es geht um Menschen. Wer sensibilisiert ist wegen des Ukraine-Kriegs, den bitte ich, auch sensibilisiert zu sein wegen Venezuela. Wir sind gerade an einem Punkt - zum ersten Mal nach 25 Jahren -, wo bei uns Demokratie möglich scheint.
Was ist Ihre Hoffnung, was muss jetzt passieren?
Montero: Wenn ich nochmal Russland und Venezuela vergleiche: Diese Doppelmoral darf nicht sein. Was für russische Musiker gilt, die im Westen verfemt sind wegen ihrer Nähe zum Regime, muss auch für Venezuela gelten. In westlichen Konzerthallen darf es keinen Platz geben für eine Propaganda-Maschinerie. Meine Hoffnung ist natürlich, dass wir eines Tages nicht mehr darüber zu sprechen brauchen. Aber im Moment ist es so, dass die Situation wirklich brenzlig ist und dass wir alles stoppen müssen, was das Maduro-Regime am Leben hält - und damit meine ich auch diese Form der Propaganda.
Das Interview führte Philipp Schmid.