Klassik im Knast: Abwechslung im Gefängnisalltag

Stand: 19.11.2022 08:52 Uhr

Die Vorweihnachtszeit stimmt viele hoffnungsfroh. Doch was ist mit den Menschen, die hinter verschlossenen Türen leben - wie in der JVA Wolfenbüttel? Der Verein Life Music Now Hannover kommt regelmäßig zu einem klassischen Konzert ins Gefängnis.

von Lydia Callies

Ein Bett, ein Bad mit Toilette und Waschbecken, ein kleiner Schrank und ein Fernseher. Schon seit drei Jahren lebt Maic auf acht Quadratmetern. Er sitzt wegen wiederholter Trunkenheit am Steuer und Fahren ohne Fahrerlaubnis, erzählt er. Die Zeit hier im Gefängnis habe ihn geprägt: "Es hat mich reifer gemacht und erwachsener. Nochmal hierher möchte ich definitiv nicht!"

Abwechslung im JVA-Alltag

Seine vorzeitige Entlassung steht kurz bevor - in zwei Monaten. Für den 36-Jährigen ist so ein klassisches Konzert eine echte Abwechslung: "Einfach mal rauskommen, mal andere Leute sehen - einfach mal Gedanken abschalten und nicht dran denken, wo man gerade ist. Das ist sehr selten und wenn, mache ich auch mit."

Der Haftalltag ist streng reglementiert für die 270 Inhaftierten. Es gibt feste Zeiten für Essen, Arbeiten und Freizeit. Beim Konzert prallen zwei Welten aufeinander, denn für viele Gefangene ist es die erste Erfahrung mit klassischer Musik. Auch für die drei Musikerinnen des Vereins Life Music Now ist es der erste Auftritt in einem Gefängnis, so wie für die Mezzosopranistin Barbara Walach: "Für uns ist es eine besondere Erfahrung. Was wir fantastisch finden, ist immer, dass anderes Publikum anders reagiert. Wir sind sehr gespannt, wie es wird."

Verein Life Music Now kommt in Altenheime, Hospize und Gefängnisse

Die Idee von Life Music Now: Studentinnen und Studenten der Musikhochschule Hannover bringen Musik zu Menschen, die nicht in Konzerte gehen können, weil sie in Altenheimen, Hospizen oder auch in Gefängnissen leben. Das Konzert mit Musik von Offenbach, Strauß und Tschaikowsky lenkt die 54 Häftlinge im Publikum zumindest einen Moment lang vom Gefängnisalltag ab, weiß die Justizvollzugsbeamtin Katja Lehmköster. Sie kümmert sich um das Freizeitangebot der Männer: "Die Jungs sollen möglichst besser rausgehen als sie reingekommen sind. Das schaffen wir nicht, indem wir 23 Stunden die Türen zuschließen und nichts machen, sondern das schaffen wir nur, wenn wir Angebote bieten, die anders sind. Dass sie mal merken: Es gibt andere Dinge im Leben."

Musik als Freudebringer

Auch Stefan sitzt im Publikum. Er hört wie viele seiner Mithäftlinge konzentriert der Musik zu. Er ist schon drei Jahre wegen Betruges in der JVA. Der Auftritt berührt ihn: "Musik gibt einem etwas. Das ist tatsächlich so - ein Gefühl der Freude im Gegensatz zu dem, was wir sonst so hören. Sonst hört man immer die Schlüssel und den Alltag. Das ist was anderes!" Auch Maic ist nicht unbeeindruckt: "Diese hohen Stimmen - das ist, was ein bisschen Gänsehaut macht. Das war spannend, mal live mitzuhören. Ich kenne so eine Musik gar nicht, aber meine Richtung wird es nicht werden. Ich bleibe bei ACDC."

Für Sängerin Walach ist es ein unvergesslicher Moment: "Das sind Konzerte - das kann man nirgendwo erleben. Die Leute haben das nicht oft und das kann man fühlen. Das ist, warum wir das machen möchten." Deshalb will der Verein auch nächstes Jahr wieder ein klassisches Konzert im Gefängnis geben, um Musik mit den Häftlingen zu teilen - auch wenn die allermeisten von ihnen keine Klassik-Fans sind.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 19.11.2022 | 06:40 Uhr

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