Judenhass in Bachs Johannespassion: Hamelner Kirchenkreis klärt auf
Vor 300 Jahren wurde die zweite Fassung von Johann Sebastian Bachs Johannespassion in Leipzig uraufgeführt. Ein Werk mit viel antijüdischem Inhalt. Der Kirchenkreis Hameln-Pyrmont macht dies an diesem Wochenende zum Thema.
Orchesterprobe mit dem Ensemble Antico in der Marktkirche von Hameln: Gemeinsam mit Solisten und der Hamelner Kantorei studiert Stefan Vanselow die Johannespassion ein. Der biblische Text des Evangelisten Johannes über die Gefangennahme Jesu bis zu seiner Kreuzigung ist im Libretto von Bach erweitert worden. Der antijüdische Kern liege jedoch im Bibeltext, sagt der Kantor des Kirchenkreises Hameln-Pyrmont.
"Die Judenchöre, das sind ja die biblischen Texte. Und das ist eben auch in gewisser Weise eine Besonderheit des Johannes-Evangeliums, dass es dann immer heißt 'die Juden schrien: 'Wenn du ihn freilässt, dann wirst du kein Freund des Kaisers sein' oder 'Bringe ihn um!', führt Vanselow aus. Und die Reaktion der Gemeinde, das seien eher die Choräle, ergänzt der Kantor, "eventuell hat die Gemeinde diese Choräle sogar mitgesungen. Das sind bekannte Melodien, die der Gemeinde in Bachs Zeit auch bekannt gewesen sein werden."
Johannespassion mit verhängnisvoller Wirkungsgeschichte

Mehr als 70 Mal sei im Johannesevangelium von "den Juden" die Rede, sagt der Superintendent des Kirchenkreises, Stephan Vasel. Etwa in der Hälfte der Fälle sei das problematisch. Denn es werde der Eindruck vermittelt, es handele sich um eine geschlossene Gruppe, die nach nichts anderem als den Tod Jesu strebe. Dabei gehe unter, dass Jesus selbst ein Jude war, auch seine Jünger und vermutlich auch der Verfasser des Evangeliums.
"Das heißt, man nimmt im Lesefluss dieses Evangeliums nicht wahr, dass es in der damaligen Zeit eine innerjüdische Auseinandersetzung war, die sich in den Bibeltexten widerspiegelt", erläutert Vasel. Stattdessen habe man das Gefühl, es gebe "die Juden" und die täten Jesus etwas an: "Das hat eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte, weil eine Spur eben aus dem Johannesevangelium hinausweist in christlichen Antijudaismus. Das ist nicht die einzige Spur, die nach Auschwitz und zum Holocaust führt, aber es ist auch keine Nebenspur."
Vortrag und Podiumsdiskussion sollen aufklären
Doch wie umgehen mit dem historisch falschen Bild in dem wichtigen Werk Bachs, wenn es eine Form von Antijudaismus transportiert? Unter den Stichworten Aufklärung und Diskurs wurden in Hameln die Hintergründe der Judenfeindlichkeit zunächst in einem Vortrag und später in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion mit Vertretern der evangelischen und der jüdischen Gemeinde Hamelns beleuchtet. Dort wurde der Wunsch nach einer neuen Passionsmusik laut.
"Wir haben in den christlich-jüdischen Dialogen der vergangenen Jahrzehnte ein völlig neues Miteinander von Christen und Juden gelernt und eine hohe Sensibilität entwickelt, anders miteinander umzugehen und auch den christlichen Glauben zu erzählen, ohne diese judenfeindlichen Elemente, die zum Teil über Jahrhunderte ganz tief in unserer Kultur wurzeln", sagt Vasel und ergänzt: "Und deswegen brauchen wir eigentlich neue Passionsmusiken, die auf dem Stand unserer heutigen Beziehungen sind."
Johannespassion nicht unkommentiert aufführen
Bis es so weit ist, sollte die Johannespassion nicht unkommentiert aufgeführt werden, meint der Superintendent. Es müssten ja nicht gleich jedes Mal ein Vortrag und eine Podiumsdiskussion sein. Für die beiden Aufführungen an diesem Wochenende etwa hat der Superintendent des Kirchenkreises Hameln-Pyrmont drei Zwischenrufe geschrieben.
Mit ihnen wird er die Johannespassion unterbrechen und will den christlichen Judenhass vor 300 Jahren durchbrechen - und hoffentlich den Judenhass von einst kritisch einordnen.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Klassik
