Benjamin Brittens "War Requiem": Ergreifend, damals wie heute
Zum Abschluss des Internationalen Musikfestes Hamburg ist Benjamin Brittens "War Requiem" mit dem SWR Symphonieorchester unter Leitung von Teodor Currentzis in der Elbphilharmonie zu hören gewesen. Ein historischer Rückblick.
Millionen Menschen verfolgten die Radioübertragung der BBC am 30. Mai 1962 bei der Uraufführung von Benjamin Brittens Stück aus der wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry - aber auch viele vor Ort. Nachdem die letzten Töne verklungen waren, herrschte minutenlang absolute Stille. Es muss ein magischer Moment gewesen sein.
"Da war diese unglaubliche Stille am Ende der Aufführung, man hätte ein Stecknadel fallen hören können. Niemand rührte sich, niemand wusste was zu tun ist, bis der Bischof aufstand und alle es ihm gleichtaten", so erinnert sich die Schlagzeugerin des City of Birmingham Symphony Orchestra Maggie Cotton in einem BBC Interview an das Konzert. "Und es war immer noch still, viele Menschen hatten Tränen in den Augen, alle waren so mitgenommen, ein außergewöhnlicher Moment, der mich mein Leben lang begleitet."
"War Requiem": Gewaltiges Monument der Versöhnung
Drei Dirigenten leiteten die Aufführung, der Knabenchor, der unsichtbar von der Empore sang, wirkte entrückt und ätherisch. Der Komponist Benjamin Britten selbst dirigierte das Melos Ensemble. Millionen Menschen verfolgten die Radioübertragung der BBC. Die Menschen in der Kathedrale konnten die Zerstörung durch die Deutschen Bombenangriffen noch sehen: Die Trümmer der alten St. Michaels Cathedral wurden vom Architekten Basil Spence in das neue Bauwerk integriert.
Auch Brittens Werk selbst sollte ein gewaltiges Monument der Versöhnung werden. Die Soloparts wollte Britten symbolisch besetzen: Sein Partner Peter Pears sang den Tenor-Part als Engländer, der deutsche Sänger Dietrich Fischer-Dieskau den Bariton, die Russin Galina Wischnewskaja sollte als Sopranistin auftreten, erhielt aber keine Ausreisegenehmigung, so dass Heather Harper die Partie in kürzester Zeit einstudieren musste.
Für Fischer-Dieskau das bewegendste Konzert seiner Karriere
Als junger Mann musste Stanley Sellars damals selbst auf eines der günstigen Tickets hinter dem Orchester sparen, die Aufführung schloss für ihn einen Kreis, er hatte die Bombennächte als Kind erlebt. "Beim Hereinkommen erhielt man diesen Programzettel mit den Gedichten von Wilfried Owen, von denen ich noch nie gehört hatte, als ich sie las waren meine Gefühle schon völlig aufgewühlt, bevor überhaupt eine Note erklungen war. Und dann diese Musik", erinnert er sich.
Benjamin Britten kombiniert den lateinischen Messtext mit den brachialen Schützengrabengedichten von Wilfried Owen, der als 25-Jähriger im ersten Weltkrieg fiel. Es sind auch seine Zeilen, die Benjamin Britten an den Anfang der Partitur stellt: "Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid. Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen." Damit, dass 1962 der Brite Peter Pears neben dem deutschen Dietrich Fischer-Dieskau diese Lyrik sang, schuf Britten ein ungeheuer wirkmächtiges Symbol der Versöhnung. Fischer-Dieskau beschreibt das Konzert später als das bewegendste seiner Karriere.
Currentzis subtile, künstlerische Botschaften
Jetzt setzt Teodor Currentzis das "War Requiem" ans Ende seiner Zeit mit dem SWR Sinfonieorchester. Eine schwierige Aufgabe, in diesen Tagen aus den zwei SWR Klangkörpern eine Einheit zu schaffen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine führte dazu, dass er selbst in die Kritik geriet: Er hätte sich öffentlich von Putin distanzieren müssen, er hätte seine Verbindungen nach Russland abrechen sollen fordern deutsche Journalisten.
Die Aufführung des "War Requiems" bei Wiener Festwochen wurde nach Kritik von der Ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv abgesagt. Auch hierzu schweigt Currentzis und bleibt bei seinen subtilen künstlerischen Botschaften: "Das ist ein Stück, das jeder kennen muss. Ein Stück, das die Wahrheit auf spirituelle Weise sagt. Es geht um verschiedene Arten von Frieden, die miteinander verbunden werden. Lasst uns in diesem Bild der Stille am Ende des Stücks auf unser eigenes Leben schauen. Du willst keine Kriege? Schließe Frieden in Deiner Familie. Du willst keine Unterdrückung, sei nett zu Deinen Mitmenschen. Du willst keine Feinde haben? Vergib den Menschen, die dir etwas angetan haben. Tu etwas! Das ist das Einzige, was Du in dieser Welt tun kannst.“