Zum Tod von Filmregisseur David Lynch: "Meister des Rätselhaften"
Der US-Regisseur David Lynch ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Was machte sein Werk so besonders? Welche Themen und Motive ziehen sich durch seine Filme, und warum spaltet er Publikum und Kritik? Ein Gespräch mit dem Filmkritiker Adrian Gmelch.
Es gibt wohl wenige Regisseure, die den Film und das Kino so sehr geprägt haben wie David Lynch. Mit Filmen wie "Eraserhead", "Blue Velvet", "Mulholland Drive" und der bahnbrechenden Serie "Twin Peaks" hat er ein einzigartiges, oft surreal wirkendes Œuvre geschaffen, das fasziniert und polarisiert.
Herr Gmelch, bedarf David Lynch überhaupt einer "Erklärung"?
Adrian Gmelch: Lynchs Filme folgen meist keiner klassischen Narration, sondern bewegen sich in traumartigen, oft rätselhaften Strukturen. Sie setzen auf Atmosphäre, Emotionen, Symbole statt auf logische Erklärungen. Verstehen muss man sie nicht unbedingt, weil sie eher intuitiv und subjektiv wirken. Lynch versteht man also nicht, sondern Lynch erfährt man - und so wollte er es auch immer. Er hat nie seine Filme und Werke erklärt, er wollte immer das Mysterium aufrechterhalten und den Zuschauer dazu bewegen, diese Filme zu erfahren und nicht zu verstehen.
Ein Mysterium, bei dem auch immer die Tonspur ganz wichtig ist, oder?
Gmelch: Ganz genau. Sounddesign ist ganz wichtig bei David Lynch. Er hat auch viel selbst gewirkt, war selbst Sounddesigner und Musiker. Er hat sehr viel von seinen eigenen Kreationen in seine Filme eingebracht. Albtraumhaftes Sounddesign ist auch ein Synonym für Lynch.
Er arbeitete oft mit surrealen Bildern, mit Traumsequenzen und düsteren Themen. Welche wiederkehrenden Motive oder Themen sind es, die sich in Lynchs Filmen finden?
Gmelch: Lynch verbindet sehr oft das Alltägliche mit dem Unheimlichen, das Schöne mit dem Verstörenden. Dadurch entsteht etwas, das man mit lynchesk umschreiben kann. Meistens verbindet man damit ein Werk, das surrealistisch ist, mit unheimlicher Atmosphäre, verstörenden Bilder, dem Kontrast zwischen Normalität und Absurdität, und das viel Raum für Deutung lässt. Ein anderes Motiv, was sich durch seine Filme, aber auch durch seine Kunst zieht, die er nebenbei gemacht hat - Malerei, Lithografie, Musik -, ist ein Kindheitsblick. Es ist eine Faszination für die Welt, die da ist, ob gut oder böse - niemals etwas vorverurteilen, auch im angeblich Hässlichen etwas Schönes finden, eben die Welt durch die Augen eines Kindes sehen, unvoreingenommen, immer neugierig.
Welcher Film oder Moment in Lynchs Werk hat Sie persönlich am meisten beeindruckt und warum?
Gmelch: Da fallen mir spontan zwei ein: einmal die Eröffnungsszene von "Blue Velvet", das idyllische Bild einer Kleinstadt, unter dem sich Abgründe auftun. Das fasst schon perfekt Lynchs gesamte Vision zusammen. Aber auch eine Szene aus "Lost Highway", die sogenannte Mystery Man-Szene: Da ist der Hauptcharakter auf einer Party und begegnet dort dem unheimlichen Mystery Man, der behauptet, gleichzeitig in seinem Haus zu sein und ihn von dort aus anzurufen, obwohl er physisch eigentlich auf der Party ist. Dadurch entsteht eine Atmosphäre puren psychologischen Horrors. Das ist alles sehr absurd.
Woran liegt es, dass seine Filme für manche als Meisterwerke und für andere als völlig unverständlich gelten?
Gmelch: Das mag auch daran liegen, dass er klassische Narrationen und Erzählweisen aufbricht und immer auch neue Wege sucht, Geschichten zu erzählen. Das führt einerseits dazu, dass Menschen sagen: Wow, das ist etwas Neues; hier wurde etwas versucht und jemand hat seine Vision umgesetzt! Dann gibt es aber auch andere Menschen, die dafür weniger offen sind und damit nichts anfangen können, wenn der Deutungsraum so breit ist und man vor dem Werk etwas verloren ist. Das ist bei mir nicht der Fall, aber ich kann das verstehen.
Wenn wir auf den Einfluss schauen, den David Lynch für die Entwicklung des modernen Kinos gehabt hat: Was wird von ihm bleiben?
Gmelch: Er hat aufgezeigt, dass Filme nicht immer einer linearen Erzählstruktur folgen müssen und dass das Unbewusste auch filmisch erfahrbar sein kann. Abseits des Kinos hat er viel für die Serienlandschaft getan: Er hat mit "Twin Peaks" die damaligen Serien in den 90er-Jahren aus einem engen Korsett befreit, was vorher Pflicht war: Gleichförmigkeit der Serie, Risikomangel, Mittelmaß. Die komplette Serienlandschaft, die wir heute kennen, die ganze Vielfalt, ist auch dank "Twin Peaks" möglich geworden.
Für jemanden, der noch gar nichts von David Lynch gesehen hat: Was wäre Ihr Tipp? Womit sollte man idealerweise einsteigen?
Gmelch: Ich würde mit "Blue Velvet" einsteigen, ein Film, der etwas zugänglicher ist, aber trotzdem die ganze Lynch-Essenz in sich hat. Danach kann man sich graduell immer etwas kompliziertere und komplexere Filme anschauen. Ich würde "Mulholland Drive" empfehlen, das Meisterwerk von 2001, das damals in Cannes den Regie-Preis gewonnen hat. Und danach eröffnet sich plötzlich das ganze Werk Lynchs.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.