Hans Albers im Film "Das Herz von St. Pauli": Ein Mann mit Kapitänsmütze deutet mit seinem Zeigefinger © picture alliance
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AUDIO: Debatte um FC St. Pauli-Hymne: Werden wir als Gesellschaft immer sensibler? (6 Min)

Hymne "Das Herz von St. Pauli": Wird die Gesellschaft immer sensibler?

Stand: 27.02.2025 19:00 Uhr

Der Fußballverein FC St. Pauli wird die Kult-Hymne "Herz von St. Pauli" bis auf Weiteres nicht mehr spielen. Gibt es eine verstärkte Sensibilität in der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Hendrik Kasper Schröder.

von Mischa Kreiskott

Recherchen des FC-St.-Pauli-Museums hatten ergeben, dass Josef Ollig, der Texter des Schlagers, den auch Hans Albers im gleichnamigem Film singt, eine Vergangenheit als NS-Propagandist hatte. Werden wir in unserer Gesellschaft sensibler für Fehler, Verbrechen, Rassismus in der Vergangenheit? Politikwissenschaftler Schröder sieht das emanzipatorische Potenzial dieser Sensibilität, aber auch Schattenseiten.

Herr Schröder, wir haben bei der Diskussion auf der einen Seite eine verstärkte Sensibilität der Gesellschaft, auf der anderen Seite eine dieser typischen Verbots-Debatten, die eigentlich niemandem nutzen. Was denken Sie über darüber?

Hendrik Kasper Schröder: Es ist im Prinzip so, dass ich die ganze Fragestellung der Medienlandschaft und Presse entnommen habe. Ich würde aus der Vogelperspektive aber sagen, dass es erst mal ein Zeichen von sozialem Fortschritt ist, sich diese Frage überhaupt zu stellen. In all diesen Fragen gibt es im Prinzip keine allgemeingültigen Antworten. Die Verfasser des Textes scheinen ihrem Leben zu Leid und Unrecht beigetragen zu haben, wenn ich das so richtig entnommen habe, und sind nicht frei von der Verantwortung, an einem Vernichtungskrieg teilzuhaben. Auf der anderen Seite wird auch argumentiert, dass das Lied inzwischen positiv umgedeutet worden sei und auch in einer anderen Interpretation abgespielt werden würde. Also ein Argument, dass wir durchaus auch aus anderen sozialen Bewegungen kennen, die sich Begriffe ihrer Unterdrücker zu eigen gemacht haben und diese positiv besetzen, wie zum Beispiel die Queer-Bewegung.

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Ich würde sagen, dass beide Seiten erstmal nachvollziehbare Argumente haben und es somit am Ende eine politische Frage bleibt. Es ist aber meistens so, dass diejenigen, die sich am intensivsten, fachlich am tiefsten und emotional am sensibelsten mit so einer Frage beschäftigten, meistens am ehesten zu dem Schluss kommen, dass so eine Entscheidung nicht eindeutig getroffen werden kann. Während wiederum diejenigen, die sich nur sehr oberflächlich mit etwas befassen, nicht selten dazu neigen, fundamentale Urteile zu fällen und sehr einfach damit umzugehen. Deswegen würde ich diesen ganzen Diskurs, und dass man diese Frage jetzt aufgenommen hat, erstmal als ein sozialen Fortschritt sehen.

Was bringt denn jetzt im Falle eines Fußballvereins so eine Diskussion? Was würden Sie da als Fortschritt genauer definieren?

Schröder: Wenn man sensibel mit einigen Fragen umgeht, liegt der Vorteil darin, dass man auf Ungerechtigkeiten, auf Ungleichheiten aufmerksam werden kann. Das kann im Prinzip in allen gesellschaftlichen Kontexten der Fall sein. Das kann im Sport der Fall sein, wie jetzt bei diesem Beispiel, aber auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen. Darin liegt erst mal das emanzipatorische Potenzial der Sensibilität. Aber es kann durchaus auch Schattenseiten hervorbringen. Sensibilität ist auch etwas, was zu Streit führen kann. Wenn mehr Positionen am Tisch sind, gibt es auch mehr Streit darüber, welche Position die richtige ist. So kann Sensibilität letztendlich auch spalterische Effekte haben in einer Gesellschaft. Aber der Vorteil wäre, überhaupt erst mal diese Frage aufzumachen, auch in einem Fußballverein.

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Nun haben wir eine Zeit hinter uns, in der sehr viel diskutiert wurde. Wir sind noch drin, aber wir sehen in der amerikanischen Politik und eventuell auch in der künftigen deutschen, dass sich Diskurse ändern und das für beendet erklärt wird. Glauben Sie, dass dieser Umstand zu noch mehr Polarisierung beiträgt? Oder kommt jetzt einfach wieder eine andere Zeit und man führt andere Diskurse?

Schröder: Das ist eine Frage, die auch nicht klar zu beantworten ist. Man darf sich Geschichte generell nicht als einen linearen Prozess vorstellen, der sich immer in eine Richtung entwickelt. Ich denke schon, dass die Demokratie einen Diskursraum eröffnet hat, der es für viele Gruppen und Einzelpersonen hervorgebracht hat, dass sie eine Möglichkeit haben, sich mit Ungerechtigkeiten und Fragen der Sensibilität zu beschäftigen. Aber wir sehen auch, dass diese Diskurse durchaus auch schnell ins Gegenteil umschlagen können, dass Sensibilität auch viel damit zu tun hat, wie gesellschaftliche Normen und historisch zeitliche Kontexte sind. Wenn sich diese verändern, dann verändern sich auch die Sensibilitätsfragen. Es gibt immer wieder auch Rückschritte, etwa Freiheiten, die wieder verlorengegangen sind. Sensibilität ist häufig dieser dünne Firnis, der stark mit dem historischen Kontext und gesellschaftlichen Normen verbunden ist. Und ob wir als Gesellschaften immer sensibler werden oder nicht, lässt sich nicht final beantworten. Demokratien scheinen aber Sensibilisierungsprozesse eher zu befördern, da sie diese Diskursräume dafür eröffnen.

Es gibt viele Beispiele: Ernst Jünger, Zarah Leander, Herbert von Karajan oder Kurt Atterberg. Da kann man nur sagen, man legt offen und diskutiert - denn streichen wollen wir das nicht alles automatisch, oder?

Schröder: Wenn man mit der Lupe nahe an Menschen heranzoomen würde, gerade aus der Vergangenheit, und sie in ihren jeweiligen zeitlichen Kontexten betrachtet, dann wird man immer einen Makel finden. Die Frage als Gesellschaft ist: Was ist noch zumutbar? Wo sind einzelne Gruppen oder Menschen von besonderem Leid betroffen und haben einen Anspruch, von der Gesellschaft in Schutz genommen zu werden? Und was können wir als Gesellschaft den Individuen oder einzelnen Menschen zumuten im Sinne von Widerständigkeit, Gelassenheit mit bestimmten Dingen umgehen zu können und sie auch voneinander trennen zu können. Oder wie wir vorhin im Fußball-Kontext drüber sprechen konnten, vielleicht auch umzudeuten, neuzubesetzen, neuzuinterpretieren und damit vielleicht auch eine ganz andere Aussagekraft zu geben.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 26.02.2025 | 16:30 Uhr

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