Auf den Spuren von geraubten Musikinstrumenten aus der NS-Zeit
In der Bildenden Kunst ist die Provenienzforschung längst etabliert. Die französische Organisation "Musique et spoliations" hat sich an die Fersen von Instrumenten mit schwarzen Flecken im Lebenslauf geheftet. Vor allem im Blick: Raubgut aus der Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich.
Angefangen habe alles mit dem Buch "The Lost Museum" von Héctor Feliciano, erzählt die Gründerin der Organisation, Pascale Bernheim. "Ich habe es 2016 gelesen. Das war eine Offenbarung für mich. Ich habe dadurch mitbekommen, wie die Nazis Kunstwerke in den von ihnen besetzten Ländern enteignet haben und wie sie während des Zweiten Weltkriegs öffentliche und private Sammlungen beraubt haben. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, wollte ich etwas dazu beitragen, geraubte Werke wiederzufinden."
"Musique et spoliations" möchte Forschungslücke schließen
Die Forschung zu diesem Thema hatte sich bis dahin vor allem auf Gemälde, Skulpturen und Bücher oder ganze Bibliotheken konzentriert, "aber es gab nichts zum Raub von Instrumenten und Notenmaterial", sagt Bernheim. "Als ich gesagt habe, dass ich gerne Menschen treffen würde, die über geraubte Instrumente forschen, hieß es: Da gibt es niemanden. Niemand interessiert sich dafür."
Das hat sich mittlerweile zwar geändert. Trotzdem klafft bis heute eine Lücke in der Forschung. Die möchte Bernheim beginnen zu schließen. Deshalb hat sie 2017 "Musique et Spoliations" gegründet, eine ehrenamtliche Organisation, die aktuell sechs Mitarbeiter hat. Auf sie wartet ein Berg an Aufgaben. Denn der vom NS-Staat eingerichtete "Sonderstab Musik" ist bei seinen Plünderungen mit deutscher Gründlichkeit vorgegangen und hat eine gewaltige Menge an Instrumenten zusammengestohlen. "Alleine in Paris und seinen Vororten wurden 40.000 Wohnungen vollständig geleert - und aus diesen Wohnungen wurden 8.000 Klaviere entwendet", sagt Bernheim. 8.000 Klaviere, alleine im Großraum Paris: Und die sind ja schwer zu transportieren.
Ein gigantisches, weltweit verstreutes Puzzle
Man kann ungefähr hochrechnen, dass die systematischen Raubzüge des "Sonderstabs Musik" ein riesiges Volumen umfasst haben. Der Musikwissenschaftler Michael Custodis von der Universität Münster geht von mindestens 100.000 Instrumenten aus, die von deutschen Musikschulen, von Orchestern oder der Hitlerjugend für ihren Bedarf bestellt werden konnten. Diese Instrumente heute mehr als 80 Jahre danach ausfindig zu machen und idealerweise ihren ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzern oder deren Erben zuzuführen, ist eine Sisyphusarbeit, wie Bernheim bekennt: "Jedes Teil dieser Geschichte ist Teil eines gigantischen Puzzles. Bevor wir damit anfangen, müssen wir die Puzzleteile überhaupt erstmal finden."
Dass die geraubten Instrumente in aller Welt verstreut sind, macht die Suche nicht einfacher. Aber allmählich gelingt es Bernheim und ihrem Team, sich international zu vernetzen - auch nach Deutschland, wo sich im Arbeitskreis Provenienzforschung eine AG Musik gegründet hat. Eine der Mitinitiatorinnen ist Elisabeth Furtwängler: "Das Hauptprojekt ist, dafür zu sensibilisieren, dass im Bereich der Musikinstrumente und Musikalien oder Musikobjekte im weitesten Sinne bislang nichts geschehen ist in den Sammlungen. Deshalb verfolgen wir eine Erhebung der Situation in den Sammlungen, um zu wissen, wo man gezielt mit Bestandsprüfungen beginnen könnte", sagt Furtwängler. Als Provenienzforscherin im Bereich Kunst und als Enkelin des legendären Dirigenten Wilhelm Furtwängler ist sie aus zwei Richtungen an dem Thema interessiert. Die Beschäftigung mit den Instrumenten zeige ihr, "dass Musik eine materielle Geschichte hat".