Erste Datenbank für Suche nach geraubtem jüdischen Eigentum
Das Team der Provenienzforschung des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM) in Bremerhaven hat die erste Datenbank an den Start gebracht, über die von den Nazis enteignetes Umzugsgut jüdischer Flüchtlinge gesucht werden kann.
Auf der Flucht vor dem NS-Regime wurden Juden nicht nur ihrer Heimat beraubt. Sie verloren oft auch ihre gesamte Habe. Diese wurde von den Nazis versteigert - unter anderem in Hamburg. Sie machten damit einen Millionengewinn. Noch immer kämpfen Geschädigte und Nachfahren um ihr Eigentum.
Dabei hilft nun die LostLift-Datenbank. Sie ist seit dem 1. September 2023 einsehbar, das Datum wurde bewusst gewählt: Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg.
Nazis verhindern Transport von Umzugsgütern
Das Team der Provenienzforschung nennt ein Beispiel für das Schicksal einer jüdischen Familie: Eva Evans ist 14 Jahre alt, als ihre Eltern in ihrer Berliner Wohnung die Gemälde von den Wänden nehmen, Kerzenleuchter verpacken und den gesamten Hausrat in Kisten verstauen. All das soll per Schiff nach Großbritannien verschickt werden. Für die jüdische Familie ist das Leben unter den Nationalsozialisten immer gefährlicher geworden. Die Familie der inzwischen 100-jährigen Eva Evans kann sich nach Großbritannien retten, das ihre neue Heimat werden soll. Aber ihre Umzugsgüter kommen nicht an. Von vielen sogenannten Liftvans - wie die Umzugskisten genannt werden - wird lediglich das Handgepäck geliefert. Alle anderen Kisten werden versteigert, wie Evans erst etliche Jahre später erfährt.
Wichtige Hinweise: "Ein Stück Lebensgeschichte aufarbeiten"
"Frau Evans ist die erste Zeitzeugin, die sich aufgrund unserer Forschungen meldete. Sonst tun das die Nachfahren", sagt Kathrin Kleibl. Als Provenienzforscherin spürt sie Herkunft und Verbleib enteigneter und versteigerter Umzugsgüter auf. Eva Evans erinnert sich lebhaft daran, wie der Zollbeamte damals in die Wohnung gekommen ist und penibel die Listen durchgeshen hat. "Ich habe ihr das im Archiv gefundene Versteigerungsprotokoll geschickt, worauf sie mir bei der Identifizierung von einigen Gegenständen helfen konnte. Das war sehr berührend, denn einerseits kann sie ein Stück Familiengeschichte aufarbeiten, andererseits bekommt die Provenienzforschung so wichtige Hinweise", sagt Kleibl.
In detektivischer Kleinarbeit Tausende Dokumente gesichtet
Seit 2018 untersuchen zwei vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderte Forschungsprojekte am DSM die Prozesse der Enteignung von jüdischen Personen in den Häfen Bremen und Hamburg. Kathrin Kleibl und Susanne Kiel sichten in detektivischer Kleinarbeit Tausende Dokumente aus den Staatsarchiven in Hamburg und Bremen. Hinweise zu versteigerten Möbeln, Musikinstrumenten, Gemälden und Co. pflegten sie in den vergangenen Jahren in die LostLift-Datenbank ein - die erste und einzige dieser Art bisher. 5.500 Einträge im Personenregister gibt es bereits. Weitere rund 3.200 eingetragene konkrete Fälle kommen dazu. Jeder Eintrag rekonstruiert, entsprechend der Überlieferungssituation, den Weg des Umzugsgutes einer Familie - vom Verlassen der Wohnung mit einem Spediteur bis zur Beschlagnahmung in einer Hafenstadt und schließlich der Versteigerung des Eigentums.
Aufruf: Bevölkerung möge weitere Hinweise geben
"Wir wollen mit der Datenbank auf diesen wenig aufgearbeiteten Aspekt der Beraubung der Juden im Nationalsozialismus aufmerksam machen und Menschen - vor allem in Bremen und Hamburg - animieren, uns weitere Hinweise zu geben. Gibt es womöglich Erbstücke, die nicht eindeutig aus der Familie stammen, sondern während des Kriegs gekauft wurden?“, fragt Kleibl. Die Herkunftsforscherinnen wissen um die perfide Infrastruktur unter den Nationalsozialisten: Fast alle Bürger, kleine Speditionen und Händler waren in die Versteigerungen involviert.
Aufarbeitung hätte "viel früher geschehen müssen"
Nach Ansicht von Forscherin Kiel kommt die Aufarbeitung rund 75 Jahre zu spät. "Was wir machen, hätte schon viel früher geschehen müssen. Aber in der Gründungsphase der Bundesrepublik schwieg man, um mögliche Reparationszahlungen abzuwenden und, um nicht weiter mit der Schuld konfrontiert zu werden“, sagt Kiel. "Wir machen sichtbar, dass auch die ins Ausland geflohenen Menschen Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen sind."