Knowhername in Osnabrück © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth

"Knowhername": Osnabrücker Künstlerinnen gestalten Lost Place

Stand: 14.09.2024 06:00 Uhr

Mehr als 25 Künstlerinnen haben einen Osnabrücker Lost Place neu gestaltet. Die Ausstellung "Knowhername", die vom 19. bis 22. September stattfindet, will auf die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in der Kunst aufmerksam machen - durch Tabubrüche und erotische Traumwelten.

von Katharina Preuth

Im Katharinenviertel in Osnabrück entsteht Kunst. Dort, wo früher das Café Herr von Butterkeks war, haben sich Künstlerinnen ausgebreitet und den Raum mit ihren Werken eingenommen - von außen und innen. Das Café ist vor Jahren umgezogen. Die hinteren Räume wirken jedoch, als wären sie schon seit Jahrzehnten unverändert. Es riecht etwas muffig und die dunkelgrünen und braunen Tapeten erinnern an 1970er-Jahre-Schick. Mitten in einem der teuersten Viertel der Stadt gibt es diesen Lost Place - unbewohnt und ungenutzt. Bis jetzt.

"Ich wollte einen Ort, mit dem man arbeiten kann"

Fast täglich fährt Katrin Lazuruk, die Kuratorin der Ausstellung, hier vorbei, erzählt sie. Die Idee einen Ort für die Kunst speziell von Flinta-Personen zu schaffen, hatte sie schon länger. Es fehlte ihr nur die richtige Fläche. Flinta steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Die Räume beim ehemaligen Herr von Butterkeks haben alles, was der Osnabrückerin vorschwebte: "Ich wollte einen Ort, mit dem man arbeiten kann, mit den Wänden, mit dem Objekt. Ich selbst finde als Künstlerin, dass es einem noch mehr Freiheiten gibt." Letztendlich sind sie nicht direkt in den Räumen des Cafés, sondern in der Wohnung dahinter, und sie nutzen die Fassade und den Außenbereich.

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Katrin Lazuruk steht in ihrem Atelier © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth

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Frauen in der Kunst unterrepräsentiert

Künstlerinnen stehen vor der gestalteten Außenfassade des "Lost Place" © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth
Die Außenfassade ist bereits mit Kunst verziert.

Warum nur Flinta an dem Projekt teilnehmen sollen, erklärt die Osnabrücker Künstlerin so: "Die Sichtbarkeit für Frauen und Flinta ist in der Kunst total schlecht. Es gibt einen Gender-Show-Gab: Weibliche Künstlerinnen werden viel weniger gezeigt als ihre männlichen Kollegen. Es machen 60 Prozent der Künstlerinnen einen Abschluss in der Kunst oder in einem künstlerischen Bereich, aber nur 30 Prozent werden gezeigt. Das gilt selbst im zeitgenössischen Bereich: Die Hamburger Kunsthalle hat 87 Prozent ihrer Werke von Männern."

Daher hat Katrin Lazaruk einen Open Call über Social Media gestartet. Heute sind fünf der Ausstellenden hier. Sie haben bereits einen Teil der Fassade gestaltet und Räume nach ihren Vorstellungen bearbeitet.

Lost Place als Inspirationsquelle

Beate Freier-Bongaertz steht vor ihrer Kunst © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth
Beate Freier-Bongaertz hat ihre Kunst in die Umgebung des Hauses eingefügt.

Beate Freier-Bongaertz hat sich einem Innenraum gewidmet, der vielleicht mal als Wohnzimmer diente. Als sie das erste Mal den Raum betrat, hatte sie direkt Bilder im Kopf, die sie inspirierten: "Ich habe mir vorgestellt, dass hier ein Ehepaar wohnt, und die Frau möchte eigentlich ausbrechen, traut sich aber nicht - und träumt sich stattdessen weg." So ziert jetzt eine träumende Frau die Tapete. Über der Frau hat Beate Freier-Bongaertz Vasen angebracht, in denen Pappblumen stecken. Die BesucherInnen der Ausstellung können die Blumen herausnehmen - um auf der Rückseite eine "leicht erotische Traumwelt" zu entdecken, erklärt die Künstlerin aus der Region Gütersloh in Nordrhein-Westfalen.

Merle Lembeck: Als Mutter wird man in der Kunst kaum gesehen

Merle Lembeck steht vor einer Wand mit ihrer Kunst © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth
Künstlerin Merle Lembeck hat die Stadien ihres Schwangerschaftsbauches auf die Wand gebracht.

Weniger von dem Ort als mehr von ihrer eigenen Geschichte ließ sich Osnabrückerin Merle Lembeck beeinflussen. Sie ist gerade zurück aus der Elternzeit. Während ihrer Schwangerschaft dokumentierte sie das Wachstum ihres Bauches fotografisch. Die einzelnen Stadien übertrug sie in Wellenbewegungen, die an Wehen erinnern, auf die von der Straße aus gut sichtbaren Hausfassade. Sie steht vor der Herausforderung, ihre Tätigkeit als selbständige Künstlerin und ihr Muttersein miteinander zu vereinbaren: "Man wird nicht gesehen, wenn man nichts produziert, und Produzieren ist während der Schwangerschaft und Elternzeit schwer."

Unter anderem hat Künstlerin Charlotte Dally ein Bild von Simone de Beauvoir an die Fassade gebracht. © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth
Unter anderem hat Künstlerin Charlotte Dally ein Bild von Simone de Beauvoir an die Fassade gebracht.

Direkt neben ihr fand Charlotte Dally einen Platz für ihren Ausstellungsbeitrag. Im Atelier bereitete sie Porträts von großen Frauen der Geschichte vor, um sie hier anzubringen, darunter: Forscherin Jane Goodall, Autorin und Philosophin Simone de Beauvoir und die italienische Barock-Malerin Artemisia Gentileschi. "Zu jeder Zeit gab es Frauen, die trotz aller Widrigkeiten gemacht haben, was sie wollten. Es ist nicht nur eine gesellschaftliche Frage, sondern auch eine energetische. Wie viel Willen bringt man auf?", sagt Charlotte Dally. Unter ihren farbenfrohen Frauen, die in der Augustenburger Straße besonders auffallen, steht der Leitsatz "There have always been women who acted courageously".

Designerinnen analysieren Atmosphäre des Ortes

Auf der rechten Seite des Gebäudes führt eine Einfahrt weg von der belebten Straße hin zu den grafischen Fliesen von Marlies Wieking und Theresa Kölln. Von der weißen Fassade des Hauses bröckelt hier der Putz ab, Pflanzen haben den Weg durch die Steine und die Wand hinaufgefunden. Dazwischen hängt ein Mosaik, dominierend sind die Farben Braun, Grün und Rosa. "Wir haben mit unserer künstlerischen Herangehensweise die Atmosphäre des Ortes analysiert", erklärt die Osnabrückerin Marlies Wieking. Dabei fängt das Braun die 1970er-Jahre Stimmung ein, das Grüne steht für die Natur, die sich an vielen Stellen den Ort zurückerobert hat. Im Rosa zeigt sich der Einfluss, den die Künstlerinnen mit ihrer Aktion kurzfristig auf den Lost Place nehmen. Zum ersten Mal arbeiten die beiden Designerinnen mit Fliesen.

Temporäre Kunst verschwindet nach Ausstellung

Merle Weigelt spielt mit den Tabus einer Badezimmer-Szene © Katharina Preuth Foto: Katharina Preuth
Merle Weigelt spielt mit den Tabus einer Badezimmer-Szene.

Direkt gegenüber des Mosaiks hat Merle Weigelt mitten in der Einfahrt an einer Wand ein blau-weißes Badezimmer gezeichnet. "Bei dem Thema Frau ist mir direkt eine Badezimmer-Szene eingefallen, hier kann man mit Tabus aufräumen und Intimität zwischen Frauen zeigen. Das Badezimmer ist ein sehr privater Raum und in meiner Darstellung geht es unter anderem um Nacktheit und die Periode", sagt die Osnabrücker Kunststudentin.

Zum Teil wochenlang sind die Künstlerinnen damit beschäftigt, den Ort zu gestalten. Nach der Ausstellung wird der Raum wieder sich selbst überlassen. Die Frauen verschwinden und mit ihnen irgendwann auch ihre Kunst. Je nachdem, wie das Haus weiter genutzt oder nicht genutzt wird, werden die Werke durch die Witterung verblassen, von Pflanzen überwuchert oder durch Renovierungsarbeiten zerstört.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Nordtour: Den Norden erleben | 11.03.2023 | 10:00 Uhr

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