Graphologe von Kiedrowski: "Ihre Handschrift ist ein offenes Buch"
Was sagt meine Schrift über meinen Charakter? Sehr viel. Der Graphologe Werner von Kiedrowski führt Persönlichkeitsanalysen durch und hilft der Justiz, Fälschungen aufzudecken. Wie er das macht, erklärt er im Gespräch.
Eine Handschrift kann viel über einen Menschen aussagen. Die Graphologie - die Lehre von der Handschrift als Ausdruck des Charakters - wird im Rahmen der Psychodiagnostik und in Justizfällen angewandt. Darüber hat NDR Kultur Moderator Philipp Schmid mit dem Graphologen Werner von Kiedrowski gesprochen. Im Vorfeld hatte Schmid dem Handschrift-Experten eine Seite mit handschriftlich geschriebenen Texten zur Analyse geschickt.
Herr von Kiedrowski, konnten Sie mit meiner Schrift etwas anfangen?
Werner von Kiedrowski: Ja. Aus ihrer Handschrift kann man sehr viel lesen, das ist ein offenes Buch bei Ihnen. Fangen wir mal mit den schönen Sachen an. Was mir sehr stark aufgefallen ist bei Ihnen: Sie sind sehr harmonisch, romantisch und haben eine sehr hohe soziale Empathie. Sie sind strukturiert. kennen ihren Ablauf, den verfolgen Sie auch. Sie sind gradlinig, wollen aber nicht mit Zwang etwas durchsetzen, sondern sind sehr liberal. Was mir auch aufgefallen ist, ist, dass sie ziemlich ehrlich sind. Das kommt nicht so oft vor. Das ist sehr stark ausgeprägt. Und ich habe den Eindruck, dass Sie sehr jung geblieben sind in ihrer Denkweise. Da vermute ich, dass Sie noch keine Kinder haben.
Ja, stimmt.
Sie sind selbstbewusst und stehen mit beiden Beinen im Leben. Das ist jetzt erstmal so, was mir am Deutlichsten aufgefallen ist.
Sie haben gesagt, das Positive zuerst. Kann man auch negative Dinge herauslesen?
von Kiedrowski: Ja, das gibt es natürlich auch, was auch normal ist. Wenn es zu viel wird, wenn ihnen jemand auf den Kopf steigt oder Sie nervt, dann können Sie auch die Grenzen aufzeigen. Sie lassen sich nicht alles gefallen.
Anhand welcher Dinge kann man das denn aus einer Handschrift herauslesen?
von Kiedrowski: Da gibt es natürlich mehrere Buchstaben. In der Harmonie haben wir zum Beispiel eher die Buchstaben, die unter die Grundlinie gehen, was bei Ihnen das "G" oder "Y" sind, wo Schlaufen vorhanden sind, die unter die Grundlinie gehen. Und es kommt darauf an, wie der Schriftverlauf ist. Es gibt aber auch Buchstaben wie das "T" oder andere die ausgeprägt sind, wie hoch die zu der Oberlinie führen. Es sind sehr viele Komponenten, die man in Betracht ziehen muss, um eine Aussage treffen zu können.
Könnte man seine Schrift so verstellen, dass man Sie in die positive Richtung täuschen könnte?
von Kiedrowski: Nein. Man kann vielleicht ein paar Sekunden anders schreiben, aber wenn man einen längeren Text schreibt, dann wird es schwierig.
Wenn es um eine Persönlichkeitsanalysen geht, versuchen Menschen besonders schön zu schreiben oder besonders schwungvoll. Würden Sie auch erkennen, dass das nicht die eigentliche Handschrift ist?
von Kiedrowski: Das würde ich auch erkennen. Es gibt Menschen, die einen besonderen Brief schreiben wollen, weil es Ihnen sehr wichtig ist. Dann versuchen Sie sich sehr viel Mühe zu geben und so leserlich und schön wie möglich zu schreiben. Das kann man erkennen, dass die Menschen nicht alltäglich so schreiben. Aber wenn jemand eine Persönlichkeitsanalyse haben will, bitte ich immer darum, normal zu schreiben wie sonst auch.
Welche Aufträge haben Sie sonst? Wer bucht einen Graphologen?
von Kiedrowski: In der Regel ist das die Justiz, die mich zu 95 Prozent bucht, aufgrund von Fälschungen oder als Profiler. Im privaten Bereich geht es darum, Testamente abzugleichen.
Man kennt es aus dem Fernsehen, dass etwas als Fälschung entlarvt wird und die Handschrift für den Laien gleich aussieht, aber Sie als Graphologe sofort erkennen, dass das ist nicht die gleiche Handschrift ist. Ist das tatsächlich so?
von Kiedrowski: Je nachdem. Es gibt Dinge, die kann man schnell erkennen. Es gibt auch Fälle, da muss man genauer analysieren. Meistens kann man es schon feststellen.
Hat sich denn Ihre Schrift verändert, seit Sie sich intensiv damit befassen?
von Kiedrowski: Meine Schrift hat sich im Laufe der Jahrzehnte auch verändert. Das ist ganz normal, weil man sich selbst auch verändert durch Erfahrungswissen und so weiter. Also verändert sich die Schrift auch, aber es gibt eine gewisse Struktur, die ist geblieben.
Man sagt, die Handschrift lässt nach, oder die verschwindet allmählich. Ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, handschriftliche Texte von Menschen zum Vergleichen zu finden?
von Kiedrowski: Ja, es ist schwierig, genügend Material zu finden, um einen Vergleich zu starten. Das kommt vor. Dann muss man lange suchen und mit dem Wenigen versuchen, eine Analyse anzustellen.
Welche Handschrift ist für sie die interessanteste, die sie je vor Augen hatten?
von Kiedrowski: Die interessantesten Schriften sind im Grunde genommen die vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Auch die Sütterlinchrift ist sehr interessant, weil damals die Schrift an sich eine Kunst war.
Das Interview führte Philipp Schmid.