Christo-Stil gegen globale Ungerechtigkeit: Künstler verhüllt Kaufhaus in Osnabrück
Ibrahim Mahama verhüllt in Osnabrück ein ehemaliges Kaufhaus unter anderem mit Jutesäcken. Es geht ihm dabei um globale Ungerechtigkeit und die Suche nach Frieden. Morgen wird sein Werk offiziell eröffnet.
Im Erdgeschoss des Kaufhauses, hinter schmutzigen Schaufensterscheiben, sitzen Freiwillige auf einer riesigen, blauen Stoffbahn. Sie nähen traditionelle Gewänder aus Ghana darauf fest, bunt und voller Streifen. Auch Monika Witte sticht mit ihrer Nadel in die Kleider. "Die haben etwas ganz Persönliches", findet Witte. Sie denke die ganze Zeit darüber nach, wer diese Kleider schon getragen hat. "Das sind ja Kleider, die über Generationen weitergetragen wurden und in denen ein ganzer Spirit einer Familie drinsteckt."
Gesammelt hat die Gewänder Ibrahim Mahama, Verhüllungskünstler aus Ghana. Er sitzt selbst auf dem Boden und näht - nicht nur Kleider, sondern auch gebrauchte Jutesäcke aus Ghana. "Sie wurden genutzt, um Kakao und viele andere Güter zu transportieren, und diese Güter haben Spuren an den Jutesäcken hinterlassen", erklärt der Künstler. "Die waren ursprünglich beige, aber je dunkler und abgenutzter sie werden, desto mehr Geschichte saugen sie auf." - Geschichten von harter Arbeit, Kolonialismus und sozialer Ungerechtigkeit in der Weltwirtschaft: "All das steckt in diesem Material." Dazu passt ein ehemaliges Kaufhaus als Symbol des Konsums natürlich gut.
Projekt umstritten
Helfer laden die etwa 15 Meter langen Stoffbahnen auf einen Rollwagen - und transportieren sie damit nach draußen vor den riesigen, grauen Kaufhaus-Betonklotz mitten in der Osnabrücker Innenstadt. Seit einiger Zeit steht er leer. Die Helfer ziehen die Jutesäcke und Gewänder mit einer Seilwinde am Gebäude empor - alles unter den gespannten Blicken einiger Passanten.
Deren Meinungen gehen auseinander: "Total interessant! Muss ja nicht alles nur neu und schön sein", meint eine Passantin. "Es sieht schon komisch aus, aber ich finde es nicht hässlich und ich finde es gut, dass man darauf anspielt", erzählt eine andere Person. Ein weiterer Passant kritisiert die Finanzierung: "Das Geld hätte man deutlich besser in Jugendhilfe oder irgendwas Karitatives investieren können als in so einen Kram." In der Tat kostet das Projekt insgesamt rund 300.000 Euro, bezahlt aus öffentlichen Geldern - für öffentliche Kunst. In der Lokalpresse kommt das Projekt teilweise nicht gut weg, auch deswegen, weil manche der Stoffe per Flugzeug hergebracht wurden.
Anknüpfungspunkte an Stadtgeschichte
Auftraggeberin für Ibrahim Mahama ist die Kunsthalle Osnabrück. Deren Direktorin Juliane Schickedanz ist nach wie vor überzeugt von der Entscheidung, zumal das Thema Kolonialismus eng mit Osnabrücks Vergangenheit verknüpft sei. "Die Textilgeschichte und die Leinengeschichte von Osnabrück beruht auch auf dieser kolonialen Vergangenheit", erklärt sie. "Da gibt es einfach Anknüpfungspunkte, die es ermöglichen, sowohl die Historie der Stadt zu beleuchten, als auch gemeinsam in die Zukunft zu blicken und zu gucken: Wie kann Freiheit und Frieden und Gleichberechtigung auch sein, wenn es doch eigentlich um Umverteilung geht."
Die Direktorin ist stolz, den renommierten Künstler angeworben zu haben. Der 36-Jährige hat bereits auf der documenta in Kassel und der Biennale in Venedig ausgestellt. In Osnabrück Kunst zu schaffen habe für ihn großes Potenzial, sagt Mahama, denn hier gebe es sonst wenig zeitgenössische Kunst in dieser Dimension. "Die Menschen müssen das Projekt nicht mögen, solange es sie zum Reden animiert! Es erlaubt ihnen, für einen Moment nachzudenken, selbst wenn dieses Denken dumm ist."