Ein Mann und eine Frau gehen in einer großen Halle auf eine Installation mit Säulen zu. ©  Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge
Ein Mann und eine Frau gehen in einer großen Halle auf eine Installation mit Säulen zu. ©  Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge
Ein Mann und eine Frau gehen in einer großen Halle auf eine Installation mit Säulen zu. ©  Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge
AUDIO: "Survival in the 21st Century": Irritierende Ausstellung ums Überleben (3 Min)

"Survival in the 21st Century": Irritierende Ausstellung ums Überleben

Stand: 22.05.2024 09:08 Uhr

Klima, Kriege, Katastrophe. Die Probleme, in denen wir stecken, sind gewaltig. Welchen Beitrag kann die Kunst dabei leisten? Sie kann eingefahrene Sichtweisen aufbrechen, um Raum für neue Ideen zu schaffen - das will die Ausstellung "Survival in the 21st Century" zeigen. Doch ein israelfeindliches Kunstwerk sorgt für viel Kritik an den Ausstellungsmachern.

Unter der hohen Decke schweben Riesenquallen aus zartem, farbig-transparentem, recyceltem Material, als wollten sie davor warnen, die Ozeane zu zerstören. Eine Fotoserie beschäftigt sich mit Migranten in Paris: Ihr Wohnkomplex wurde gerade abgerissen - für die Olympischen Spiele. Und den meterhohen Nachbau des vom IS zerstörten Tempels in Palmyra verbinden die Ausstellungsmacher mit der Frage, was eigentlich der Begriff "Zivilisation" meint, der von Politikern so gern und immer anders genutzt wird.

"Es geht einfach darum, den Raum des Museums zu nutzen, um Lernen zu ermöglichen, im demokratischen-emanzipatorischen Sinn", erklärt Kurator Georg Diez. "Die Kunstwerke sind der Rahmen, in dem die Probleme vielleicht am besten zu sehen sind." Jede Arbeit haben die Ausstellungsmacher verbunden mit einer Frage und einem kurzen Text, der eingefahrene Sichtweisen aufbrechen will, um Raum zu schaffen für neue Ideen. So geht es um Kolonialismus, um Ausbeutung und um die Frage, wie sich Wissen, Forschung und Maschinen zum Nutzen aller einsetzen lassen.

Weitere Informationen
Völlig verkleidet zeigt sich die Südhalle der denkmalgeschützten Deichtorhallen während der Bauarbeiten. Nach der erfolgreichen Sanierung der Nordhalle wird derzeit die Südhalle grundlegend saniert und modernisiert. © picture alliance/dpa | Ulrich Perrey Foto: Ulrich Perrey

Deichtorhallen in Hamburg: Sanierung dauert noch bis 2027

Seit drei Jahren wird das Haus der Photographie der Hamburger Deichtorhallen saniert. Eigentlich sollte es in diesem Jahr fertig werden. mehr

Fragen nach Verbindung von Forschung und Nutzen für alle

Die chinesische Künstlerin Cao Fei zeigt, wie das aussehen könnte: Sie verbindet Szenen aus einer vollautomatisierten Sortieranlage mit solchen aus einer leeren Werkhalle, in der Menschen - befreit von der Maschinenarbeit - tanzen. "Das sollte eine optimistische Ausstellung sein, im Gestus zumindest, im Erleben - nicht in den Themen", so der Kurator. "Aber ich glaube, die Künstler in der Ausstellung verbindet schon auch, dass sie eben massiv politisch denken, aber offen handeln und eine Öffnung zu den Möglichkeiten suchen, die sich bieten."

Wie Andrea Bowers. Die US-amerikanische Künstlerin zeigt in einem Film, wie junge Leute auf dem Weg zu einem nationalen Treffen queerer Menschen erstmals Gemeinschaft erleben und Widerstand lernen.

Fehlen von Künstlerkollektive aus Afrika oder Asien macht sprachlos

Eine Frau steht in einer Ausstellung vor einem Bild des ALICE-Detektors. ©  Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge
Das Bild des Fotografen Thomas Struth ist Teil der Schau "Survival in the 21st Century" und zeigt den Alice-Detektor in der Forschungseinrichtung CERN.

Ausstellungen wie diese, die aufklären und zum Eingreifen ermuntern wollen, sind wichtig. Irritierend allerdings ist, dass die Hamburger Kuratoren die Frage nach dem Überleben im 21. Jahrhundert als rein weiße Angelegenheit betrachten: Die überragende Mehrzahl der ausgewählten Künstler und Künstlerinnen ist weiß, lebt in Europa, den USA und Kanada. Künstler aus Afrika oder Südostasien fehlen völlig. Die Regionen also, in den Menschen angesichts der Klimakatastrophe schon lange ums Überleben kämpfen müssen. Kurator Nicolaus Schafhausen sagt dazu: "Wir sind bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler nicht geopolitisch vorgegangen. Es sind Leerstellen, die wir nicht lösen können in diesem Produkt als thematische Ausstellung. Ich glaube, da müsste man andere Kuratorinnen und Kuratoren einladen, die tatsächlich eine bessere Innenkenntnis haben, als wir überhaupt haben könnten." Eine merkwürdige Erklärung. Aktivistische KünstlerInnen und Künstlerkollektive aus Afrika oder Asien werden seit Jahren auch in Europa ausgestellt. Dass die Kuratoren dennoch meinen, auf deren Überlebensstrategien, auf ihr Wissen und ihre Kunst verzichten zu können, macht sprachlos.

Israelfeindliches Kunstwerk sorgt für Diskussionen

Für viel Kritik sorgt auch die Installation "Dexter and Sinister" des US-Künstler Kollektivs New Red Order, das die Unterdrückung indigener Völker in den USA thematisiert. Ein Baum und ein Biber unterhalten sich darüber, wie koloniale Machtstrukturen den Zugang zu natürlichen Ressourcen beeinflussen. Daneben hängt so etwas wie ein Warnschild in Rot mit weißer Schrift. Darauf ein Text, der den Mord an den Indigenen in den USA, die Shoah in Nazi-Deutschland und das Vorgehen Israels von heute in eine Reihe stellt. Israel wird einseitig die Schuld an der Situation gegeben - von Hamas, Terror und Judenhass kein Wort. Neben dem Werk hängt ein Schild der Deichtorhallen: "Die Leitung der Deichtorhallen sowie die Kuratoren der Ausstellung distanzieren sich ausdrücklich von den Inhalten und Aussagen der Künstler im Textteil ihrer präsentierten Arbeiten - auch wenn die Grundsätze der Kunstfreiheit gelten." Warum man es dann dennoch in der Ausstellung zeigt? Man habe mit dem Künstlerkollektiv lange Gespräche geführt und sich am Ende dazu entschlossen, diesen Text als Teil des Kunstwerks zu sehen. Es gelte die Kunstfreiheit. Es gebe eben nicht die eine richtige Meinung und man wolle mit dem Exponat notwendige Diskussionen anregen.

Weitere Informationen
Dirk Luckow © picture alliance / Oliver Beckhoff/dpa Foto: Oliver Beckhoff

Deichtorhallen-Chef zu Antisemitismus-Vorwurf: "Sehe keinen Skandal"

Die aktuelle Schau "Survival in the 21st Century" der Hamburger Deichtorhallen sorgt wegen eines dezidiert israelkritischen Kunstwerks für Diskussionen. mehr

Eine Person hält vor einem Gemälde ein Handy in der Hand © Kunsthalle Bremen Foto: Marcus Meyer Photography

Influencer und Kultureinrichtungen: Zaghafte Annäherung

Aus der Fashion- oder Kosmetikwelt sind Influencer nicht wegzudenken. Im Kulturbereich kommen sie eher sporadisch zum Einsatz. mehr

Arbeiten von Schülern des Gymnasium Rahlstedt © Franziska Storch Foto: Franziska Storch

"Dix und die Gegenwart": Ausstellung als Inspirationsquelle

Bis zum 1. April zeigen die Hamburger Deichtorhallen "Dix und die Gegenwart". Schüler aus Rahlstedt haben inspirierte Gegenentwürfe gestaltet. mehr

Außenansicht der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg. © Deichtorhallen Hamburg

Deichtorhallen Hamburg - Sammlung Falckenberg

Die Sammlung Falckenberg umfasst etwa 2.000 Arbeiten der zeitgenössischen Kunst. Wichtige Positionen sind in Werkgruppen vertreten. mehr

Blau verfremdetes Motiv: Leere alte Bilderrahmen übereinander angeordnet. © Comstock Images

Kunstausstellungen im Norden

Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Skulptur, Architektur und Videokunst in Norddeutschland. Welche Schau ist sehenswert? NDR.de gibt einen Überblick. mehr

"Survival in the 21st Century": Irritierende Ausstellung ums Überleben

Die Ausstellung "Survival in the 21st Century" will eingefahrene Sichtweisen künstlerisch aufbrechen, um Raum für neue Ideen zu schaffen.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Deichtorhallen
Deichtorstraße 1-2
20095 Hamburg
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 21.05.2024 | 10:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Installationskunst

Ausstellungen

Grafik und Design

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr