Deichtorhallen-Chef zu Antisemitismus-Vorwurf: "Sehe keinen Skandal"
Die aktuelle Schau "Survival in the 21st Century" der Hamburger Deichtorhallen sorgt wegen eines dezidiert israelkritischen Kunstwerks für Diskussionen. Der Intendant der Deichtorhallen Dirk Luckow distanziert sich im Interview von den Aussagen des Künstlerkollektivs New Red Order.
Aktuell zeigen die Hamburger Deichtorhallen Positionen von rund 40 internationalen Künstlerinnen und Künstlern zum Thema Überleben in einer komplexen Zeit voller Umbrüche: "Survival in the 21st Century" ist der Titel der Ausstellung. Ausgangspunkt der Debatte ist eine Installation des US-amerikanischen Künstlerkollektivs New Red Order. Es geht um die Unterdrückung indigener Völker in den USA: Ein Baum und ein Biber unterhalten sich darüber, wie koloniale Machtstrukturen den Zugang zu natürlichen Ressourcen beeinflussen. Daneben hängt eine Art Warnschild in Rot mit weißer Schrift - darauf ein politisches Pamphlet. Der Text stellt den Mord an den Indigenen in den USA, die Shoah in Nazi-Deutschland und das aktuelle Vorgehen Israels im Gaza-Streifen in eine Reihe. Israel wird einseitig die Schuld an der Situation gegeben. Unten steht "Free Palestine!". Von Hamas, Terror und Judenhass kein Wort.
Diese Tafel mit den politischen Slogans gehörte ursprünglich nicht zum Baum-und-Biber-Kunstwerk, sondern ist erst nachträglich hinzugefügt worden. Es sei künstlerische Praxis von New Red Order, ihre Werke stetig fortzuschreiben, erklären die Deichtorhallen auf ihrer Internetseite. Neben dem Ensemble wiederum hängt ein weiteres Schild - darauf ist zu lesen: "Die Leitung der Deichtorhallen sowie die Kuratoren der Ausstellung distanzieren sich ausdrücklich von den Inhalten und Aussagen des Künstlerkollektivs im Textteil ihrer präsentierten Arbeiten" - die sie zugleich jedoch unter den Schutz der Kunstfreiheit stellen, so heißt es dort.
Herr Luckow, haben Sie mit einer solchen Diskussion um Ihre Ausstellung gerechnet?
Dirk Luckow: Wir rechnen grundsätzlich mit Diskussionen um unsere Ausstellungen. Wir zeigen häufig Kunst im globalen Kontext, und damit erreichen uns auch Fragen aus diesem Bereich. Es sind zum Teil Missstände, es geht um Krisen. Es ist natürlich unsere Aufgabe, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Wir gehen davon aus, dass es auch ein Grundanliegen der Künstlerinnen und Künstler ist, genau in diese Richtung mit ihren Werken zu agieren und so zum Kulturaustausch anzuregen. Das machen wir in den Bereichen bildender Kunst und Fotografie und nehmen unser Publikum immer auf sehr spannende Entdeckungsreisen mit, füllen Bildungslücken. Globale Moderne ist ein Riesenthema. Es zeigt sich dann aber auch, dass ganz neue und anders aufgestellte kulturelle, gesellschaftliche und politische Hintergründe von den Künstlern mit in die Deichtorhallen gebracht werden und somit dann in den Diskursraum.
Das heißt, Sie fürchten keinen Skandal in Ihrem Haus, ähnlich wie es ihn beispielsweise bei der documenta gegeben hat?
Luckow: Das fürchten wir nicht. Wir haben uns zu dem Werk, was durch ein Text-Statement ergänzt worden ist, klar positioniert. Wir haben uns davon auch distanziert und das in der Ausstellung kenntlich gemacht. Ich glaube, dass man auch versteht, dass die eine eigene Sicht drauf haben, dass sie aber auch ins Gespräch über dieses Werk gehen wollen. Wir haben die Arbeit von New Red Order als eine spannende Stimme zu dem Grundthema "Überleben im 21. Jahrhundert" gesehen. Dieses Statement, was ergänzt worden ist, ist immanenter Bestandteil der Installation und ist auch aus der biografischen Perspektive dieses Künstlertrios extrem wichtig. Es ist nämlich eine sehr tiefgehende Reflektion des Völkermordes an der indigenen Bevölkerung, der 'native people' im heutigen Nordamerika. Deswegen ist dieser sechs Meter hohe Baum und der etwas kleinere Bieber, die da als Automatografen miteinander sprechen, sehr wichtig, weil die als erstes mit der Ankunft der weißen Siedler verschwanden. Dieses Werk hat auch sehr humorvolle Seiten. Insofern ist es für unser Überlebensthema ein zentrales Werk gewesen. Und dann kam diese Texttafel dazu, und das hat zu riesen Diskussionen bei uns geführt.
Worüber genau haben Sie da intern diskutiert? Auf Ihrer Internetseite steht, dass Sie sich vorher eingehend damit beschäftigt haben.
Luckow: Auf diesem Papier geht es vor allen Dingen um den Grunddiskurs des weißen Suprematismus - um das mal aus Künstlerperspektive anzusprechen -, dass der ganze Kolonialismus als Quelle die weiße Kolonialgeschichte im Hintergrund hat. Und diese Kolonialgeschichte sehen sie eins zu eins in einer Linie mit dem Holocaust - und das ist natürlich aus der deutschen Erinnerungskulturperspektive untragbar. Aus deutscher Perspektive ist das ein nicht vergleichbares, einzigartiges Verbrechen, und davon rücken wir auch keinen Millimeter ab. Nichtdestotrotz gibt es internationale Diskussionen, wo Völkermorde an der indigenen Bevölkerung in Nordamerika als Phänomene eines Grundübels immer wieder auftauchen.
Die Ausstellung trägt den Titel "Survival in the 21st Century". Welche Überlebenschancen hat die Kunstfreiheit aktuell?
Luckow: Das ist eine Riesendiskussion seit der documenta. Ich sehe aber, dass vor allen Dingen in Deutschland, in unserem freiheitlichen, demokratischen Raum und Staat all diese Gefahr überhaupt nicht vorhanden ist. Es ist extrem wichtig, dass sie nicht irgendeiner Zensur, Selbstbeschränkung oder am Ende noch Dialogunfähigkeit geopfert würde. Dieser Möglichkeitsraum zum Gespräch, den wir auch explizit mit diesem Werk hier eröffnen wollen, muss weiter bestehen und offen bleiben. Da sehe ich mit unseren Grundrechten alle Chancen, dass das so bleibt. Dieser Raum muss aber auch geschützt sein und muss stark und wehrhaft bleiben können. Dazu hoffen wir, mit unserer Entscheidung, dieses Werk so in den diskursiven Raum bestellt zu haben, beizutragen.
Das Interview führte Keno Bergholz.