Dirk Luckow © picture alliance / Oliver Beckhoff/dpa Foto: Oliver Beckhoff
Dirk Luckow © picture alliance / Oliver Beckhoff/dpa Foto: Oliver Beckhoff
Dirk Luckow © picture alliance / Oliver Beckhoff/dpa Foto: Oliver Beckhoff
AUDIO: Gespräch mit Dirk Luckow zum Antisemitismus-Vorwurf in Deichtorhallle (7 Min)

Deichtorhallen-Chef zu Antisemitismus-Vorwurf: "Sehe keinen Skandal"

Stand: 22.05.2024 16:23 Uhr

Die aktuelle Schau "Survival in the 21st Century" der Hamburger Deichtorhallen sorgt wegen eines dezidiert israelkritischen Kunstwerks für Diskussionen. Der Intendant der Deichtorhallen Dirk Luckow distanziert sich im Interview von den Aussagen des Künstlerkollektivs New Red Order.

Aktuell zeigen die Hamburger Deichtorhallen Positionen von rund 40 internationalen Künstlerinnen und Künstlern zum Thema Überleben in einer komplexen Zeit voller Umbrüche: "Survival in the 21st Century" ist der Titel der Ausstellung. Ausgangspunkt der Debatte ist eine Installation des US-amerikanischen Künstlerkollektivs New Red Order. Es geht um die Unterdrückung indigener Völker in den USA: Ein Baum und ein Biber unterhalten sich darüber, wie koloniale Machtstrukturen den Zugang zu natürlichen Ressourcen beeinflussen. Daneben hängt eine Art Warnschild in Rot mit weißer Schrift - darauf ein politisches Pamphlet. Der Text stellt den Mord an den Indigenen in den USA, die Shoah in Nazi-Deutschland und das aktuelle Vorgehen Israels im Gaza-Streifen in eine Reihe. Israel wird einseitig die Schuld an der Situation gegeben. Unten steht "Free Palestine!". Von Hamas, Terror und Judenhass kein Wort.

Diese Tafel mit den politischen Slogans gehörte ursprünglich nicht zum Baum-und-Biber-Kunstwerk, sondern ist erst nachträglich hinzugefügt worden. Es sei künstlerische Praxis von New Red Order, ihre Werke stetig fortzuschreiben, erklären die Deichtorhallen auf ihrer Internetseite. Neben dem Ensemble wiederum hängt ein weiteres Schild - darauf ist zu lesen: "Die Leitung der Deichtorhallen sowie die Kuratoren der Ausstellung distanzieren sich ausdrücklich von den Inhalten und Aussagen des Künstlerkollektivs im Textteil ihrer präsentierten Arbeiten" - die sie zugleich jedoch unter den Schutz der Kunstfreiheit stellen, so heißt es dort.

Weitere Informationen
Eine Frau steht in einer Ausstellung vor einem Bild des ALICE-Detektors. ©  Deichtorhallen Hamburg Foto: Henning Rogge

"Survival in the 21st Century": Irritierende Ausstellung ums Überleben

Die Ausstellung "Survival in the 21st Century" will eingefahrene Sichtweisen künstlerisch aufbrechen, um Raum für neue Ideen zu schaffen. mehr

Herr Luckow, haben Sie mit einer solchen Diskussion um Ihre Ausstellung gerechnet?

Dirk Luckow: Wir rechnen grundsätzlich mit Diskussionen um unsere Ausstellungen. Wir zeigen häufig Kunst im globalen Kontext, und damit erreichen uns auch Fragen aus diesem Bereich. Es sind zum Teil Missstände, es geht um Krisen. Es ist natürlich unsere Aufgabe, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Wir gehen davon aus, dass es auch ein Grundanliegen der Künstlerinnen und Künstler ist, genau in diese Richtung mit ihren Werken zu agieren und so zum Kulturaustausch anzuregen. Das machen wir in den Bereichen bildender Kunst und Fotografie und nehmen unser Publikum immer auf sehr spannende Entdeckungsreisen mit, füllen Bildungslücken. Globale Moderne ist ein Riesenthema. Es zeigt sich dann aber auch, dass ganz neue und anders aufgestellte kulturelle, gesellschaftliche und politische Hintergründe von den Künstlern mit in die Deichtorhallen gebracht werden und somit dann in den Diskursraum.

Das heißt, Sie fürchten keinen Skandal in Ihrem Haus, ähnlich wie es ihn beispielsweise bei der documenta gegeben hat?

Luckow: Das fürchten wir nicht. Wir haben uns zu dem Werk, was durch ein Text-Statement ergänzt worden ist, klar positioniert. Wir haben uns davon auch distanziert und das in der Ausstellung kenntlich gemacht. Ich glaube, dass man auch versteht, dass die eine eigene Sicht drauf haben, dass sie aber auch ins Gespräch über dieses Werk gehen wollen. Wir haben die Arbeit von New Red Order als eine spannende Stimme zu dem Grundthema "Überleben im 21. Jahrhundert" gesehen. Dieses Statement, was ergänzt worden ist, ist immanenter Bestandteil der Installation und ist auch aus der biografischen Perspektive dieses Künstlertrios extrem wichtig. Es ist nämlich eine sehr tiefgehende Reflektion des Völkermordes an der indigenen Bevölkerung, der 'native people' im heutigen Nordamerika. Deswegen ist dieser sechs Meter hohe Baum und der etwas kleinere Bieber, die da als Automatografen miteinander sprechen, sehr wichtig, weil die als erstes mit der Ankunft der weißen Siedler verschwanden. Dieses Werk hat auch sehr humorvolle Seiten. Insofern ist es für unser Überlebensthema ein zentrales Werk gewesen. Und dann kam diese Texttafel dazu, und das hat zu riesen Diskussionen bei uns geführt.

Weitere Informationen
Völlig verkleidet zeigt sich die Südhalle der denkmalgeschützten Deichtorhallen während der Bauarbeiten. Nach der erfolgreichen Sanierung der Nordhalle wird derzeit die Südhalle grundlegend saniert und modernisiert. © picture alliance/dpa | Ulrich Perrey Foto: Ulrich Perrey

Deichtorhallen in Hamburg: Sanierung dauert noch bis 2027

Seit drei Jahren wird das Haus der Photographie der Hamburger Deichtorhallen saniert. Eigentlich sollte es in diesem Jahr fertig werden. mehr

Worüber genau haben Sie da intern diskutiert? Auf Ihrer Internetseite steht, dass Sie sich vorher eingehend damit beschäftigt haben.

Luckow: Auf diesem Papier geht es vor allen Dingen um den Grunddiskurs des weißen Suprematismus - um das mal aus Künstlerperspektive anzusprechen -, dass der ganze Kolonialismus als Quelle die weiße Kolonialgeschichte im Hintergrund hat. Und diese Kolonialgeschichte sehen sie eins zu eins in einer Linie mit dem Holocaust - und das ist natürlich aus der deutschen Erinnerungskulturperspektive untragbar. Aus deutscher Perspektive ist das ein nicht vergleichbares, einzigartiges Verbrechen, und davon rücken wir auch keinen Millimeter ab. Nichtdestotrotz gibt es internationale Diskussionen, wo Völkermorde an der indigenen Bevölkerung in Nordamerika als Phänomene eines Grundübels immer wieder auftauchen.

Die Ausstellung trägt den Titel "Survival in the 21st Century". Welche Überlebenschancen hat die Kunstfreiheit aktuell?

Luckow: Das ist eine Riesendiskussion seit der documenta. Ich sehe aber, dass vor allen Dingen in Deutschland, in unserem freiheitlichen, demokratischen Raum und Staat all diese Gefahr überhaupt nicht vorhanden ist. Es ist extrem wichtig, dass sie nicht irgendeiner Zensur, Selbstbeschränkung oder am Ende noch Dialogunfähigkeit geopfert würde. Dieser Möglichkeitsraum zum Gespräch, den wir auch explizit mit diesem Werk hier eröffnen wollen, muss weiter bestehen und offen bleiben. Da sehe ich mit unseren Grundrechten alle Chancen, dass das so bleibt. Dieser Raum muss aber auch geschützt sein und muss stark und wehrhaft bleiben können. Dazu hoffen wir, mit unserer Entscheidung, dieses Werk so in den diskursiven Raum bestellt zu haben, beizutragen.

Das Interview führte Keno Bergholz.

Weitere Informationen
Ein Junge setzt sich eine Kippa auf den Kopf. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Bockwoldt

Niedersachsen führt einheitliche Antisemitismus-Definition ein

Das Kabinett hat die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verabschiedet. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 22.05.2024 | 17:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Museen

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr