documenta: 2023 - Aufregendes Jahr für die Weltkunstschau
Vieles steht bei der Weltkunstausstellung in Frage. Nach den Skandalen der letzten Monate ist es jetzt offen, ob die 16. Ausgabe der documenta überhaupt wie geplant 2027 stattfinden kann. Ein Rückblick.
Krisen und Skandale kannte sie immer, doch seitdem sich die documenta in der Folge als Weltkunstausstellung etabliert hat, stand sie wohl noch nie so sehr in Frage wie jetzt. Entsprechend erhitzt waren die Gemüter in einem Symposium Mitte November 2023: "Mein Name ist Bertram Hilgen. Ich war zwölf Jahre Oberbürgermeister und in dieser Eigenschaft Aufsichtsratsvorsitzender der documenta - und ich mache mir Sorgen um die documenta."
Ein Hauptgrund für die Sorgen des ehemaligen Kasseler Oberbürgermeister Hilgen (SPD): der Rücktritt der Findungskommission. Sie sollte eigentlich eine künstlerische Leitung für die kommende documenta 16 finden. Doch als Antisemitismus-Vorwürfe gegen ein Mitglied der Kommission aufkommen, ziehen es letztendlich alle sechs Mitglieder vor, zurückzutreten. "Unter den jetzigen Umständen glauben wir nicht, dass es für Künstler*innen und Kurator*innen in Deutschland Raum für einen offenen Austausch von Ideen und die Entwicklung eines komplexen und nuancierten künstlerischen Ansatzes gibt," heißt es in ihrer Erklärung.
documenta: Kunstfreiheit auf dem Prüfstand
Es war ein Paukenschlag und traf die Verantwortlichen der documenta-gGmbH hart. Mit Kopfschütteln reagierte die Frankfurter Politologin Nicole Deitelhoff, die zum wissenschaftlichen Beirat der documenta gehört: "Wenn in diesem Schreiben teilweise suggeriert wird, dass man in Deutschland nicht mehr frei und differenziert generell über Kunst und auch Fragen des Verhältnisses beispielsweise zu Israel sprechen könnte, sehe ich das nicht. Es sei denn, man würde sagen, dass wir Israel-Feindlichkeit und Antisemitismus als Ausdruck von Freiheit verstehen müssten, das tun wir in Deutschland aus sehr, sehr guten Gründen nicht."
Es steht Kunstfreiheit gegen Antisemitismus. Der Streit ist nicht neu. Die Antisemitismus-Vorwürfe verfolgen die documenta seit der letzten Ausstellung 2022. Mitgliedern des indonesischen Kuratorenteams, dem Künstlerkollektiv Ruangrupa, wurde eine Nähe zur BDS-Initiative nachgewiesen, die als antisemitisch gilt, ebenso einigen teilnehmenden Künstlern. Zudem wurden mehrere eindeutig antisemitische Kunstwerke auf der vergangenen documenta 15 identifiziert.
Aufgeheiztes Debatten-Umfeld
Um die gründliche Aufarbeitung zu gewährleisten, wurde nicht nur ein neuer Geschäftsführer der documenta-gGmbH bestellt, der erfahrene Kulturmanager Andreas Hoffmann, es wurde auch eine externe Beraterfirma beauftragt, die in Zusammenarbeit mit der Politologin Nicole Deitelhoff kürzlich einen Abschlussbericht vorgelegt hat. Hoffmann resümiert schon vor der Veröffentlichung des Berichts: "Eben mit Hilfe der vielen Instrumente und Ergebnisse und Empfehlungen, die die Organisationsentwicklung uns an die Hand gibt, nun tatsächlich zu schauen, wie wir einerseits die Kunstfreiheit auf jeder documenta auch sicherstellen, andererseits aber eben auch natürlich gegen Diskriminierung und Antisemitismus klar vorgehen und wie wir die Organisationstrukturen insgesamt Krisen resilienter machen."
Die Frage ist: Schafft man das bis zum geplanten Termin der nächsten documenta, also 2027? Oder muss die Weltkunstschau tatsächlich verschoben werden? Und wird man in diesem aufgeheizten Debatten-Umfeld überhaupt noch geeignetes Personal finden, das die Arbeit der Findungskommission übernehmen möchte? Kassel als Austragungsort steht dagegen nicht in Frage. Das versicherte der Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne) inzwischen mehr als einmal. "Die documenta löst die Probleme der Welt nicht, sie zeigt sie nur auf. Und weder die Welt noch die documenta steht vor dem Untergang", so Schoeller im vergangenen November. Es klingt wie eine Beschwörung.