Hilfe für historische Bücher: Restauratorin Gudrun Kühl im Porträt
Die Buchrestauratorin Gudrun Kühl arbeitet uralte, kostbare Werke in ihrer Werkstatt in Hamburg auf. Ihr Handwerk erfordert viel Wissen, Akribie und - im Wortsinn - Fingerspitzengefühl.
Morgens um sieben ist es noch still in dem flachen Gewerbehaus. Im Parterre liegt die Werkstatt, die sich Gudrun Kühl mit einem Möbelrestaurator und einer Gemälderestauratorin teilt. Es ist hell, kühl und trocken, ein zarter Duft von Papier, Holz und Leder liegt in der Luft. Unter der großen Tageslichtlampe beugt sich Gudrun Kühl über ein Buch - ein sehr altes Buch. Was kann gerettet werden, was ist verloren? "Vieles kriegt man auch erst raus, wenn man angefangen hat oder wenn man etwas abgelöst hat. Wenn eine alte Restaurierung auf einem Rücken klebt, dann weiß ich ja gar nicht genau, was darunter liegt", erklärt Kühl.
Es beginnt mit akribischer Detektivarbeit
Die Buchrestauratorin schlägt den Deckel vorsichtig auf, prüft den Buchrücken aus Pergament, die staubigen Seiten: eine "Abhandlung über die menschliche Anatomie" von 1608. "Wenn da eine alte Stabilisierung auf dem Rücken ist, muss darunter was kaputt sein. In der Regel ist da der Rücken weg oder die Gelenke sind gerissen. Und dann kommt noch der Aufwand für das Ablösen der alten Restaurierung dazu", erzählt die Restauratorin.
Arbeit ohne weiße Stoffhandschuhe
Gudrun Kühl arbeitet ohne weiße Stoffhandschuhe. Sie hat die Hände frisch gewaschen und getrocknet. So kann sie viel genauer tasten und fühlen. "Hier zum Beispiel an dem Pergamentband ist der Rücken sehr versprödet. Wenn ich jetzt hier mit einem Stoffhandschuh rangehe, bleibe ich möglicherweise hängen und es reißen kleine Fasern von dem Stoffhandschuh ab - so kleine Fragmente", erläutert Kühl. Es sei wirklich wichtig für die Arbeit, das Gefühl in den Händen zu haben.
Schätze in großen, flachen Schubladen
Gudrun Kühls Werkstatt ist eine wohlorganisierte Fundgrube. Allein der hohe Schrank birgt so manchen Schatz in großen flachen Schubladen - zum Beispiel Restaurierleder. "Das ist Kalbsleder, das wird individuell eingefärbt für die Objekte. Es ist naturfarben und je nachdem welche Farbe das Original hat, muss es farblich angepasst werden", sagt Kühl. Häufig kommt das sogenannte Japan-Papier zum Einsatz. Die Restauratorin hält ein zartes Blatt gegen das Licht, das durch die großen Fenster fällt. "Das hier ist so ein ganz Spezielles, das ist sehr dünn. Man kann durchgucken", betont sie. Das Papier könne man über Schrift kleben. "Bei schimmelgeschädigtem Papier beispielsweise, das so ganz weich und wattig ist. Wenn man das darüber klebt, dann ist das Papier stabilisiert, aber die Schrift noch gut lesbar. Das fällt kaum auf", erklärt sie.
Familiengeschichten hinter den Büchern
Diese Werkstatt ist ein Reich des Analogen. Handwerk und Kunst in einem, Material und Fingerspitzengefühl - das Gegenteil unserer digitalen Welt. Keine Frage, dass ihr der Beruf Spaß macht. Um das zu illustrieren, holt Kühl aus dem Schrank einen sehr alten, schweren Band mit großformatigen, farbigen Tierbildern aus der ganzen Welt. "Was mir eigentlich am meisten ans Herz geht, sind immer die Kunden, die mit Familiengeschichte kommen, oder mit einem Buch, das sie in der Kindheit gelesen haben", sagt Kühl.
Gerade hat sie ein Buch von einer Kundin, die mit ihrer Tochter gekommen war. Die Tochter hat das Buch als Kind immer durchgeblättert. Der Mutter sei völlig egal gewesen, was die Restaurierung kostet. "Es war total auseinander gefallen und sie hat mehr bezahlt als diese 500 Euro für die Restaurierung des Buches. Das geht mir näher als eine Galerie, die kommt und sagt: 'Machen Sie das mal schnell wieder schön! Ich will das verkaufen.' Das sind die schöneren Geschichten hinter Objekten." Schöne Geschichten eines Berufs, der sich ganz der Rettung von Büchern verschrieben hat.