Lübecker Altstadt: Kunstschätze hinter alten Mörtelschichten
In vielen Häusern auf der Lübecker Altstadtinsel verbergen sich hinter Mörtelschichten, Tapeten und Wandfarbe einzigartige Malereien aus vergangenen Jahrhunderten. In einer Datenbank werden die Schätze dokumentiert.
Bunte Graffitis, ein eingeschlagenes Fenster und die Aufschrift "Seepferdchen" - eine ehemalige Kneipe. Von außen sieht das Gebäude in der Lübecker Böttcherstraße nicht sehr einladend aus. Für Annegret Möhlenkamp ist es allerdings ein Schatzgrube. Sie hat lange als Denkmalschützerin gearbeitet. Jetzt schaut sie durch das offene Fenster an die Decke des ersten Stocks - und die sieht vielversprechend aus. "Wir wissen aus den Archivalien, dass hier in dieser Straße tatsächlich Böttcher gewohnt haben, also diejenigen, die die Holzfässer gebaut haben. Im Nachbarhaus gab es auch eine figürliche Malerei", erklärt Möhlenkamp.
Schatzgrube im Dornröschenschlaf
Weil das Gebäude vor einigen Jahren eine Altstadtkneipe war, sind viele Wände mit Holz vertäfelt. Dahinter kommen die ein oder anderen Schätze zum Vorschein, sagt Möhlenkamp. Zusammen mit Restauratorin Eileen Wulf geht sie durch den Flur. Es riecht muffig - das Haus wird gerade entkernt. Eileen Wulff ist mit einer Taschenlampe bewaffnet und entdeckt an den Decken und Wänden immer wieder neue kleine Dinge. "Letztendlich geht es überall, wo man eine Wand aufmacht, los. Hier wartet also Geschichte in Schichten. Hier ist die Kneipe aus den 1970ern, dann hat man hier ein Paneel, ich schätze aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhundert", erklärt Eileen Wulff.
Mauer mit 700-jähriger Geschichte
Vor einer Mauer bleiben die beiden Frauen stehen und staunen: Diese Wand ist bereits 700 Jahre alt - stabil ist sie immer noch. Was für eine Geschichte hinter der Wand steckt, versucht Eileen Wulff herauszufinden. "Die Häuser erzählen ganz viel. Sie erzählen während einer Sanierung, wenn das schon ein bisschen freigelegt ist. Das Problem ist, dass bei jeder Sanierung viele Informationen verloren gehen."
Dazu befragt Eileen Wulff auch gern mal eine Datenbank. Darin zu finden sind Wand- und Deckenmalereien der Lübecker Altstadthäuser. Dieses Archiv ist für sie inzwischen zu einem wichtigen Instrument ihrer Arbeit geworden. Aufgebaut hat die Datenbank die ehemalige Denkmalschützerin Annegret Möhlenkamp, zusammen mit weiteren Mitarbeitenden und der Uni Kiel - finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Datenbank der Uni Kiel: "Ein unschätzbarer Wert"
"Das ist eine tolle Idee, diese Datenbank aufzubauen", schwärmt Wulff. Sie ermöglicht schnellen Zugriff auf Informationen ohne langes Suchen oder Nachfragen. Noch dazu gebe es viele Vergleichsbeispiele. "Das ist toll und ein unschätzbarer Wert." Das Objekt in der Böttcherstraße erforscht Eileen Wulff momentan noch, bevor die Restaurierung beginnt. Mehr als 500 solcher Häuser mit knapp 2.500 Malereien wurden schon in der Datenbank dokumentiert. Und dieses Objekt wird auch bald zu finden sein - denn jeder hat Zugriff auf die Datenbank, um ein Bewusstsein für den Wert dieser Kunst zu schaffen.
Highlight im Obergeschoss: Kassettendecke und bunte Tulpen
Im Obergeschoss dann das Highlight des Hauses: An der alten Holzdecke sind Dutzende schwarze Quadrate nebeneinander gesetzt und an einem alten Holzbalken sind grün, rot, gelbe Tulpen zu sehen, die alle aneinandergereiht und gut erkennbar sind. "Die Aufteilung der Decke mit solchen gemalten Kassetten ist typisch. Das ist eine ganz typische Aufteilung der Renaissance um das 16. Jahrhundert", erklärt Eileen Wulff. Bemerkenswert sei, dass die so genannten Mauresken fehlten, also schwarze feine Ranken, stattdessen sind da Blumen. "Besonders außergewöhnlich ist, dass man einen Balken hat, der überall mit Blumen bemalt ist." Und Annegret Möhlenkamp ergänzt: "Die Kassettendecke an sich ist als Motiv älter. Aber durch diese Blumen, die da drin sind, wird sie aus dem frühen 17. Jahrhundert sein."
Jetzt muss der Bauherr entscheiden, wie es mit dem Haus in der Böttcherstraße weitergehen soll und ob er sich eine komplette Restaurierung leisten kann. Dann kann Eileen Wulff mit ihrer Analyse starten. Falls es nicht zur Restaurierung kommt, haben Eileen Wulff und Annegret Möhlenkamp zumindest die Daten gerettet.