Immer noch unterrepräsentiert: Frauen an der Spitze der Kulturbranche
Im Jahr 2024 ist es immer noch eine Ausnahme, wenn Frauen nicht nur Werke erschaffen, sondern sogar dirigieren, kuratieren oder gar vermarkten. Ein paar Beispiele, die Hoffnung machen.
Es war eine weltweite Sensation: Die einstige Musikchefin der Grazer Oper, die Ukrainerin Oksana Lyniv, dirigierte 2021 als erste Frau in Bayreuth. In renommierten Tageszeitungen und Interviews mit Klassik-Redaktionen ging es dabei immer wieder um die Herausforderungen als Frau, auch um ihre einstigen Differenzen mit einer anderen Frau an der Semperoper. Immer stand das Geschlecht im Mittelpunkt, nicht das Können.
Oksana Lyniv: "Anziehungskraft hatte für mich immer das Werk selbst"
Lyniv war sich dieser Sonderstellung immer bewusst: "Als ich mein Studium angefangen habe, war ich die einzige Frau in der gesamten Hochschule. Ich musste mir natürlich auch Dinge anhören wie: Warum machst du das? Du wirst nie was werden! Die Anziehungskraft hatte für mich aber nie das Dirigentenpult - also dass du vorne stehst und sagst, wo es lang geht - sondern immer das Werk selbst. Sich vorzustellen, eine 6. Tschaikowsky zu dirigieren, eine Tosca oder eine Mahler-Sinfonie, hat mich wirklich berauscht."
In Artikeln vor ihrer Wagner-Premiere ging es auch immer wieder um die "vertrackte Akustik" im Orchestergraben in Bayreuth - vor der sie aber keine Angst hätte. Bei welchem Mann würde man das lobend erwähnen?
Hera: Eine der erfolgreichsten Street-Art-Künstlerinnen der Welt
In einem Hochhaus in Frankfurt-Höchst ist eine der erfolgreichsten Street-Art-Künstlerinnen der Welt aufgewachsen: Hera, mit bürgerlichem Namen Jasmin Siddiqui. "Nachdem ich wirklich anerkannt habe, dass ich krass gefährdet bin, ich sehe aus wie keine Deutsche und ich bin eine Frau, da ist so ein Funken Hass wach geworden, so ein rebellischer Gedanke", erzählt Hera im Podcast "I love Graffiti". "Ich dachte: Ok, ich gehöre nicht zum Establishment, scheinbar nicht zu dem, was gewünscht ist, sondern zum Rest. Und dann kann ich auch genau das machen, was der Rest macht."
Was Hera seitdem macht, macht sie ausgesprochen erfolgreich. Sie reist um die Welt, sprüht ihre großformatigen Kunstwerke, sogenannte Murals, mit offiziellem Auftrag von Städten und Gemeinden an die Wände von Metropolen. Die Künstlerin hat eine Hauswand in Frankfurt zur EM besprüht, Filmstar Jim Carrey hat sie gebucht und immer wieder ist sie auch in sozialen Brennpunkten unterwegs, gibt Workshops für Kinder und Jugendliche in Favelas oder Randbezirken internationaler Großstädte. "Trotzdem bin ich im Street-Art-Genre eine von vielleicht maximal 30 Prozent Frauen", so Hera. "Wir sind da also unterrepräsentiert - und Frauen, oder auch andere Gender, haben doch auch eigene Themen."
Popmusik: Kein Bock mehr auf die "Würstchenparade"
Auch das Popmusik-Business ist eine männerdominierte Welt. "Ich habe das so oft erlebt, dass fantastische Künstlerinnen keinen Bock mehr hatten auf die Branche", so DJ und Musik-Bloggerin Lina Burghausen. "Weil es einfach so eine Würstchenparade ist, pardon." Frauen werden als Musikerinnen deutlich seltener gebucht, bekommen weniger Gage, auf den großen Festivalbühnen stehen immer noch hauptsächlich Männer - und das liegt möglicherweise auch daran, dass es kaum Künstler- und Konzertagentinnen gibt.
Katharina Köhler: "Die Boss" bei Deichkind
Katharina Köhler ist eine der ganz wenigen Frauen im Chefsessel der Musikbranche. Sie ist Managerin der aus Hamburg stammenden Band Deichkind und beschreibt im Podcast "Die Boss" den Weg vom "Jobtitel" zum wirklich gelebten Berufsalltag: "Was ist denn eine Musikmanagerin? Das ist nicht definiert. Ich dachte früher, ich bin eine bessere Sekretärin. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe zu sagen: Nein, ich bin die Managerin. Das müssen alle wissen, auch die Chefs der Firmen, wenn sie mit der Band sprechen möchten. Dann müssen sie mit mir reden!"
Es gibt natürlich weitere - aber eben sehr wenige - Beispiele von Frauen, die das Sagen haben im Kulturbereich. Simone Young gilt als leuchtende Ikone für Orchesterleitung. Bei Dagmar Schlingmann, der vielfach ausgezeichneten und langjährigen Generalintendantin am Theater Braunschweig, wird übrigens immer wieder mal erwähnt, dass sie auch Familie hat.