Simone Young: "Als Dirigent braucht man einen guten Masseur"
Simone Young wird im Sommer den kompletten "Ring des Nibelungen" in Bayreuth dirigieren. Eine intellektuelle Herausforderung, auf die sie sich freut, erzählt die australische Dirigentin Simone Young im Interview.
Auch in diesem Jahr finden sie statt: die Bayreuther Festspiele. Mit "Tristan und Isolde" werden sie eröffnet, und wieder mit großer Spannung erwartet wird "Der Ring des Nibelungen". Dieses Mal unter neuer musikalischer Leitung: Die australische Dirigentin Simone Young steht am Pult. Seit 2022 ist sie die Chefdirigentin des Sydney Symphony Orchestra, sie ist international unterwegs, hat auf den wichtigsten Podien weltweit dirigiert und im Norden ist sie bestens bekannt: Von 2005 bis 2015 war sie in Personalunion die Intendantin der Staatsoper Hamburg und Generalmusikdirektorin des Philharmonischen Staatsorchesters.
Nun steht sie in Bayreuth am Pult. Über ihre Arbeit, über Richard Wagner und die Festspiele spricht Simone Young mit Friederike Westerhaus in NDR Kultur à la carte.
Frau Young, dieses Jahr ist Ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen. Es ist nicht irgendein Debüt, Sie werden den kompletten "Ring des Nibelungen" dirigieren. Ist so ein Debüt für Sie etwas besonders?
Simone Young: Ja, in der Form schließt es einen Kreis für mich. Meine erste Zeit in Bayreuth war von 1991 bis 1995, wo ich dort als musikalische Assistentin für Daniel Barenboim gearbeitet habe. Wenn man einmal dazugehört, dann gehört man ein bisschen zu der Grünen Hügel-Familie. Man bleibt immer verbunden.
Ich freue mich besonders, dass ich jetzt den Ring dirigieren kann. Es ist selbstverständlich eine riesige Aufgabe, aber ich bin in der glücklichen Lage, dass ich vor einem Vierteljahrhundert den Ring dirigiert habe. Vielleicht ist das auch genau richtig, dass man fast ein halbes Leben mit diesen Werken lebt, bevor man sich wieder an Wagners Haus traut aufzutreten.
Sie haben den Ring vielfach gemacht, unter anderem auch in Hamburg und ihn auch in Wien und in Berlin inszeniert. Sie wissen, wie es sich anfühlt, den kompletten Ring zu dirigieren. Was braucht es von Ihnen als Dirigentin durchzuhalten? Gibt es einen Trick?
Young: Ich glaube, es war Birgit Nilsson, die einmal gesagt hat: 'Um eine Brunhilde singen zu können, braucht man ein gutes Paar Schuhe.' Es kann sein, dass ich das jetzt falsch zitiert habe, aber das war die Idee. Als Dirigent braucht man einen guten Masseur.
Ich erinnere mich, dass Sie hier in Hamburg immer auf High Heels gestanden haben. Das ist nicht gerade bequem.
Young: Nein, nicht für sechs Stunden. Selbstverständlich ist das auch eine intellektuelle Herausforderung, wenn man den ganzen Ring dirigiert. Man versucht, Linien in verschiedenen Etappen zu schaffen und das Stück in verschiedene Lager zu teilen. Innerhalb jedes Aktes sind es verschiedene Szenen, da muss man eine Linie über den Akt ziehen, aber auch über den ganzen Abend - also vom Beginn bis zum Schluss. Das ist eine riesige Herausforderung.
Aber in Bayreuth hat man die besten Voraussetzungen dafür. Man hat ein Orchester, das diese Musik einatmet, das lebt jeden Sommer mit dieser Musik - auch in den Monaten dazwischen. Die sind so vertraut mit dieser Musik, die wissen wirklich jedes Wort. Die Sängerbesetzung ist selbstverständlich erste Klasse und einmalig ist vor allem die berühmte Bayreuther Akustik.
Das Bayreuther Opernhaus ist der Magnet für Wagner-Fans aus aller Welt. Es sind besondere Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten in diesem Haus, vor allem, was die Akustik angeht. Wie stellen Sie sich als Dirigentin darauf ein?
Young: Es ist völlig anders, und ich hatte eine super Erfahrung in der Zeit, wo ich Barenboims Assistentin war, weil er mir ein paar Proben im Graben anvertraut hat. Ich bin der Meinung, dass ich in dieser Zeit mehr übers Wagner dirigieren gelernt habe, als man in einem ganzen Doktorat lernen könnte. Dieser Klang entsteht dreidimensional aus der Tiefe, er rollt hoch über den Dirigenten auf die Bühne und dann ins Haus. Es ist wirklich was Besonderes. Viele Leute und viele Häuser haben versucht, diesen Klang wiederzugeben, aber das geht nicht. Es ist wirklich einmalig. Ich freue mich total darauf.
Es funktioniert aber von Oper zu Oper unterschiedlich. Der Ring wurde über eine sehr lange Zeit komponiert und der Kompositionsstil von Wagner hat sich von "Rheingold" zur "Götterdämmerung" stark verändert. Die Akkustik reagiert unterschiedlich auf Spät-Wagner wie auf den früheren Wagner, wie bei "Lohengrin", "Tannhäuser" oder "Holländer" und auch "Rheingold". Die sind spärlicher komponiert. Man muss die Stücke als Dirigent entsprechend angehen. Aber die Musiker sind für mich die größte Hilfe: Sie kennen die Musik, sie spielen sie jedes Jahr. Sie wissen, wie die Musik zu steuern ist. Das ist ungefähr so, als ob man als Fahrer 14 Stunden einen teuren Rolls-Royce fährt.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.