Hype um die Kunst: Wer profitiert wirklich von Rekordsummen?
Rekordergebnisse bei Sotheby’s, Christie’s und Co.: 20 Millionen Euro für ein Selbstbildnis von Max Beckmann, 195 Millionen US-Dollar für Andy Warhols Marilyn-Monroe-Porträt: Kennt die Entwicklung des Marktes nur eine Richtung?
Während andere Branchen unter der Last der Inflation, den Folgen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs ächzen, verkünden Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s ein Rekordergebnis nach dem andern. Die Schlagzeilen über zwei und dreistellige Millionenzuschläge täuschen darüber hinweg, dass nur ein verschwindend geringer Teil der weltweit verkauften Kunstwerke solche Beträge erzielt. "Wenn wir uns die Auktionsergebnisse genau angucken, dann handelt es sich überwiegend um abgesicherte Werte", erklärt die Düsseldorfer Professorin für Kunstvermittlung und Kunstmanagement, Ulli Seegers. "Das sind kunsthistorisch bedeutende Künstlerinnen und Künstler, von denen auszugehen ist, dass sie Bestand haben werden."
Rekordsummen für Cezanne, Gauguin oder van Gogh
Tatsächlich stammen alle Gemälde, die Anfang November bei Christie’s die 100 Millionen Dollar Grenze knackten, von Künstlern, deren kunsthistorische Bedeutung niemand bezweifelt: Cezanne, Seurat, Gauguin, van Gogh, Klimt. Kunstmarktexpertin Seegers vergleicht solche Werke mit stabilen Standardwerten auf dem Aktienmarkt: "Das sind keine jungen, unbekannten Künster mehr, sondern diese sogenannten 'Blue Chips'. Da kann man von ausgehen, dass die Wertentwicklung tatsächlich nur noch nach oben gehen wird."
Anleger*innen suchen stabile Sachwerte
Die Gründe für das wachsende Interesse an etablierter Kunst liegen für die Kunsthistorikerin auf der Hand: "Das hat sicherlich etwas mit der Rezession beziehungsweise mit der Inflation zu tun. Anlegerinnen und Anleger suchen vermehrt Sachwerte. Wenn wir uns im dreistelligen Millionenbereich bewegen, wird jeder einsehen: Da geht es weniger um die Leidenschaft für die Kunst als vielmehr um ein kluges Investment."
Werbetournee und Imagefilme für "Salvator Mundi"
Die Auktionshäuser lassen sich die Vermarktung ihrer Spitzenwerke etwas kosten: Christie’s schickte das Gemälde "Salvator Mundi" vor seiner Versteigerung 2017 auf Welttournee und lancierte im Internet aufwändig produzierte Imagefilme. Dabei gab es schon damals Zweifel, ob das Renaissance-Bild tatsächlich von Leonardo stammt. 400 Millionen US-Dollar erzielte das Bild auf der Auktion, inklusive Gebühren 450 Millionen US-Dollar: Bis heute der höchste Preis, der je für ein Gemälde gezahlt wurde.
In seinem gerade erschienenen Buch "Kann ich das auch?" analysiert der Kunstkritiker Kolja Reichert, wer die Gewinner dieser Entwicklung sind:
Die Hälfte des globalen Umsatzes konzentriert in den oberen fünf Prozent der knapp 300.000 Galerien und Auktionshäuser. (…) Auf dem Rest des Marktes gingen die Umsätze seit 2009 konstant zurück. Auszug aus "Kann ich das auch?" von Kolja Reichert
Schere am Kunstmarkt geht immer weiter auseinander
"Es gibt Statistiken, die von 80 Prozent der Galeristen und Kunsthändlerinnen sprechen, die im Moment das Nachsehen haben. Einmal ganz abgesehen von den jungen Galerien, die jetzt tatsächlich in der Pandemie zusperren mussten, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen", konstatiert Seegers.
Der Kunstmarkt spiegelt, was überall auf der Welt passiert: Die Schere zwischen arm und reich, zwischen Großverdienern und denen, die finanziell kaum noch zurechtkommen, öffnet sich immer weiter. Das ist auch deshalb zutiefst ungerecht, weil die großen Player des Kunsthandels an den Künstlern und Künstlerinnen verdienen, die kleinere Galerien aufgebaut und bekannt gemacht haben.