Zwischen Humor und Tragik: Joachim Meyerhoff
"Man kann auch in die Höhe fallen" heißt der neue Roman von Joachim Meyerhoff. Wie sich dieses Gefühl anfühlt, weiß Meyerhoff zu gut. Was das bedeutet und warum er eine Auszeit an der Ostsee im Haus seiner Mutter brauchte und dort hingezogen ist, erzählt er bei NDR Kultur à la carte.
Joachim Meyerhoff kämpft sich durch Siege und Niederlagen als ungehemmter Schauspieler auf deutschsprachigen Theaterbühnen wie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, am Wiener Burgtheater, an der Berliner Schaubühne oder an den Münchner Kammerspielen. Mehrfach für seine Theaterarbeit ausgezeichnet, hat Meyerhoff sich auch einen Namen als Schriftsteller gemacht. Bekannt wurde er mit seiner mehrteiligen Autobiografie "Alle Toten fliegen hoch", die zwischen Tragik und hinreißender Komik vom Leben seiner Familie erzählt. Auch seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2024 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor. In NDR Kultur à la carte spricht Joachim Meyerhoff mit Katja Weise über seinen jüngsten Roman: "Man kann auch in die Höhe fallen", über seine Arbeit auf der Bühne, über Literatur und dem ganz normalen, immer wieder verrückten Alltag.
"Man kann auch in die Höhe fallen", heißt das neue Buch, nach einem Zitat von Friedrich Hölderlin. Kennen Sie dieses Gefühl des in die Höhefallens, was eigentlich gar nicht geht?
Joachim Meyerhoff: Oh ja. Das kenne ich schon. Zum Beispiel gibt es in sehr dramatischen Situationen oft einen Wendepunkt. Wenn man sich mit den Situationen abfindet, dann gibt es einen Aufwind, dass es mit einem plötzlich wieder aufwärts geht. In dem Moment, wo man verzweifelt irgendwo in Berlin an der U-Bahn steht und nur noch weg will und dann merkt, es ist auch gut. Dabei merkt man ein Leichtes in die Höhe fallen. Aber ich kenne es auch ganz extrem. Ich kenne es, dass man in sehr dunkle Phasen gerät und sich durch Arbeit oder andere Ereignisse wieder etwas wendet. Dieses Bild von Hölderlin finde ich kongenial, dass man zwar vielleicht noch im Fallen begriffen ist, aber dass es ein Fallen in die Höhe ist.
Das vollständige Zitat lautet: "Man kann auch in die Höhe fallen, so wie in die Tiefe. Das Letztere verhindert der elastische Geist, das Erstere die Schwerkraft, die im nüchternen Besinnen liegt". Ist das auch Ihre Sache: Nüchternes Besinnen?
Meyerhoff: Es gibt im Schreiben diesen Moment, den man braucht, wo das Material einfach Material ist, wo man sich das sehr kühl angucken muss. Sonst ist man immer nur verzweifelt oder euphorisch. Man braucht den Moment, wo man analysiert, was es denn jetzt ist. Vor allen Dingen, braucht man den nüchternen Geist, die nüchterne Betrachtung, wenn es darum geht, die Dinge rauszuschmeißen. Ich schreibe immer viel zu viel, und es braucht eine Reduktion. Wenn man sich nicht ganz klar von seinen Lieblingsstellen trennen kann, weil man an allem hängt, dann wäre das nicht gut fürs Buch.
Man kann sich doch nicht ausgerechnet von seinen Lieblingsstellen trennen, oder?
Meyerhoff: Wenn man viele hat, dann schon. Aber es gibt auch manchmal den Punkt, dass Dinge zwar toll sind oder mir gefallen, aber zu ähnlich sind. Dann gibt es eine andere Stelle, die das neutralisiert. Es geht um eine gewisse Effizienz im Buch, dass es ineinandergreift. Ich lese meine Texte immer laut für mich, weil es mir sehr wichtig ist, dass die eine Richtung haben und sich nicht im Nichts verlieren.
Das neue Buch beginnt mit den Worten: "Mit Mitte 50 zog ich für mehrere Wochen zu meiner Mutter aufs Land nach Schleswig-Holstein, wo sie unweit der Ostsee auf einem weitläufigen und parkähnlichen Grundstück lebt. Ich redete mir ein, sie bedürfe dringend meines Beistands. Dabei war sie kerngesund. Ich hingegen war derjenige, der nicht mehr klar kam und dem viele Fäden gerissen waren". War das ein spontaner Entschluss, oder war das für Sie schon länger im Kopf?
Meyerhoff: Nein, das zu tun, war eine Art Ad-hoc-Entscheidung, weil ich gemerkt habe, da ging was nicht weiter. Da sind verschiedene Dinge zusammengekommen, die in dem Buch auch aufaddiert werden. Der Umzug von Wien nach Berlin, die gesundheitlichen Probleme, die ich nicht losgeworden bin. Ich hatte ein gewisses Gesamtgefühl von Gereiztheit, die auch immer noch mit meinem Schlaganfall zu tun hatten und dann sind noch andere Dinge passiert. Schließlich gab es den Moment, dass ein Wechsel her musste, weil ich für meine Familie, so wie ich zu dem Zeitpunkt war, nicht mehr gut war. Das ist ein sehr ernüchterndes Gefühl, wenn man plötzlich das Gefühl hat, man tut den Menschen um sich herum nicht mehr gut. Also bin ich nach Hause aufs Land geflohen, wovon ich mir viel versprochen habe. Es ging natürlich um meine Mutter, aber es ging auch um den Ort, einfach mal rauszukommen. Sie müssen wissen, dieser Ort an der Ostsee, den haben wir als Familie, seitdem ich ein ganz kleines Kind bin. Wenn sie als Schauspieler arbeiten, ist man immer unterwegs. Ich weiß nicht, wie oft ich umgezogen bin, vielleicht zehnmal, immer von Stadt zu Stadt. Ich habe zwei Jahre dort gelebt und an einem anderen Ort drei Jahre. Wenn es einen Ort gibt, der immer unverändert ist, an dem die Mutter lebt, die diesen Ort hegt und pflegt und da präsent ist, dann ist das ein sehr begrenzter, sehr vertrauter Raum, den ich wirklich Heimat nennen würde. Das war für mich in all den Jahren der Schauspielerei unendlich wichtig, so einen zentrierten, unveränderten Ort zu haben, auch für meine Kinder und für meinen Bruder und dessen Kinder. Wir alle kommen dort immer zusammen, weil da etwas von Kontinuität ist. Das ist natürlich etwas, was man im Leben braucht. Von daher bin ich aus Berlin geflohen, um mich der Stabilität dieses Ortes zu nähern.
Die Fragen stellte Katja Weise bei NDR Kultur à la carte. Das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite hören und in der ARD Audiothek.