Willem Dafoe: "Wenn man sie täglich sieht, verlieren Bilder ihre Kraft"
Ob Independent-Filme wie "Der Leuchtturm" oder Marvels "Spider-Man": Willem Dafoe beherrscht alle Spielwiesen des Kinos. Nun spielt er im Thriller "Inside" einen Kunst-Meisterdieb. Ein Gespräch mit Willem Dafoe über Kunst, Spiritualität und die Dreharbeiten mit Vasilis Katsoupis.
Willem Dafoe ist seit Jahrzehnten in Hollywood-Filmen zu erleben - etwa in "Platoon" oder "Der englische Patient". In den vergangenen Jahren brillierte er unter anderem in Wes Andersons "Die Tiefseetaucher" und "Grand Budapest Hotel" sowie in den Horrorfilmen "The Northman" und "Der Leuchtturm". Nun glänzt er in dem Thriller "Inside" von Vasilis Katsoupis, der jüngst bei der Berlinale lief. Als Kunstdieb Nemo versucht er in einem hochprofessionell eingerichteten Luxus-Apartment in New York, viel Geld mit geraubten Gemälden und Statuen zu bekommen. Doch die Wohnung gerät zur Falle.
Der Thriller fängt mit Ihrer Stimme als Meisterdieb Nemo im Hintergrund an. Sie sagen, Sie würden aus einem brennenden Haus die folgenden Dinge mitnehmen, wenn Sie nur drei mitnehmen könnten: Ihr Skizzenbuch, Ihr AC/DC-Album und Ihren Kater. Was würden Sie, Willem Dafoe, mitnehmen?
Dafoe: Ich mag dieses Spiel nicht (lacht). Das passt zu meiner Rolle, aber nicht zu mir. Ich kann dazu nichts Schlaues sagen, weil das nicht einmal als Gedanke in meinem Kopf aufblitzt.
Ein weiteres Zitat aus dem Film ist: "Es gibt keine Schöpfung ohne Zerstörung". Wie stehen Sie dazu?
Dafoe: Das ist Fakt. Das ist Physik. Das ist Religion. Das ist Spiritualität. Alles hat einen Anfang und ein Ende - ob ein Tag, ein Nachmittag, ein Leben. Wir sind irgendwann auch nicht mehr hier.
Nemo wird im High-Tech-Appartment gefangen gehalten. Wie liefen die Dreharbeiten in diesem engen, definierten Raum ab? In einem Raum, in dem er verrückt wird.
Dafoe: Ich denke an ihn nicht als jemanden, der verrückt wird. Auch, wenn er es tatsächlich wird. Ich lebe normalerweise in der Nähe des Sets, allein aus praktischen Gründen. Hier war das Set sogar fast mein Zuhause. Ich habe sozusagen darin gelebt. Das war kein Method Acting, sondern einfach nur praktisch. Bei diesem Film habe ich direkt mit allen Gewerken zusammengearbeitet, zum Beispiel mit dem Szenenbild, weil ich an die Wände male, oder bei der Maske. Denn ich habe meine Haare, meinen Bart und meine Nägel wachsen lassen. Meine Figur hat irgendwann Schnitte. Darin war ich involviert. Bei den Requisiten bin ich immer besonders sorgfältig.
War das in diesem Fall nicht besonders wichtig? Es gibt ja kaum Dialoge, da Sie allein im Raum sind.
Dafoe: Genau. Wörter helfen dir dabei, einer Menge Dingen auszuweichen. Nicht immer im guten Sinne. Aber Nemo redet ja auch mit sich selbst, um sich abzulenken. Das liegt in der Natur des Menschen. Er erzählt sich selbst mal einen Witz, zieht eine kleine Show ab.
Nemo fängt an, einen Turm im Appartment zu bauen. Wird er in Ihren Augen zum Künstler?
Dafoe: Ja, er wird zum Schöpfer. Es beginnt zunächst nur als eine praktische Idee, einen Turm zu bauen, um aus dem Appartment zu entkommen. Im Nachhinein denkt man als Publikum: Das war Kunst, die er da geschaffen hat. Er formt den Turm später als eine Art Ritual, um nicht verrückt zu werden, dabei gewinnt der Turmbau etwas Spirituelles. Sie können das in Frage stellen, aber Kunst kann all diesen Zwecken dienen.
Sammeln Sie selbst auch Kunst?
Dafoe: Ich bin reich genug, um ein Kunstsammler zu sein! (lacht). Das ist ein Witz mit einem Körnchen Wahrheit, denn Kunst ist teuer. Aber mich berührt es nicht so, Kunst besitzen zu wollen. Das ist nicht mein Ding. Ich gehe lieber in eine Kunstgalerie oder schaue es mir bei jemandem in der Wohnung an. Ich habe nicht einmal Bilder an der Wand. Ich besitze haufenweise Fotos, doch nicht einmal die hänge ich auf.
Wenn man sie jeden Tag sieht, verlieren Bilder ihre Kraft. Das Vergnügen daran geht verloren. Echtes Vergnügen geht einher mit etwas Zurückhaltung. Wenn man pausenlos Eis essen kann, schmeckt Eis nicht mehr so gut. Das bedeutet nicht, dass ich Kunst nicht sehr genieße. Ich habe etwa mit dem Künstler und Regisseur Julian Schnabel für "Van Gogh" zusammengearbeitet. Ich bin gern mit ihm in einem Raum, sehe gern, wie er arbeitet. Da passiert Magisches.
Kannten Sie den Regisseur Vasilis Katsoupis vorher? "Inside" ist sein Langspielfilmdebüt.
Dafoe: Nein, aber ich mochte die Idee des Filmes, wie der Regisseur herangegangen ist. Seine Recherche zum Thema. Es musste nämlich eine ganze Menge recherchiert werden, um dieses Haus zu schaffen. Wie sieht eine kalte High-Tech Kunstdealerwohnung von einem Architekten wohl aus? Katsoupis hat auch keine Fake-Kollektion mit Hilfe der Kunstverständigen zusammengestellt, sondern sich an echter Kunst inspiriert. Das mochte ich.
Hat er das Skript für Sie geschrieben?
Dafoe: Ich weiß es nicht. Regisseure lügen immer ein bisschen. "Ich habe für dich geschrieben - Ja, das haben Sie dem anderen Schauspieler auch erzählt, der letzte Woche das Projekt abgesagt hat!" (lacht). Nein. Ich glaube, er hat es geschrieben und dann nach jemandem gesucht. Ich lese viele Drehbücher. Ich bin sehr froh, mit ihm gearbeitet und den Film gedreht zu haben. Das hat Spaß gemacht.
Gleich am Anfang des Filmes ist ein Fisch im teuren Aquarium zu sehen, der aus dem Film "Findet Nemo" stammen könnte. Ist das Zufall oder Absicht?
Dafoe: Das ist nur ein Zufall. Um ehrlich zu sein, mochte ich den Namen Nemo für diese Rolle sowieso nicht. Leute wachsen aber sogar mit Namen auf, die sie nicht mögen. Es geht also noch schlimmer.
Das Gespräch führte und übersetzte aus dem Englischen Patricia Batlle, NDR Kultur.