"The Crown": Netflix schreibt Queen-Rede um - was darf Fiktion?
Die fünfte Staffel der Netflix-Serie "The Crown" sorgt für Kontroversen. Neben mangelnder Sensibilität wird der Serie vorgeworfen, es mit historischen Fakten nicht allzu genau zu nehmen.
Es geht um die 1990er-Jahre, das wohl schwierigste Jahrzehnt der Royals in der jüngeren Geschichte - und Netflix schlachtet es voll aus, vor allem den Ehekrieg von Prinz Charles (gespielt von Dominik West) und Lady Di (gespielt von Elizabeth Debicki).
Die größte Kritik aber gibt es daran, dass Netflix es mit historischen Fakten nicht allzu genau nimmt. Eine Rede der Queen aus dem Jahr 1992, die von Netflix hier scheinbar nachgestellt wird, ist in Teilen frei erfunden. Chris Ship, Königshausexperte des TV-Senders "ITV", hält das für problematisch: "Es ist eine der berühmtesten Reden der Queen, als sie mit dem 'Annus Horribilis' über ein Jahr sprach, auf das sie, 'nicht mit ungetrübter Freude zurückblicken' würde. Es ist eine bedeutende Rede, auf die immer wieder Bezug genommen wird, wenn es um das Leben der Queen geht. Aber Netflix hat die Rede umgeschrieben. Da ist Kritik gerechtfertigt, wenn man Geschichte in so vorsätzlicher Weise ändert."
Fundamentalkritik kommt von dem Journalisten Hugo Vickers, der unter anderem eine Biographie über Queen Mum geschrieben hat: "Es sieht so echt aus, aber das ist es nicht, das ist ein kompletter Schwindel. Es ist eine aufwendige Produktion, sie haben sehr gute Schauspieler, die extrem gut spielen, und sie haben ein gutes Drehbuch. Aber es ist grundlegend verlogen und deshalb letzten Endes schändlich."
Daniel Kehlmann: Das Unseriöse ist der Ort für die Kunst
Autor Daniel Kehlmann spricht sich für die künstlerische Freiheit aus, es solle aber deutlich gemacht werden, dass es sich um Fiktion handelt. "Das Unseriöse war immer schon der Ort, an dem die Kunst sich entfalten konnte", sagte er bei einer Rede in Marbach am 10. November. Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" stand 2005 ebenfalls in der Kritik, weil er Alexander von Humboldt als pädophil darstellte.
Seiner Meinung nach sollten Leser eines Buches oder Zuschauer eines Dramas wissen, ob die verhandelte Geschichte der Wahrheit entspreche. Fiktion müsse plausibel sein und vorsichtig vorgehen, wenn sie reale Figuren behandele. Hier hätten es Theaterstücke und Film leichter als Literatur, da sich die Zusehenden der "Selbsttäuschung" auf Bühne oder Leinwand gewiss seien. Eine Serie wie "The Crown" funktioniere nur beim britischen Königshaus. "Bei jeder anderen Familie wäre es eine primitive Rufschädigung", so der 47-Jährige.
Netflix kennzeichnet Fiktion beim offiziellen Trailer
Beim offiziellen Trailer gibt es nun in der Tat einen Vermerk, dass die Serie eine "von wahren Begebenheiten inspirierte fiktionale Dramatisierung" sei. Die Journalistin Yasmin Alibhai-Brown hält die ganze Aufregung für überzogen: "The Crown" sei schon immer ein Dokudrama gewesen, sagt sie. Der TV-Kritiker Scott Bryn meint, dass die Zuschauer gar nicht erwarten würden, dass alles der Wahrheit entspricht, denn sonst würden sie eine Dokumentation anschauen. Einig sind sich aber alle darin, dass der Stoff der fünften Staffel heikler ist als der bisherige, weil es viele Menschen gibt, die sich an die Ereignisse der 1990er-Jahre noch erinnern.
Judi Dench wirft Netflix "geschmacklose Sensationslust" vor
Die Schauspielerin und Oscar-Gewinnerin Judi Dench warf Netflix "geschmacklose Sensationslust" vor. Die Zuschauer können in der fünften Staffel noch einmal an "Tampon-Gate" teilhaben, einem damals abgehörten privaten Telefonat zwischen Prinz Charles und seiner Geliebten Camilla Parker Bowles, in dem Charles sich den Fantasien hingab, ein Tampon von Camilla zu sein. Auch Lady Dis berühmtes BBC-Interview, in dem sie 1995 mitteilte, dass es in ihrer Ehe zu dritt etwas überfüllt sei, wird von Netflix teilweise nachgestellt - und das, obwohl das echte Interview mithilfe gefälschter Unterlagen zustande kam und Prinz William gefordert hat, es nicht mehr zu zeigen. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung - zwei Monate nach dem Tod der Queen - wird kritisiert.
Prinz Charles kommt in der Staffel besonders schlecht weg
Der Palast dürfte über "The Crown" wenig erfreut sein, ist sich Königshausexperte Chris Ship sicher. Denn Charles - damals Prinz, heute König - kommt in der Staffel schlecht weg: Er ist nicht nur ein Ehemann, der seine Frau betrügt, sondern wird auch als kalt, engstirnig und nachtragend dargestellt: Ship glaubt, dass Charles und seine Freunde die Darstellung unfair finden werden. Eine Ansicht, die auch Ship selbst teilt. Netflix habe sich auf die Seite von Diana geschlagen, es hätten aber beide, Charles und Diana, Fehler gemacht.
Mit Informationen von Imke Köhler, ARD-Korrespondentin aus London und der Deutschen Presse-Agentur (dpa).