Die spanische Regisseurin Carla Simón bei einer Filmgala in Madrid im Dezember 2022 © picture alliance / NurPhoto | Carlos Dafonte Foto: Carlos Dafonte/NurPhoto
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Die spanische Regisseurin Carla Simón bei einer Filmgala in Madrid im Dezember 2022 © picture alliance / NurPhoto | Carlos Dafonte Foto: Carlos Dafonte/NurPhoto
AUDIO: Berlinale 2023 startet mit großer Eröffnungsgala (3 Min)

Berlinale-Siegerin Carla Simón über ihren liebsten Coming-of-Age-Film

Stand: 18.04.2023 16:21 Uhr

2022 hat Carla Simón als erste Katalanin mit "Alcarràs" den Goldenen Bären geholt. Aktuell sitzt sie in der Wettbewerbsjury der Berlinale und stellt einen Lieblingsfilm in der Retrospektive vor. Ein Gespräch.

Die letzten zwölf Monate waren prägend für Carla Simón. Sie holte als erste Filmemacherin den Goldenen Bären für einen auf katalanisch gedrehten Film: das authentische und traurige Drama "Alcarràs". Es erzählt vom Überlebenskampf einer katalanischen Obstbauernfamilie. Noch im selben Jahr ist die 36-Jährige, die in London Film studiert hat, erstmals Mutter geworden und ist nun für die 73. Berlinale nach Berlin zurückgekehrt: als Mitglied der Wettbewerbsjury unter Vorsitz von US-Schauspielerin Kristen Stewart. Bis zum 25. Februar urteilt sie mit über die 19 Filme, die um die Bären konkurrieren.

Carla Simón über "Der Geist des Bienenstocks" in der Berlinale-Retrospektive

Parallel stellt Carla Simón in der Retrospektive einen Lieblings-Coming-of-Age-Film vor, der sie als Filmschaffende nachhaltig geprägt und ihre Liebe fürs Kino entflammt hat: Víctor Erices Drama "Der Geist des Bienenstocks" (Spanisch: "El espíritu de la colmena") von 1973, einer der letzten Filme, die noch in der Franco-Ära gedreht wurden. Er handelt von der kleinen Anna und ihrer Schwester, die 1939, kurz nach Ende des Bürgerkrieges, auf dem Land Leben. Eines Tages kommt ein Lieferwagen mit Filmrollen an - das ganze Dorf schaut sich den Horrorfilm "Frankenstein" von James Whale an. Ana sieht zum ersten Mal überhaupt einen (Kino-)Film. Víctor Erice erzählt fortan davon, wie dieses Erlebnis ihr Denken und Leben verändert.

Frau Simón, warum ist dieser Film so prägend für Sie als Cineastin - und für Ihre Karriere?

Carla Simón: Ich habe ihn das erste Mal auf einem alten DVD-Spieler auf einem kleinen Bildschirm gesehen. Er hat mich damals verzaubert. Dabei ist so nicht die richtige Art, ihn zu sehen, denn es ist ein unheimlich poetischer Kinofilm.

Szene mit Fernando Fernán Gómez aus "Der Geist des Bienenstocks" von Víctor Erice © Arte/ 2005 VIDEO MERCURY FILMS
Ana Torrent spielt die Hauptrolle in Víctor Erices "Der Geist des Bienenstocks" von 1973, der in der Kargheit unmittelbar nach dem Bürgerkrieg spielt. Außerhalb Spaniens ist das Drama bekannt, aber kaum erhältlich.

Ich liebe an ihm seine Art, die Kindheit darzustellen: gleichzeitig als etwas Poetisches, etwas Geheimnisvolles. Hauptdarstellerin ist Ana, die noch nicht unterscheiden kann, was Wirklichkeit ist, was Fiktion. Der Film erzählt, wie das Kino uns wachsen lässt. Er stellt Kindheit auch als etwas Dunkles vor, denn viele Filme, die von der Kindheit handeln, sind so positiv, zeigen die strahlende Unschuld. Dieser nicht.

Mir ist nicht ganz klar, ob er außerhalb von Spanien so bekannt ist. Dort ist er legendär und für mich eine große Inspirationsquelle, wie er den Sommer zeigt. Ein wichtiger Aspekt an "Der Geist des Bienenstocks" ist nämlich, wie er den Kontext der Geschichte darstellt. Die Handlung ist Anfang der 1940er-Jahre angesiedelt, mitten in der Nach-Bürgerkriegs-Ära. Víctor Erice erzählt subtil von den Wunden der Überlebenden, von den Nachwirkungen der Zerstörung. Dieser Film prägt die spanische Filmgeschichte.

Worauf freuen Sie sich in der gemeinsamen Juryarbeit im aktuellen Wettbwerb etwa mit der US-Casterin Francine Maisler, dem Filmemacher Johnny To aus Hong Kong, der iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani und der Regisseurin Valeska Griesebach?

Simón: Nun schließt sich ein Kreis, vor genau einem Jahr haben wir "Alcarràs" in Berlin vorgestellt. Für mich ist das ein Geschenk nach dem intensiven Jahr. Wenn ein Film einen so einen wichtigen Preis wie den Goldenen Bären gewinnt, prägt ihn das sehr. Wir haben ihn in sehr vielen Ländern vorgestellt, wo er ins Kino gekommen ist und sind mit ihm gereist. In Spanien haben ihn mehr als 400.000 Menschen gesehen, was viel für hiesige Verhältnisse ist.

Die Jury des Wettbewerbs der Berlinale bei der Pressekonferenz vor der Eröffnung der 73. Filmfestspiel Berlin © Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa bildfunk Foto: Soeren Stache
Ab Freitag sichtet diese Jury, darunter Carla Simón (im gelb-schwarzen Outfit) 19 Filme in Konkurrenz um den Goldenen und die Silbernen Bären im Wettbewerb.

Die jetzige Juryarbeit ist also fast die perfekte Art, meinen Film zu verabschieden und andere Filme genießen zu können. Ich freue mich auf die gemeinsamen Diskussionen, sie alle kennenzulernen. Es wird bestimmt toll, intensiv so viele Beiträge in so kurzer Zeit zu sehen. Bestimmt entfacht es auch die Lust, selbst neue Projekte zu starten.

Kehrt der Goldene Bär denn zum Festival zurück, bringen Sie ihn mit in die Hauptstadt?

Simón: Nein, der ist zu schwer. Der bleibt lieber zu Hause (lacht).

An welchem Film oder Drehbuch arbeiten Sie nach dieser 73. Berlinale weiter?

Simón: An einem Drehbuch, das ich schon vor einiger Zeit begonnen habe. Dadurch, dass wir "Alcarràs" wegen der Pandemie ein Jahr später gefilmt haben als geplant, hatte ich bereits mit einem neuen Skript angefangen.

Es ist eine Art Abschluss einer Trilogie meiner Filme über meine Familie und über die Erinnerungen innerhalb einer Familie. Das ist etwas, das mich sehr beschäftigt. Was geschieht zum Beispiel, wenn Lücken entstehen, weil die Menschen, die dir deine Geschichte erzählen könnten, fehlen oder gestorben sind? (Beide Eltern der Regisseurin sind an Aids verstorben, als diese sechs Jahre alt war. Sie wuchs bei engen Verwandten auf, Anm. d. Red.). Mein nächster Film handelt erneut von der Suche nach familiären Wurzeln, besonders nach denen von meinem biologischen Vater.

Auf den großen Festivals laufen seit 2022 viele starke spanische Filme, die oft von Menschen auf dem Land erzählen, von deren Problemen. Wie erklären Sie diese starke Präsenz und die Thematik des Ländlichen?

Simón: Wegen der Pandemie lagen viele Projekte auf Halde und sind nun alle fast gleichzeitig erschienen. Aber ich glaube, es gibt eine neue Generation von spanischen Autorenfilmern und unsere Filme reisen mehr, denn je. Das Thema ländliches Kino ist ein ganz natürliches für mich. Immer mehr Menschen aus der Mittelschicht machen Filme, da entsteht eine gewisse Demokratisierung des Kinos.

Wir Menschen, die auf dem Dorf, auf dem Land aufgewachsen sind und auswärts studieren mussten, erzählen unsere ruralen Geschichten nun im Kino. Spanien ist nun einmal ein vom Ländlichen geprägtes Land, diese Art Kino hat es schon immer gegeben. Auffallend ist, dass immer mehr Regisseurinnen jetzt verstärkt von neuen Aspekten erzählen. Die Frauen bringen peu à peu bislang kaum beachtete Perspektiven ruraler Geschichten ins Kino. Das ist sehr wichtig.

Das Gespräch führte und übersetzte aus dem Spanischen Patricia Batlle, NDR Kultur Autorin, unmittelbar vor Start der Berlinale.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 16.02.2023 | 16:40 Uhr

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