"Miss Holocaust Survivor": Schönheitswettbewerb der Überlebenden
Einmal im Jahr findet in Israel ein ungewöhnlicher Schönheitswettbewerb statt. Die Teilnehmerinnen teilen ein Schicksal: Sie sind Überlebende des Holocaust. Die Doku "Miss Holocaust Survivor" begleitet sie auf ihrem Weg zum Catwalk.
Probe für einen der merkwürdigsten Schönheitswettbewerbe der Welt: Zwölf Frauen im Alter von 75 bis 95 Jahren flanieren einen Laufsteg entlang. Sie tragen ihre schönsten Kleider, Schmuck und Make-up und geben mit ihren gealterten Gesichtern und zerbrechlichen Körpern dem Wettbewerb einen ganz eigenen und besonderen Witz und eine Würde. Ein Wettbewerb, in dem es um innere Schönheit geht.
Wir suchen hier Kandidatinnen für einen Schönheitswettbewerb.
Ah, okay.
So junge Frauen wie mich?
Ja, genau wie dich.
Alle hier sind so jung wie du.
Tova. Ich bin Tova. Wie alt ich bin? Ich bin 93 Jahre alt.
Filmzitat
Die letzte Generation der Überlebenden
Sie, die letzte Generation der Überlebenden, wurden in ihrer Kindheit der Freiheit und auch ihrer Mädchenjahre beraubt. Deshalb soll es so sein wie bei einer normalen Misswahl, nur ein bisschen anders. Man spürt die Freude, raus dem langweiligen Alltag eines Altersheims, auch wenn allen bewusst ist, dass die Veranstaltung schon etwas speziell ist.
Der Film erzählt die Lebensgeschichte vor allem von zwei sehr unterschiedlichen Frauen: Rita und Tova. Rita kam 1974 nach Israel. Sie war Religionslehrerin, Psychiaterin und ist bis heute Malerin. Ein bewegtes Leben, drei Berufe und dreimal verheiratet. In der Malerei verarbeitet sie ihre Erlebnisse - und doch wird sie eingeholt von den schrecklichen Erinnerungen, vor allem an die 19 Monate, die sie sich in einer Grube verstecken musste. "Meine Familie und ich verstecken uns mit mehr als zwanzig anderen in den Höhlen im Wald. Ich ersticke fast am Geruch so vieler Menschen, zusammengepfercht in einer kleinen Höhle. Kinder weinen und ihre Eltern ersticken sie beinahe, damit sie still sind", erzählt Rita. "Mein Vater brachte manchmal alte Kleidung mit vielen Knöpfen mit. Also habe ich, das erzähle ich sonst nie, also habe ich die Knöpfe geschluckt, um mich umzubringen."
Tova: "Es ist schwer zu beschreiben, was wir durchgemacht haben"
Das müsse man sich einmal vorstellen, sagt Regisseur Radek Wegrzyn: "Dass man mit acht Jahren - ich kenne keine Achtjährige, die auf die Idee kommen würde, Selbstmord begehen zu wollen, und bei Rita war der Fall, während sie diese neunzehn Monate in dieser Grube ausharren musste." Rita berichtet, dass Schweinefett vorbereitetet wurde: "Ein ganzes Glas musste ich trinken. Dann zählte meine Mutter die Knöpfe, als ich Durchfall bekam. Sie kamen alle heraus und ich bin am Leben."
Tova ist dieses Jahr einhundert Jahre alt geworden. Sie trainiert noch heute jeden Tag im Fitnesscenter. Sie hat dem Staat Israel, so sagt sie, acht Soldaten geschenkt. In Libec, Groß-Rosen und Schömberg überlebte sie Vergewaltigung und Misshandlungen. Ihren Kindern erzählte sie davon erst, als sie erwachsen waren. Sie hat sich eines geschworen: In ihrem Leben nie mehr wehrlos und Opfer zu sein. "Es ist schwer zu beschreiben, was wir durchgemacht haben", sagt Tova. "Plötzlich kam der Aufseher und fragte: 'Wer hat Zahnschmerzen? Der Zahnarzt ist da'. Große Freude. 'Ich habe Zahnschmerzen'. Okay, Tova geht zum Zahnarzt. Weißt du, was sie mir angetan haben? Siehst du diese Zähne? Sie zogen alle meine Zähne. Der schmerzende Zahn blieb drin. Die restlichen haben sie gezogen. 14 Zähne haben sie gezogen."
Kritik am Schönheitswettbewerb
Was für ein Leben: mit über 80 jetzt in einer großen Stretchlimo zur großen Show der Misswahl. In Israel gab es vereinzelt Kritik, makaber und würdelos wäre das Ganze. Doch die Frauen haben sich entschieden, dabei zu sein. Ihre Körper waren als Mädchen auf ihre Art Schlachtfelder von Hunger, Vergewaltigung und vielem mehr. Und jetzt, im hohen Alter, werden sie hübsch gemacht für eine Misswahl. Verkehrte Welt?
"Man darf nicht vergessen, dass der Wettbewerb, zumindest zur Hälfte, von einer Traumatherapeutin ins Leben gerufen wurde, die jeden Tag mit Holocaustüberlebenden zu tun hat", sagt Regisseur Radek Wegrzyn. "Jedem der fragt 'Ist so etwas okay? Ist so etwas nicht okay? Darf man so etwas machen?' kann ich nur entgegenhalten: Es gibt nur eine Instanz, die das beantworten kann, solange es sie gibt. Und das sind die Frauen selbst."
Was ist der Sinn?
Die Misswahl ist zu Ende und der Alltag im Altenheim geht weiter. Sie haben das Grauen überstanden und sich für das Überleben entschieden, auch wenn die Frage bleibt, welchen Sinn das alles hatte.
Was ist der Sinn?
Glaubst du, es gibt einen Sinn?
Filmzitat
"Ich glaube an einen", sagt Rita. "Für mich heißt es nicht, 'es gibt ihn', sondern 'es muss ihn geben'. Es muss. Ich weiß nicht, ob es ihn gibt oder nicht. Aber es muss ihn geben. Ich kann ihn nicht sehen, nicht hören, nicht fühlen. Aber es muss ihn geben. Warum all das?"