"Im Westen nichts Neues"- Regisseur Berger über Scham und Schuld
Neun Oscar-Nominierungen hatte Edward Bergers Kriegsdrama "Im Westen nichts Neues" ergattert, vier Trophäen hat der Film erhalten. Ende Januar sprach Berger mit NDR Kultur über Remarques Roman, den Film und die Oscar-Verleihung.
Als die Nominierungen für die Oscars bekannt gegeben wurden, drehte Berger gerade seinen neuen Film "Konklave" in Rom - in den italienischen Studios Cinecittà. Auf dem Weg zum Set sprach Edward Berger mit dem NDR über seinen Film "Im Westen nichts Neues".
Herr Berger, wo haben Sie die Verkündung der Nominierungen verfolgt?
Edward Berger: Wir sind in Rom für Dreharbeiten in den Filmstudios Cinecittà und habe dann mit meinem Team eine Pause gemacht. Wir haben 15 Minuten lang einfach diesen Livestream geschaut und uns dann natürlich jedes Mal, wenn der Name unseres Films erwähnt wurde, in den Armen gelegen. So etwas passiert, glaube ich, nicht so oft.
Sie stammen aus Wolfsburg. Gibt es Reaktionen aus Ihrer alten Heimat Niedersachsen?
Berger: Wir sind im regen Kontakt mit dem Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück. Die waren auch zur Premiere da. Sie schreiben und unterstützen uns immer wieder, posten etwas online. Die freuen sich jetzt natürlich über die Resonanz. Der Verleger des Buches war bei unserer Premiere. Der freut sich natürlich auch über die Nominierungen, denn das bedeutet, dass auch das Buch besser verkauft wird, das ist schön. Aus meiner Heimat bekomme ich Nachrichten von alten Schulkameraden und von ehemaligen Freunden aus Wolfsburg, wo ich gewohnt habe.
Der Film weicht etwas vom Roman ab: Es gibt mehr Szenen an der Front als von der Heimat, wo sich Paul Bäumer freiwillig für den Einsatz meldet. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Berger: Das Buch spielt auch zu neun Zehnteln an der Front. Es gibt ein kleines Kapitel am Ende, wo er nach Hause zurückkehrt und merkt, dass er da nicht mehr ein Zuhause findet. Diese Szene haben wir im Film nach vorne geholt und haben sie umgeschrieben: mit einem Brief, der aus der Heimat kommt. Die Soldaten merken dort, dass sie einfach keine Verbindung mehr zu ihrem Zuhause haben. Und wir haben das Gefühl dieser Szene versucht beizubehalten.
Am Ende mussten wir uns zu dieser Änderung entscheiden, denn der Film integriert ein Element, das es im Buch nicht gibt. Und zwar sind sie es die Waffenstillstandsverhandlungen von Daniel Brühl, beziehungsweise der Figur, die er spielt: Matthias Erzberger. Das war uns wichtig reinzuholen. Erich Maria Remarque hat das Buch Ende der 20er-Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben. Er konnte noch nicht wissen, wo es Deutschland hinführt. Wir wissen mittlerweile, dass es einen Zweiten Weltkrieg gab, und genau diese Friedensverhandlungen deuten darauf hin. Wir wollten also mit dieser Einbeziehung dieser Friedensverhandlungen ein Schlaglicht werfen auf die Zukunft Deutschlands. Also auf das, was da noch kommen wird. Wir wollten sagen: 'Das war nicht das Ende von dem ganzen Unsinn, von 17 Millionen Menschen, die gestorben sind. Das war der Anfang. Es ging noch weiter.'
Deswegen haben wir diese Änderung gemacht. Ich glaube, es gibt ein Zitat von Remarque, der sagt, er möchte, wenn er die Verfilmung seines Buches sieht, dass es neu interpretiert wird. Von daher gehe ich davon aus oder erhoffe mir, dass er sich freuen würde über alle Modernisierungen oder Änderungen. Weil er auch ein sehr moderner Mensch war.
Warum kommt der Film Ihrer Meinung nach speziell im angelsächsischen Raum so gut an? Er hat nicht nur neun Oscars, sondern auch 14 Nominierungen für die britischen Filmpreise Baftas erhalten, die im Februar verliehen werden - ein Rekord.
Berger: Der Film kommt bei uns zu Hause gut an, aber gerade auch im Ausland. Ich glaube, das Publikum in England und Amerika merkt, aus welcher Perspektive dieser Film erzählt ist: aus der Perspektive des Verlierers, aus der Perspektive der Sich-Schämenden, aus der Perspektive der Schuldigen. Die meisten Filme dieses Genres brüsten sich mit Heldengeschichten, die man aus England und Amerika heraus erzählen kann. Immerhin wurden diese Länder angegriffen, sie mussten sich verteidigen. Amerika hat Europa vom Faschismus befreit. Das hinterlässt eine ganz andere Legende. Es hinterlässt ein Gefühl von Stolz und Ehre.
Diese Geschichte können wir nicht erzählen. Wir können keine Geschichte von Heldentum, von Stolz und Ehre erzählen. Wir können nur eine Geschichte von Scham und einer Schuld erzählen. Ich glaube, dass viele amerikanische oder englische Zuschauerinnen und Zuschauer sich da noch nie Gedanken darüber gemacht haben. Zumindest ist das die Resonanz aus den Vorführungen, die ich da bekomme. Eine von 'Mensch, vielleicht sollten wir unsere eigene Position auch mal neu bewerten und nicht auf diese Heldengeschichten zurückgreifen'. Am Ende gibt es im Krieg nur Verlierer. Menschen sterben, egal auf welcher Seite. Es kann nie ein guter Tod sein.
Gibt es einen Austausch zwischen Teams von Historienfilmen - etwa mit dem Team von Sam Mendes, der "1917" über den Ersten Weltkrieg gedreht hat? Vielleicht, um Uniformen aus jenem Film neu zu verwerten?
Berger: Das gibt es eher nicht, weil man seinen eigenen neuen Film machen will. Man will nicht auf Sachen zurückgreifen, die schon gemacht wurden. Aber unsere Kameracrew hat sich mit der Kameracrew von "1917" zusammengesetzt. Sie hat gefragt, wie sie gewisse technische Dinge umgesetzt haben. Davon haben wir durchaus auch etwas lernen können.
Ich habe gelesen, Sie wollen sich für die Oscar-Gala am 12. März in Los Angeles einen Smoking schneidern lassen ...
Berger: ... unbedingt! Ich habe zwar einen, aber der ist schon sehr alt. Ich dachte, jetzt wäre ein guter Anlass, einen neuen zu bestellen und den auch so zu machen, wie ich ihn immer schon haben wollte. Dieser Anlass kommt auch nicht unbedingt wieder.
Sie drehen bis zur Oscar-Preisverleihung einen Thriller in Roms Cinecittà mit Isabella Rossellini und gehen gleich wieder ans Filmset. Sie ist als Tochter von Ingrid Bergmann und Roberto Rossellini ein Leben lang mit den legendären Filmstudios verbunden. Wie macht sich das bemerkbar?
Berger: Isabella Rossellini kommt sozusagen nach Hause. Sie lebt in Amerika. Sie kommt jetzt nach Hause, nach Cinecittà, und fühlt sich hier natürlich wahnsinnig gut, kennt hier alle Techniker und freut sich natürlich, hier zu drehen. Unter anderem mit Ralph Fiennes und Stanley Tucci, das ist eine tolle Besetzung. Es ist eine Geschichte über politische Machenschaften bei der Wahl eines Papstes.
"Im Westen nichts Neues" war eines der letzten Projekte für die vor Kurzem verstorbene deutsche Casterin Simone Bär. Wie hat sie diesen Film geprägt?
Berger: Sie war eine ganz große Freundin, eine ganz große Casterin. Sie hatte ein tolles Gefühl für Menschen, für Gesichter, für Neuentdeckungen, die ein Vertrauen hatte in diese Neuentdeckungen. Die mir auch das Vertrauen gegeben hat, Felix Kammerer zu besetzen, weil sie den genauso toll fand wie ich. Da braucht man ein bisschen Mut zu, zu sagen: 'Okay ich besetze jemanden, der hat noch nie vor der Kamera gestanden und muss diesen ganzen Film schultern'. Da hat sie mir einfach totales Vertrauen gegeben. Sie war ein komplett unabhängiger Mensch, der sich um nichts scherte, und das fand ich großartig.
Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur. "Im Westen nichts Neues" ist auf Netflix zu sehen.