Lüneburg: Theaterstück über Missbrauch in der Kirche schockiert
Zum letzten Mal hat das Theater für Niedersachsen "Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert" gespielt - als Gastspiel in Lüneburg. Die schonungslosen, lang recherchierten, Berichte von Betroffenen sexuellen Missbrauchs sind schwer zu ertragen.
Meine Erzieher und Lehrer trugen einen Rosenkranz an der Schärpe ihrer Soutane. Ich konnte anhand von Lautstärke und Rhythmus des Klimperns die Stimmung meines Täters Pater S. ermessen - ob jetzt streicheln oder Gewalt zu erwarten war. aus dem Tagebuch von Karl Haucke

Karl Haucke ist Betroffener sexueller Gewalt in der Kirche. Er eröffnet den Theaterabend im ökumenischen Gemeindezentrum St. Stephanus mit seinen Tagebucheintragungen. Neben Haucke stehen sieben Schauspieler auf der kargen Bühne, alle in Schwarz gekleidet. Sie schlüpfen in verschiedene Rollen. Mal verkörpern sie Kirchenmitarbeiter, die den Missbrauch vertuschen oder verharmlosen, mal zitieren sie aus der Studie, mit der die Kirchen die Missbrauchsfälle untersucht und doch nichts aufarbeitet. Im Zentrum stehen aber die Erlebnisse der Betroffenen:
Ich lag im Bett und schlief. Da habe ich gemerkt, wie jemand meinen Kopf streichelte, seine Zunge in meinen Mund schob und nach meinem Glied tastete. aus dem Bericht eines Betroffenen
"Dass das so schrecklich ist, war mir nicht bewusst"
Die Berichte der Betroffenen, die auf der Bühne zitiert werden, sind schonungslos und brutal. Für das Theaterstück hat Regisseurin Ayla Yeginer gemeinsam mit Studierenden monatelang recherchiert, Unmengen Material gesichtet und Interviews geführt. Das Ergebnis ist ein fast zweieinhalbstündiger Theaterabend, der das Publikum schockiert. "Dass das so schrecklich ist, war mir nicht bewusst. Dafür kann man keine Worte finden", erzählt eine Frau bewegt. Eine andere Zuschauerin sagt: "Man denkt nur: Wie ist so etwas möglich? Ich bin wütend, dass das alles so lange verschleppt wurde."
Das Stück ist eine Produktion des Theaters für Niedersachsen in Hildesheim. Das Bistum Hildesheim hat initiiert, dass das Stück auch in anderen Orten Niedersachsens zu sehen ist, sagt Direktor Thomas Harling: "Es ist wichtig, mit diesem Stück unterwegs zu sein, weil durch diese Art der Auseinandersetzung einfach viel mehr Ebenen angesprochen werden, als wenn man nur Unterlagen liest oder Vorträge hört. Man ist hier ganz anders emotional betroffen und begreift die Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen."
Kirchenmitarbeiterin: "Heute Abend ein bisschen das Zuhause verloren"
In Lüneburg spielt das Ensemble zum ersten Mal in einem sakralen Raum, zwischen Taufbecken und riesigem Kreuz. Für den Betroffenen Karl Haucke ist es sehr schwierig, an diesem Ort seine Erinnerungen vorzutragen. Er sagt: "Ich bin sofort zurückgefallen in einen Zustand der Ohnmacht, wie ich ihn damals aus den sakralen Räumen in meiner Ordensschule kannte."
Die Menschen im Publikum im ökumenischen Gemeindezentrum St. Stephanus sind der Kirche eng verbunden, als Haupt- oder Ehrenamtliche. Für viele ist dies ein sehr harter Abend. Pastorin Anja Kleinschmidt findet: "Es ist echt schwer, der Kirche die Stange zu halten, wenn man sieht, wie ausgeklügelt dann darauf verzichtet wird, diese Menschen zu belangen." Und eine Mitarbeiterin ergänzt: "Für mich ist Kirche auch Zuhause. Und heute Abend habe ich es ein bisschen verloren, dieses Zuhause."
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